Triumphaler als die Rückkehr des Enock Foster an seine Schule wird auch der Einzug der Gladiatoren in Rom nicht gewesen sein. Hunderte von kleinen Mädchen und Jungen singen, wiegen sich in den Hüften und stampfen mit den bloßen Füßen den Boden hart. In Hunderten von Gesichtern spiegelt sich die Hoffnung, man möge ihnen eines Tages einen ähnlichen Heldenempfang bereiten. Enock Foster ist zurück und mit ihm der Traum von einer Zukunft, in der man nicht täglich Maniok löffelt und in Fetzen herumläuft, die von gerade zwei Fäden zusammengehalten werden.
"Enock, wir sind stolz auf Dich", haben sie auf ein Transparent geschrieben. Es wird von vielen kleinen Händen so hoch gehalten, dass es selbst das Gesicht der baumlangen Englischlehrerin Miss Chamwa verdeckt, die einst einschritt, damit der kleine begabte Junge nicht wie die anderen mit 14 Jahren Bananen von den Stauden ernten oder seinen Rücken auf den Teeplantagen der englischen Companies krümmen musste. "Dies ist Miss Chamwa", stellt Enock die Lehrerin vor und schiebt sie stolz nach vorn. Dass der nächste Satz lauten wird: "Ihr verdanke ich sehr viel", ahnt man schon und findet es doch rührend.
Die Eltern starben an Tuberkulose
Ein schulfreier Samstag, und dennoch ist fast ein Drittel der 1.065 Schüler der Njale-Middle-School gekommen, um einen zu feiern, der einmal in so schäbige Schulkittel gekleidet war wie sie und in dessen Fußsohlen sich der Staub vieler langer Schulwege eingegraben hatte. Von hier, aus diesem Bananendorf, ging Enock Foster in die Stadt Blantyre und kehrt heute nun als einer aus der künftigen Elite Malawis zurück. Ein Ausnahmestudent: Begabt, fleißig, ehrgeizig, engagiert.
Dabei ist Enock Foster alles andere als ein Superstar. Ein wenig fettig um die Haare, ein wenig pickelig im Gesicht und mit einer Mimik zwischen verklemmt und blasiert, die es schwer macht, ihn sympathisch zu finden. Dennoch ist Enock der quietschlebendige und gehemmt mit den Armen schlenkernde Beweis, dass Entwicklungshilfe funktioniert und es einen Weg aus dem Circulus vitiosus von Armut, Analphabetentum, Chancenlosigkeit und neuer Armut gibt. Im Süden Malawis, in Enocks Heimatdorf, in den unter Bananenbäumen und an einem steilen Abhang liegenden Hütten, wo der Boden für Mais und für Weizen zu steinig ist - da erscheint diese Geschichte wie eine unglaubliche Rarität. Nur wenigen dort ist es je gelungen, aus ihrem durch die Geburt vorbestimmten Leben auszubrechen, ihr Dorf zu verlassen, Schuhe zu tragen und ein T-Shirt mit Adidas-Logo.
Malawi gilt als eines der ärmsten Länder Afrikas. Es sind die üblichen Statistiken, die zu diesem Status führen. Hohe Kindersterblichkeit, HIV-Rate vermutlich über 30 Prozent, katastrophales Gesundheitssystem, hohes Analphabetentum - 44 Prozent können nicht lesen und schreiben - geringes Durchschnittseinkommen, wenig Rohstoffe, keine Exportgüter. Die Liste ist lang genug, um sich ein Leben am Rande des Kollaps auszumalen. Andererseits ist Malawi eines der friedlichsten und freundlichsten Länder des Kontinents, und das schlimmste Vergehen, das man dem seit 1966 unabhängigen Staat vorwerfen könnte, war der Beistand für das weiße Apartheidregime, das einst Südafrika beherrschte. Die Lösung aus der Nord- und Südrhodesischen Föderation (heute Sambia und Simbabwe) verlief ohne kriegerische Konflikte. Und trotz regionaler und ethnisch bedingter Gegensätze kommen die vier Hauptvölker - die Tonga, Nyani, Chewa und Tumbuka sowie die Minderheiten Ngoni und Yao - miteinander aus, ohne dass ein feines Knistern der Feindschaft und Missgunst zu spüren ist. Übergriffe auf weiße Farmer wie in den Nachbarländern Sambia und Simbabwe gibt es nicht. Bedrohungen Malawis ebenso wenig. Wohl, weil es dort ohnehin nichts zu holen gibt.
Enock Fosters Zukunft begann, als die baumlange Miss Chamwa ihn als Teilnehmer eines Kinderpatenschaftsprogramms der Organisation World Vision Deutschland vorschlug. So wurde der kleine Waisenjunge, dessen Eltern an Tuberkulose starben, zum Patenkind MWI 22.455, erhielt eine eigene Schuluniform, Hefte und Bücher sowie die Zusicherung, im Krankheitsfall medizinisch versorgt zu werden. Wie mehr als 3.000 andere Kinder aus malawischen Dörfern, denen man Pateneltern im fernen Deutschland vermittelt hat. Ein Land, dass Kinder in Malawi bestenfalls von Postkarten kennen und für ein mit ewigem Schnee bedecktes Alpenidyll halten. Nur Enock, der Medizinstudent, kennt Bilder aus Berlin und Hamburg, weiß von Charité und Beiersdorf, weiß über die geografische Lage und die Bundesländer Bescheid. Er wusste es schon als Schüler, behauptet er und verzieht den Mund zu einem Lächeln.
Das Leben der anderen
Dem Patenschaftsprogramm verdankt die Njale-Schule eine Bibliothek, die sich sehen lassen kann. Weit über 1.000 Bücher, ein Bestand, der auch das Wissen des kleinen Enock nicht unberührt ließ, der während seines Besuches die Kinder darauf hinweist, wie wichtig die Lektüre sei. "Enock motiviert uns", ist Schulleiter Wiliasi Chinanim überzeugt. Und weil das so ist, darf Enock jedes Mal, wenn er ins Dorf kommt, zu den Schülern sprechen. Über Aids, zum Beispiel. Enock berichtet von Ansteckung und Verhütung, von Gefahren und Unheilbarkeit. "Kein Sex", ist seine Botschaft, die er mit dem Geständnis würzt, seinerseits auch noch jungfräulich zu sein. Die Großen kichern, die Kleinen verstehen kein Wort, aber das macht nichts, denn jetzt stellt sich Enock mit ihnen in eine Reihe und singt die Hymne von Malawi. Danach gibt es ein Basketballspiel, bei dem die Zuschauer im Kreis um die Mannschaft laufen und Enock mitten unter ihnen in der Menge badet.
"Alle lieben Enock", ruft Miss Chamwa enthusiastisch.
Diese Liebe entspringt nicht zuletzt der Tatsache, dass sein Status als Patenkind dazu beiträgt, das Leben der anderen zu verbessern. Denn nur ein Teil der Hilfsgelder geht an die Kinder, etwa die Hälfte fließt in Projekte, von denen die Dorfgemeinschaft profitiert: Brunnen- oder Schulbau, mehr medizinische Fürsorge, eine gerechte Verteilung von resistentem Saatgut und effizientem Dünger. Dahinter steckt die Einsicht, den Kindern langfristig nur helfen zu können, wird die ganze Dorfgemeinschaft stabilisiert.
Fragt man Enock, wie er das denn geschafft hat, ein Held zu werden, gegen alle Prognosen durchzuhalten, dann kommen aus seinem Mund erst lauter Sätze über die Kraft der Strebsamkeit und dann Dankesreden auf jene, die ihm die Hand reichten. Seine Schwester und deren Mann zum Beispiel, die ihn - den kleinen Waisenjungen aufnahmen - obwohl sie gerade frisch verheiratet waren. Und ihn durchfütterten vom kärglichen Lohn eines Bananenfarmers, die ihm in der spärlichen Hütte einen Platz boten, damit er lernen konnte, und die heute stolzer als jeder andere sind. Der Schwager erinnert sich: "Manchmal dachte ich schon, Enock würde auf der Teeplantage enden."
Der Bürgermeister der Gemeinde kommt gern dazu, wenn Enock zu Hause ist und sich mit ihm darüber unterhält, dass die Bauern mehr Land brauchen, um bessere Erträge zu haben, und dass die Aufklärung vorangetrieben werden müsse. Also sagt auch der Bürgermeister zu seinen Leuten: Lasst ab vom unmoralischen Leben, vom Sex vor der Ehe. Starker Tobak in einem Dorf unter Bananenblättern, in dem die Welt fern und seltsam scheint. "Was sagst du als künftiger Arzt, Enock?" - fragt der Bürgermeister. "Ich sage, Aids ist tödlich", lautet die Antwort, und der Bürgermeister zuckt beim verbotenen A-Wort nicht ein bisschen zusammen. Wahrlich, Enock Foster hat viel Aufklärung geleistet.
Steigt man in einem solchen Dorf als große, blonde Frau aus einem Auto, quittieren die Jugendlichen das gern mit "Madonna, Madonna"-Rufen. Weiße sind in Malawi so rar wie spektakuläre Nachrichten, und deshalb hat sich die mögliche Adoption der Diva bis in den letzten Winkel herumgesprochen.
"Enock hättest du es gut gefunden, adoptiert zu werden?" - Enock schweigt, und erst denkt man, es sei die falsche Frage gewesen, aber dann sieht man seinen Blick, der weit über das Land geht, die grünen Felder und die sanften Bergkuppen, die Bananenbäume, die ganze subtropische Vegetation in sich verewigt, den Schwager, die Schwägerin, die barfüßigen Kinder und selbst den dicken Bürgermeister. "Nein", sagt Enock Foster, das Waisenkind, das bald Mediziner sein wird. "Ein Patenkind zu sein, ist besser." Für einen Augenblick ist man geneigt, das als werbende Steilvorlage für die zuständige Hilfsorganisation zu nehmen. Doch in diesem Augenblick schaut Enock gar nicht mehr blasiert und beginnt unversehens einen Vortrag über Glück. Es beginne damit, dass jemand seine Wurzeln brauchte und ein Luxusleben in den Palästen der Popsänger ein Alptraum sei. Er endet damit, das heute auf dem Markt gekaufte Second-Hand-Hemd sei das Produkt einer alteingesessenen deutschen Modekette und soviel Globalisierung dürfe sein, nicht aber eine, die Kinder in Kulturen verpflanze, in denen sie nichts zu suchen hätten und schlimmstenfalls als Exotenclown endeten.
Na also. Sie stimmt, die Geschichte vom Glück in der armen Hütte. Zumindest, wenn man Enock Foster heißt und Patenkind MWI 22.455 ist.
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