Mein Reichtum komme

Kollekten In Nigeria boomt das Geschäft mit dem Glauben: Prediger werden wie Stars verehrt und fliegen im Privatjet
Ausgabe 31/2018

Nach 30 Minuten ist es vorbei. Da sitzt keiner der Besucher mehr auf seinem Stuhl. Alle wiegen sich, tanzen, haben die Arme erhoben, rufen Hallelujas. Vorn auf der Bühne rockt der Chor, ein junger Mann mit einer Gitarre hüpft auf und ab. Vier Kameras erfassen das Geschehen, übertragen abwechselnd den Chor, den Gitarristen oder das Publikum auf eine riesige Leinwand. Leise surren die Klimaanlagen.

Der Gitarrist legt sein Instrument beiseite und ergreift ein Mikrofon. Er hat sein schwarzes Jackett ausgezogen, das weiße Hemd klebt an seinem Körper, Schweiß rinnt über sein Gesicht. „Und nun alle“, schreit er, „zeigt Jesus, dass ihr ihn liebt, lasst euch fallen in die Hände des Herrn.“ Der Chor tritt in Engelskleidern nach vorn an den Bühnenrand. „You can move mountains.“ Die Menge fällt in das Lied ein, auf der Leinwand blinken nun abwechselnd Sterne und fließen Bäche durch Blumenwiesen.

Es ist Sonntagmorgen, 10.30 Uhr in der Covenant Christian Church in Lagos, der größten Stadt Nigerias. Covenant, das bedeutet sich verpflichten, sich binden. Genau das zu erwirken, ist die Botschaft dieses Gottesdienstes. Es ist der vierte an jenem Morgen, seit 5.30 Uhr ist Pastor Poye Ojumade, dem diese Kirche untersteht, im Dienst. Mit Hilfe seiner Vorbeter, des Chores und der Leinwand-Show heizt er seinem Publikum so lange ein, bis auch der Letzte willig und großzügig Geld in einen der Opferstöcke wirft. Für all jene, die große Summen spenden wollen, liegen auf den Sitzen Briefumschläge, ab 300.000 Naira (etwa 850 Euro) wird man namentlich erwähnt, für höhere Summen gibt es Urkunden und Ehrenämter. Wer online spenden möchte, der kann seine Kreditkarte einsetzen oder bequem über Zahlungsportale gehen.

Ich kann wieder sehen!

In Nigeria leben derzeit mehr als 184 Millionen Menschen. Der Süden ist mehrheitlich christlich, der Norden muslimisch. 40 bis 45 Prozent der Bevölkerung sind Christen, also etwa 80 Millionen Menschen. Davon gehören 19 Millionen der römisch-katholischen Kirche an, 17 Millionen der anglikanischen Church of Nigeria, die damit die zweitgrößte anglikanische Glaubensgemeinschaft nach der Church of England ist. Die anderen Christen, rund 40 Millionen oder mehr, sind Mitglieder der rasant wachsenden Zahl der Pfingstkirchen, zu deren Bund auch die Covenant Christian Church gehört. Ihre Mitglieder sind „born-again-christians“, sprich: Christen, die ein Erweckungserlebnis hatten. Ist Nigeria der religiöseste Staat der Welt?

Vornehmlich in Lagos entstehen immer neue und immer größere Gotteshäuser. Sie Häuser zu nennen, ist freilich untertrieben. Oft sind es Hallen, groß wie Flugzeughangars, wie die einen Quadratkilometer an Fläche umfassende Redeemed Christian Church of God. Manche wie die Elevation Church auf der zu Lagos gehörenden Halbinsel Lekki haben die Form riesiger Kathedralen, in denen 200.000 und mehr Menschen Platz finden.

Die Konkurrenz ist groß unter diesen Kirchen. Um bei den Gläubigen auf der Top-Liste zu bleiben, fahren die Pastoren und selbst ernannten Apostel schweres Geschütz wie Teufelsaustreibung oder Wunderheilung auf. Da können Blinde wieder sehen und Aidskranke geheilt werden, da fährt Satan während des Gottesdienstes aus Dutzenden von Menschen, die sich erst in Pein am Boden wälzen und dann errettet der Gemeinde vorgeführt werden. Um Gläubige anzulocken, gibt es außerdem Seminare über eheliche Treue, über den Widerstand gegen jedwede Versuchung oder den Zusammenhang zwischen Geld und Gnade. Üblich sind zudem prägnante Botschaften. Auf der Webseite der Elevation Church prangt eine Faust, die aussieht wie aus dem Fundus des Klassenkampfes, und darunter der Slogan: „Victory through Prayer!“ (Sieg durch Gebet).

Die Seelsorger dieser Kirchen sind nicht selten Millionäre und Multimillionäre, mindestens ein Dutzend von ihnen besitzt Privatjets, Yachten, einen Palast – oder gleich alles. Ihre Namen stehen auf der alljährlichen Forbes-Liste der reichsten Männer weltweit. Ganz vorn: David Oyedepo, Pastor der Living Faith Church, dessen Vermögen auf 150 Millionen Dollar geschätzt wird, ihm folgt Chris Oyakhilome, der nicht nur Kirchen baute, sondern auch in Besitz nahm: 5.000 allein in Nigeria, dazu 63 weitere außerhalb des Landes, außerdem zwei Universitäten und eine Elite-Highschool. Oyakhilomes Vermögen wird auf mehr als 80 Millionen Dollar geschätzt.

Keine Steuer für Kirchen

Nigerias Kirchen werden nicht besteuert, sie gelten als Nonprofit-Organisationen. Doch allein die Investitionen, die mit den Geldern aus Spenden und Opferstöcken getätigt werden, tragen erheblich zur nigerianischen Wirtschaft bei. Allein deshalb werden Kritiker, die beklagen, das alles sei nichts weiter als Big Business, ignoriert. 2001 wurde gegen Chris Oyakhilome ermittelt, weil er Millionen an Spendengeldern aus seinen Kirchen auf ausländische Konten transferiert hatte. Bald jedoch verstummten die Vorwürfe, und zu Oyakhilomes 60. Geburtstag erschienen ehemalige Präsidenten, Minister und Magnaten.

In diesen unheiligen Kirchenhallen sind die Gottesdienste organisiert wie Massenevents: Es gibt Einweiser für die Parkplätze, einen Shuttle-Service mit Bussen für jene, die weiter entfernt wohnen, ein Willkommensteam in der Kirche, dessen Mitglieder wie Hostessen Kirchgänger zu den Plätzen geleiten; Sanitäter, Vorprediger und Vorbeter, ein Kamerateam, kircheneigene Reporter. Pastoren werden verehrt wie Superstars, und manche von ihnen treten auch so auf. Die wahnwitzigste Show liefert Apostel Johnson Suleman ab, ein Wanderprediger, der in ganz Afrika und auch in Europa auftritt. Er trägt bevorzugt Glitzeranzüge, zelebriert auf dem Höhepunkt seiner Shows spektakuläre Wunderheilungen und behauptet, das göttliche Mandat zu haben, „Tränen zu trocknen“. Sulemans Predigten werden live auf einem eigenen Kanal übertragen, seine Facebook-Seite haben 250.000 Menschen gelikt.

„Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.“ Man muss an diese Sätze von Karl Marx denken, wenn man in Lagos in eine Debatte darüber gerät, warum die Kirchgänger ihren ohnehin reichen Pastoren immer noch mehr Geld spenden, warum es keine Empörung über diese unchristliche Geldanhäufung gibt. Die Botschaft von Papst Franziskus, ein wahrer Christ sollte arm sein, ruft in Nigeria nur Kopfschütteln hervor. „Wer Gott auf seiner Seite hat, der ist reich, und wer arm ist, dem fehlt es an göttlicher Gnade“, erklärt Samuel Osadze, ein junger nigerianischer Künstler, der etwa Mitte 30 ist. Osadze sieht das System der Geldeintreibung durch die Megakirchen durchaus kritisch, doch weil ihm von früher Kindheit an gepredigt wurde, nur Gebet und Geldopfer würden zum Glück führen, wagt er es nicht, sich von der Kirche abzuwenden. „Immer wenn ich das tun will, passiert irgendetwas, und dann gehe ich lieber wieder zum Gottesdienst und gebe etwas in die Kollekte.“

„Spiritueller und finanzieller Reichtum sind in unserem Land untrennbar miteinander verbunden“, meint Ebun Ikenze, die nach vielen Jahren in London 2015 wieder nach Lagos zurückkehrte. Die Gottesdienste und die Geldgier seien für sie ein Kulturschock gewesen. Ikenze hat Betriebswirtschaft studiert und kam zurück, weil sie Lagos spannender als London fand, doch inzwischen sei sie sehr befremdet. „In Nigeria redet man immer über Geld. Es bestimmt unser gesamtes Leben, und manche von uns denken, es bestimmt auch Gott.“

Chaos Lagos

Lagos wächst täglich um zwei- bis dreitausend Bewohner, bei 18 Millionen Einwohnern ingesamt. Das Überleben ist ein gnadenloser Kampf. Dreck, Chaos, Lärm, Elendsviertel gleich neben exklusiven Wohndomizilen – es gibt viele Gründe, an und in dieser Stadt zu verzweifeln. Was den Menschen Antrieb gibt, ist der unbedingte Glaube an Aufstieg. Jede Rags-to-Riches-Geschichte wird wie eine Wundererzählung aufgenommen und weitergetragen. Der sonntägliche Kirchgang ist daher mehr als das in Afrika übliche soziale Event nach einer harten Woche, mehr als die stundenweise Erlösung von Leid und Not. Es ist die Hoffnung, Gott möge einen sehen und mit Reichtum beschenken. „Und weil wir denken, Gott schaut nur auf die Reichen, geben wir dem Pastor viel Geld und hoffen, dass von Gottes Blick auf den Seelsorger ein Nebenblick auf uns abfällt“, sagt Ikenze.

Mit dem Glauben daran, dass der Weg zu Gott nur über ihn und Geldspenden läuft, spielt Pastor Ojumade. Er taucht erst in den letzten 30 Minuten des fast zweistündigen Gottesdienstes auf. Da haben seine Vorbeter, die Band und der Chor die Gläubigen bereits zu Tränen und Lobpreisungen bewegt. Die Menge tanzt enthusiastisch, und sie singt. Wie die meisten Pastoren der Pfingstkirchen in Nigeria hat Ojumade kein Theologie-Studium, sondern nur eine informelle theologische Ausbildung absolviert. Seine Autorität gründe auf Berufung, ist er überzeugt.

Gegen die egomanischen Glaubensspektakel in den Großkirchen ist die Covenant Christian Church schon fast ein Ort der Seriosität. In die drei zu ihr gehörenden Gotteshäuser passen jeweils nur einige Tausend Gläubige, und nicht alle Bänke sind zu jedem Gottesdienst besetzt. Zum Superstar fehlen Ojumade noch viele Meilen. Seine Predigt an diesem Tag hat die Botschaft, der Mensch solle aufhören, selber denken und handeln zu wollen. Er extemporiert, ein Vater versuche seinen missratenen Sohn auf den rechten Weg zurückzubringen, doch es will ihm nicht gelingen, alle Erziehung schlägt fehl. Bis der Vater verstehe, er müsse das Problem Gott überlassen. „Übergebt euch Gott“, ruft Ojumade, „und vergesst nicht, euer Geld mit den Armen zu teilen.“ Dann werden von jungen Männern mit Anzug und Krawatte die Opferstöcke durch die Reihen getragen, noch einmal singt der Chor das Lied vom Berge versetzenden Herrn Jesus. Osadze wirft ein paar Scheine ein, der Opferstockträger zieht kritisch die Augenbrauen hoch. Brav legt der Künstler noch etwas nach.

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