Ein rotes schlafendes Tier

Südafrika Über die Schlachtfelder von Isandlwana und die Last, ein Inkosi zu sein

Dieser Inkosi ist ein Mann wie aus einer griechischen Tragödie. Wie er sich auch wendet, er kann seinem Schicksal nicht entkommen, das ihn zum Oberhaupt über vier Stämme erklärte, deren Sitten und Gebräuche er nicht kannte, deren Leben er nie teilte. Es zwingt ihn, Traditionen zu wahren, auch wenn die immer tiefer in die Armut führen und immer mehr Familien zerbrechen lassen.

Der Inkosi von Isandlwana in der Provinz Kwazulu Natal, dem Land der Zulus, heißt mit bürgerlichem Namen Mbenkinseni Mazibuko und muss mehrere Stämme führen, er ist Sprecher für die Clanchefs - die Indunas - und letzte Instanz in allen Fragen zu Recht und Landverpachtung, bei Familienfehden und Nachbarschaftsstreit. Ein Mann mit vielen Pflichten und ohne politische Rechte. Auch in Kwazulu Natal muss sich Stammesrecht den Gesetzen des südafrikanischen Staates beugen.

Dem Inkosi geben, was des Inkosis ist

Isandlwana selbst ist ein Dorf wie aus einem Märchenbuch für Afrikareisende. Hingehaucht auf sanfte Hügel, in Licht getaucht, mehr Illusion als Wirklichkeit. Von Nqutu oder Dundee kommend, typischen Kleinstädten der Gegend, ergreift den Reisenden auf der nach Isandlwana führenden Schotterpiste sehnsüchtige Rührung. Weit und einsam ist das Land, der Wind singt über roter Erde, beugt den Weizen, den Mais, verfängt sich in Akazienhainen, rüttelt an den Dachpfannen kleiner Farmhäuser. Die Kraals, zwischen den Feldern versteckt, nur die Grasdächer ragen darüber, ein Stillleben, das an Szenen aus kitschigen Afrikafilmen erinnert.

Von weit her schon, von schwungvollen Hügelkuppen, geht der Blick auf Isandlwana, auf grüne Quadrate zwischen roten Wegen, auf Häuser, ausgestreut wie gefallene Würfel, auf den Isandlwana-Berg, das rote schlafende Tier in der Ebene. Das Bild dieses Ortes, zusammen mit dem rollenden Klang seines Namens, ist aus der Ferne schön genug, um keinen Vergleich zu dulden.

Nur die Nähe entlarvt als Trug, was anfangs so paradiesisch scheint. Armut und Lethargie winden sich um die Häuser und lassen Putz von den Wänden rieseln. Vor der Tür sitzen Gestalten in Lumpen und krümmen ihre verhornten Füße im Sand.

Früher, als die Zeiten angeblich besser und Traditionen noch Traditionen waren, hatte ein Inkosi ein gutes Leben. Mit Geld und Lebensmitteln von der Bevölkerung versorgt, war es ihm möglich, sein Amt mit all der Würde auszuüben, die geboten schien. Bestellten die Indunas ihre Felder, lieferte jeder den Ertrag beim Inkosi ab. Heute hingegen will kaum noch einer dem Inkosi geben, was des Inkosis ist. Kwazulu Natal ist die ärmste und die unruhigste Provinz Südafrikas - mit einer hohen Aids-Rate, mit schlechter Infrastruktur und einer Arbeitslosenquote die über dem ohnehin hohen Landesdurchschnitt von optimistisch geschätzten 40 Prozent liegt. Stammeskämpfe sind nicht an der Tagesordnung, aber doch häufig genug, um Tote zu fordern und Frauen als Witwen zurück zu lassen. Viehdiebe gehen um, rauben sich ganze Herden zusammen und den Farmern die Existenz. Das Land der Zulus ist der Inbegriff dessen, was mancher ein "gewalttätiges Paradies" nennen würde. Es ist dieser Widerstreit zwischen Schönheit und Hölle, der die Menschen bricht, der ihnen Ruhe und Hoffnung raubt.

Arm ist also auch der Inkosi von Isandlwana, arm, wie nie zuvor in seinem Leben. Inkosi wird man nicht aus Überzeugung, man wird es aus Pflicht. Ein Amt, das sich vom Vater auf den Sohn vererbt und zu halten ist, bis die Welt der Ahnen ruft.

Jenen Vater, von dem der Inkosi von Isandlwana sein Amt erbte, hat der Sohn kaum gekannt, weil sich die Eltern früh trennten und der Junge mit der Mutter nach Swaziland zog. Fort aus der grünen Nqutu-Ebene, in der die Aloha-Pflanzen mannshoch wachsen, fort von den Zulus und ihren Traditionen und ihren Geschichten über die glorreiche Schlacht von Isandlwana vor langer Zeit.

Später ging der Inkosi nach Johannesburg und wurde Ingenieur. Er führte ein Leben, dass mit den Abgründen von Kwazulu Natal nichts mehr zu tun hatte. Bis der Vater starb und ihm die Mutter sagte, es sei seine Pflicht den Ahnen gegenüber, an den Ort der Kindheit zurückzukehren. Dass die Frau, mit der er sein Leben in Johannesburg teilte, ihm nicht folgen wollte und sich scheiden ließ, traf den Inkosi schwer.

Kommt Zeit, kommt auch Wahrheit

Isandlwana hat einen vielversprechenden Klang. An keinem anderen Ort hat die Nation der Zulus ihre Glorie so beweisen können wie hier. Jedes Jahr ziehen englische Touristen durch die Gegend, unterwegs auf den Spuren jener Schlachten, die am Ende dem britischen Empire Triumph und Herrschaft brachten - und die Zulu-Großmacht zerbrachen.

Es kommen Touristen, die neben Komfort auch Ursprünglichkeit und sauber abgepackte kulturelle Begegnungen wollen. Für den Komfort sind die weißen Reiseunternehmer und die Besitzer der Isandlwana Lodge zuständig, die in den Berg gehauen an den Klippen hängt wie ein Weltwunder. Für die interkulturelle Begegnung ist die Tanzgruppe von Isandlwana gebeten, die für umgerechnet 150 Euro die Gäste der Lodge am Abend unterhält.

Isandlwana bedeutet Berg, auf dem die Götter wohnen. Sollte das so sein, müssen diesen Göttern am 22. Januar 1879 mächtig die Ohren geklungen haben, als die englische Krone endgültig Schluss machen wollte mit dem Aufruhr der Zulus, die seit 1818, seit dem Beginn der Herrschaft ihres legendären und unerbittlichen Königs Shaka, gefürchtete Krieger waren. Shaka, den sie den schwarzen Napoleon nannten, war zwar längst tot, aber sein Vermächtnis schien ungebrochen.

An jenem 22. Januar 1879 meldete ein Späher dem britischen Kommandeur, Frederic Lord Chelmsford, Zulu-Krieger sammelten sich im Tal. Der General zog daraufhin mit sechs Kompanien ins Feld und ließ 1.700 seiner Leute im Lager zurück. Was dann geschah, hat der amerikanische Schriftsteller Joshua Sinclair in seinem schwülstigen Roman Shaka Zulu so beschrieben. "Entlang des acht Kilometer langen Randes des Nqutu-Plateaus quollen 20.000 Zulu über den Grat: eine hereinbrechende See von Schilden mit einer Gischt aus Speeren ..." Danach sollte der Name Isandlwana für immer mit Blut in die Annalen der britischen Militärgeschichte eingetragen bleiben.

Den britischen Touristen heute zu präsentieren, dass Lord Chelmsfords Truppen seinerzeit nicht nur an der zahlenmäßigen Übermacht der Zulus scheiterten, sondern auch an deren besserer Strategie und Furchtlosigkeit, wäre nach Meinung des Inkosis nicht sonderlich klug. Der Gruseleffekt einer gewaltigen Masse schwarzer Krieger bringe die Touristen nach Isandlwana, nicht die authentische Geschichte einer vor 127 Jahren ausgetragenen Schlacht. "Die Briten wollen vor dem Berg stehen und sich schütteln können angesichts der Vorstellung von purer schwarzer Gewalt, von der die Soldaten Seiner Majestät einst überwältigt wurden", meint der Inkosi. Im Moment sei es für die Wahrheit noch zu früh, im Moment komme es allein darauf an, dass ein wenig vom Geld der Reisenden in den Hütten der Zulus hängen bleibe.

Deshalb hat man in Isandlwana auch ein Kulturzentrum gebaut, dass seiner offiziellen Einweihung harrt. Direkt am Isandlwana-Berg, gleich neben der pompösen Einfahrt zu den "Battlefields" mit ihren Gräbern, den Stalaktiten mit den Namen der Gefallenen und heroischen Sprüchen. Mit einer sauber begrenzten, von Unkraut befreiten Einfahrt und den fünf üblichen Rundhütten aus Lehm sowie einem Viehkraal dahinter. Da es aber längst etablierte Zulu-Camps gibt, die erprobte touristische Pfade flankieren, und man in Isandlwana keine rechte Idee hat, was sich außer Handwerk und Kriegstänzen bieten ließe, ist das Zentrum ein öder Ort mit hohem Gras, an dem sich Esel gütlich tun.

Der Inkosi könnte dort tanzen, wenn ihm der Sinn danach stünde. Er allein hätte das Recht, dann einen Kranz aus Leopardenfell um den Kopf zu tragen und mit dem Assegai, dem langen Speer der Zulus, auf den Boden zu stampfen. Er dürfte bei solcher Gelegenheit auch Ringe aus Leopardenfell um Arme und Waden winden und ein Leopardenfell auf den Schultern tragen, dem Umhang eines Königs gleich. Aber dieser Inkosi tanzt nicht gern und lässt sich für die Touristen bestenfalls vor dem roten Tier, dem Berg von Isandlwana, fotografieren.

Woman- statt Black-Empowerment

Heute sei er froh, sagt Inkosi Mazibuko, ein Teil des Ganzen zu sein, ein Mosaikstein in der Geschichte der Zulus. Zum Wohle des Clans sei er zurückgekehrt, aber auch für sein eigenes Heil. Dem Ruf der Ahnen verweigere man sich nicht. "Unsere täglichen Entscheidungen bestimmen unser Schicksal", sagt der Inkosi und sieht dabei melancholisch aus.

Er sitzt in seinem Büro vor einem leeren Schreibtisch, gekleidet in einen modernen Anzug, wie er ihn wohl auch in Johannesburg tragen würde, und wie er ihn trägt, wenn seine Söhne, die bei der Mutter blieben, auf Besuch kommen. Weil es den Jungen aus der Großstadt peinlich ist, falls der Vater - Inkosi hin oder her - wie ein wilder Provinzler herumläuft. Söhne, die Handys haben und sich nach zwei Tagen in Isandlwana langweilen, die Augen rollen, wenn der Vater sie mit zu den Hütten nimmt, um ihnen nahe zu bringen, was einen Zulu ausmacht. Achtung vor den Älteren und den Ahnen zum Beispiel.

Seit einem Jahr nun hat Isandlwana auf Betreiben des Inkosi eine Frauenkooperative, die Hemden und Kittel näht. Auftragsarbeiten. Inzwischen könnte man sehr viel mehr Aufträge annehmen, wäre es nicht so schwierig, genügend Stoff zu beschaffen. Blauer grober Baumwollstoff, dick wie guter alter Kattun. Das Nähen, der Vertrieb und die Vermarktung übernehmen die Frauen selbst. Der Inkosi hatte zuvor den Idunas, den Männern des Rates, klar gemacht, wie wichtig dieser Broterwerb für die Frauen und den Unterhalt der Familie sei. Die Indunas widersprachen nicht, zumal die meisten jungen Männer aus Isandlwana längst in die Städte ausgewandert waren, um Arbeit zu finden. Vielen blieb das zwar verwehrt, doch neue Frauen fanden sie schon. Und die Zurückgebliebenen waren plötzlich nicht mehr nur Erzieherinnen ihrer Kinder, Hüterinnen des Viehs, Sklavinnen der Felder, Helferinnen der Alten - sie waren jetzt auch noch mittellos. "Sah man davon ab, dass die Männer alle paar Monate nach Hause kamen, ein paar hundert Rand mitbrachten und den Wunsch nach Sex, standen diese Frauen praktisch allein da", erzählt der Inkosi. Und das in Isandlwana, wo es außer der Erinnerung an Schlachten, einem schlecht bestückten Lebensmittelladen und der großen Lodge nichts gibt. "Empowerment", sagte der Inkosi daraufhin zu seinen Ältesten, das brauche man. Nicht "Black Economic Empowerment", wie es die Regierung verlange, sondern "Woman Empowerment". Und die anderen nickten. Bis etwas Unerwartetes geschah. Eine der Frauen, nun auf eigenen Beinen stehend, ließ sich scheiden. Die Räte sahen die Tradition in Gefahr, die Männer ihre Ehen, die Ältesten den Respekt. Der Inkosi blieb hart und verwies auf Entscheidungen der Regierung, wonach ein Inkosi für solche Kooperativen zu sorgen habe.

In derartigen Momenten ist es gut, nach einem Ausblick zu fragen. Dem Schimmer einer Hoffnung, der verspricht, dass alles gut werden könne im Zulu-Land rings um den roten Isandlwana-Berg. Zu fragen, damit sich eigene Sehnsüchte erfüllen. Dieser dumme Wunsch, wenn schon die eigene Existenz keine innere Sicherheit mehr bietet und sich rasant im Wahnsinn dreht, an einem anderen Ort das Wahre und Reine zu finden.

Das Inkosi lächelt. Andere Touristen, sagt er, die brauchte man. Nicht mehr den britischen Schlachtenfanatiker. Ethnologen zum Beispiel. Scharen davon. Leute, die Geld in die Hütten brächten. Auf dass man endlich mit vollem Bauch über den Sinn all dieser Traditionen nachdenken könne.

Hinweis: Rundreise durch Kwazulu Natal mit dem Mietwagen ab 1.425 Euro. Infos unter Tel:02268-9098-0/ info@umfulana.de. Isandlwana liegt entlang der Nguni-Route. Von Kwazulus Hauptstadt Pietermaritzburg nimmt man die 33 in Richtung Dundee und biegt hinter Helpmekaar rechts nach Rorkes Drift ab.


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