Korruption ist immer

Albanien Die Proteste gegen Premier Edi Rama reißen nicht ab. Dass die Opposition etwas besser machen würde, glaubt jedoch kaum wer
Ausgabe 23/2019
Tirana explodiert noch lange nicht, auch wenn Feuerwerk zum Protest gehört
Tirana explodiert noch lange nicht, auch wenn Feuerwerk zum Protest gehört

Foto: Gent Shkullaku/AFP/Getty Images

Seit Monaten demonstrieren Anhänger der oppositionellen Demokratischen Partei (PD) in Tirana. Sie verlangen den Rücktritt von Premier Edi Rama und Neuwahlen, gerade so, als ließen sich die Probleme eines Landes mit dem Verschwinden einer Person lösen (der Freitag 15/2019). Was bei der medialen Reflexion im Ausland oft so aussah wie eine Menschenmenge, erwies sich zumeist als Trüppchen, nur Blickwinkel und Interesse der Beobachter ließen es nach Masse aussehen. Tatsächlich bestanden die „Demonstrationszüge“ oft aus müden alten Männern in abgetragenen Bundfaltenhosen und Blouson-Anoraks, deren Rufe in der Kakofonie der Stadt verhallten.

Die Jugend will in die EU

Seit zwei Wochen indes geraten Schwung und Drama in die Protestmärsche. Demnächst stehen in Albanien Kommunalwahlen an, und die Opposition versucht, im Vorwahlklima die mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament regierenden Sozialisten zu diskreditieren, um Boden gutzumachen. Dem Drehbuch von Aufständen folgend, versammeln sich immer wieder einige Hundert vor dem Parlament und halten ihre Plakate hoch, auf denen die Politiker, allen voran Rama, der Wahlmanipulation und Korruption bezichtigt werden. Molotowcocktails werden gezündet, Rauchbomben geworfen, Farbbeutel gegen Fassaden geschleudert. Die Empörten lassen sich auch nicht vertreiben, wenn die Polizei anrückt und Wasserwerfer einsetzt. Es gibt Verletzte, vor allem internationale Aufmerksamkeit. Allerdings nicht jene, die sich die Protestierenden wünschen. Es bleibt beim beschwichtigenden Gemurmel ausländischer Politiker, die zu Ruhe und Besinnung mahnen, weil sie um die Stabilität Albaniens fürchten. Auch die Experten, die den Balkan als jederzeit entzündbares Pulverfass sehen, marschieren auf.

Albanien zählt mehr Bewohner in der Diaspora als im eigenen Land. Geschätzt vier Millionen haben ihre Heimat verlassen, drei Millionen leben noch in einem der ärmsten Länder Europas, in dem es wirtschaftliches Potenzial gäbe, dies zu ändern. Doch würde dazu die Aufnahme in die EU gebraucht. Albanische Regierungen arbeiten seit Jahren parteiübergreifend darauf hin, blockieren sich aber immer wieder selbst, durch Korruption, Wahlbetrug, kriminelle Geschäfte, eine verschleppte Justizreform oder einfach Inkompetenz. Dem gegenüber steht ein wahrer EU-Enthusiasmus der Jugend. Einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge ist die Zustimmung zum EU-Beitritt bei den 20- bis 30-Jährigen in keinem Balkanland so hoch wie in Albanien, sie liegt bei 93 Prozent.

Bereits im Januar gab es in Tirana Proteste, als sich Studenten versammelten, um Professoren mit seriös erworbenen Titeln, Studentenheime ohne Verfall und Schimmel, eine Zukunft durch Arbeit zu fordern. Zu jener Zeit bereits wurde Rama und seinem Kabinett Korruption vorgeworfen, nicht aber eine Demission gefordert. Als die Regierung versprach, das Gespräch mit den Studenten zu suchen, flaute der Sturm wieder ab.

Ende Februar dann legten die 60 Abgeordneten der konservativen PD unter ihrem Vorsitzenden Lulzim Basha als Zeichen des Widerstands ihre Mandate nieder. Was folgenlos blieb, doch spätestens, wenn Ende Juni die kommunalen Parlamente gewählt werden, gravierende Konsequenzen haben könnte, sollten die Demokraten dieses Votum boykottieren.

Aldo Merkoci, Direktor von „Mjaft!“, der einflussreichsten zivilgesellschaftlichen Organisation im Land, bezeichnet die Demonstrationen als „Spiel“. Mit den gleichen Vorwürfen, die jetzt laut würden, gerichtet gegen die damals regierenden Demokraten, hätten die Sozialisten 2017 die Wahl gewonnen. Auch sie hätten die Verwicklung in unlautere Geschäfte beklagt und versprochen, unter ihrer Regierung werde alles besser. Der 33-jährige Merkoci residiert in einem Bürohaus, das in der Innenstadt von Tirana liegt. Je länger er über die derzeitige Lage räsoniert, desto erschöpfter sieht er aus. Es gehe bei den Demonstrationen nicht um Inhalte, die Opposition wolle ihre Schwächen überspielen. „Was ist das für eine Forderung, der Premier soll gehen? Man kann Reformen fordern, Transparenz, mehr Bürgerbeteiligung. Aber der Rücktritt eines gewählten Regierungschefs wird die Zustände in Albanien nicht ändern.“ Lulzim Basha, so glaubt Mercoci, sei keine Alternative zum jetzigen Ministerpräsidenten. Im Gegenteil, er habe sich als geradezu lächerliche Figur präsentiert, zum Regieren tauge er gewiss nicht. Er wolle nicht vollkommen frustriert klingen, aber „keiner unserer Politiker hat Vertrauen verdient. Was da jetzt stattfindet, erinnert an Schach. Bedrohst du meinen König, bedrohe ich deinen.“

Sie wollen nur fort

Edi Rama Korruption vorzuwerfen, sei billig. „Korruption ist in Albanien eine Mentalität. In den 13 Jahren, die es unseren Verband gibt, haben wir wenig Fortschritt gesehen. Egal, wer gerade an der Regierung war. Noch immer wandert die Jugend in Massen aus, weil sie auf keinen Wandel mehr hofft. Das Problem ist: Wir Albaner sind ein großer Clan, am Ende wäscht immer eine Hand die andere.“

Tatsächlich fand man bis Mitte Mai am Rand der Proteste kaum Passanten, die sich solidarisieren wollten. Auf die Frage hin, ob eine Revolution heraufziehe, fingen die meisten an zu lachen und meinten, sie glaubten nicht an irgendeinen Umsturz, sie wollten nur fort. „Ob Rama oder Basha, was macht das aus?“ Die Studentin Altena Kodraj, 21, hat geradezu Mitleid mit den Demonstranten. „Das sind arme Menschen, die jeden Tag darum kämpfen müssen, ihre Rechnungen zu bezahlen. Die klammern sich an jeden Strohhalm.“ Afrim Krasniqi, Politologe und Begründer des Albanischen Instituts für Politische Studien, ist so etwas wie der Vorzeige-Analyst. Wann immer es dem Ausland zu erklären gilt, was gerade passiert, wird Krasniqi bemüht. Führen die Demonstrationen in eine neue Ära? Krasniqi winkt ab. „Albanien hat eigentlich keine Opposition, das ist unser Problem. Rama und Basha zappeln im selben Netz aus Korruption und Vetternwirtschaft. Die Opposition kann nur so weit gehen, wie die Regierung es zulässt.“ Diesmal habe Basha seine Möglichkeiten weit überschritten, glaubt Krasniqi, weil er den Einflussbereich seiner Partei vergrößern wolle. „Die meisten Länder auf dem Balkan haben religiöse oder ethnische Probleme. Wir haben Luxusprobleme. Bei uns geht es nur darum, wer was kontrolliert.“

Vielleicht hat sich in Tirana, wo es mehr Cafés gibt als in Wien und jeder Luxus zu haben ist – freilich nur für die Reichen –, mehr Wut angestaut, als auf den ersten Blick sichtbar ist. Vielleicht war es auch die Erkenntnis, noch sehr weit vom Eintritt in die EU entfernt zu sein. Im Juli sollen erste Beitrittsgespräche starten, doch kaum jemand glaubt an ein zügiges Vorankommen. Zwar ist die Justizreform gelungen, Richter mit einem Privatvermögen, für das sie keine Erklärung haben, verloren ihren Posten, nur hat ein grundlegender Systemwandel nicht stattgefunden. Vor allem im Bausektor in den großen Städten fehlt es an Transparenz, und für die Besetzung wichtiger Posten gibt es kaum Kandidaten, die jenseits des Systems stehen und unbelastet sind.

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