Sehr alte Muster

Palästina Ist das Terror? Noora Khalifeh verkauft in Ramallah Designermode mit traditionellen Stickereien. Hier können selbst Hochzeitskleider zum Politikum werden
Ausgabe 26/2018

Das Auftragsbuch ist voll, denn viele Frauen wollen solche Kleidungsstücke tragen, die zeigen, wie reich die Tradition Palästinas ist – schwere, üppig bestickte Mäntel, lange Kleider, Röcke mit aufwendigen Mustern. Oder Seidenblusen, deren gestickte Motive Frauen erfanden, die vor vielen hundert, vielleicht schon tausend Jahren lebten – und die seither kaum verändert wurden. Nur die Schnitte sind der heutigen Mode angepasst.

Nakba heißt Katastrophe und eine solche war es auch, als 700.000 Palästinenser nach der israelischen Unabhängigkeit im Mai 1948 aus dem ehemaligen britischen Mandatsgebiet Palästina vertrieben wurden. Ein furchtbares Unglück, sagt Designerin Noora Khalifeh, von der sich ihr Volk nie wieder erholt habe. Schlimm, dieser Tag, für die Menschen und ihr Leben, aber auch ein Einschnitt für die Kultur und vor allem in der Mode. Nie wieder war diese so elaboriert, so kunstvoll wie zuvor. In den Flüchtlingslagern hatten die Frauen weder Zeit noch Geld für die aufwendigen Stickarbeiten, mit denen man die Abende füllte, als die Palästinenser noch in ihren Dörfern lebten. Als jedes Kleidungsstück zeigte, woher man kommt und welchen sozialen Status man besitzt, als man Gold- und Siberfäden in die Festgewänder stickte und die Muster Wünsche zeigten: Gesundheit, Glück, Hingabe, Liebe, Reichtum.

Laden in der Altstadt

Noora Khalifeh hat ihren kleinen Laden für Designermode „Made in Palästina“ vor einigen Jahren auf einem der stillen Hügel von Ramallah in der Westbank eröffnet. „Nooras Heritage House“ hat sie ihn genannt, und wer diesen googelt, findet ihn unter Heimatmuseum. Vielleicht deshalb, weil die Designerin auch solche Stücke ausstellt, die vor langer Zeit genäht und bestickt wurden, weil sie alte Stoffe bewahrt und in ganz Palästina nach Schriften und Mustern über traditionelle Stickarbeiten sucht.

Khalifeh ist 33 Jahre alt, blond, elegant und selbstbewusst. Sie hat einen gut verdienenden Ehemann und erwartet ihr drittes Kind. Ohne den Ehemann im Rückhalt könnte sie ihren Laden wohl kaum halten, denn die lokale Bevölkerung von Palästina ist zu arm, die teuren Designerstücke zu kaufen. Ihre Kundschaft kommt aus einer kleinen Oberschicht der Palästinenser oder aus der Diaspora in Amerika und Westeuropa. Einmal hat sie ihre Mode in Paris gezeigt, danach boomte ihr Laden für eine kleine Weile, dann ebbte es wieder ab. Nur zu Festtagen oder in den Wochen vor dem Jahrestag der Nakba kommt viel Kundschaft in den Laden.

Die Beschäftigung mit der Mode ihrer Heimat ist der Designerin in die Wiege gelegt. Ihr Vater betrieb einen Laden in der Altstadt von Jerusalem, wo er Kleidung und Souvenirs aus der heutigen Westbank und aus Gaza verkaufte. Noora, das Kind, begleitete ihn, wenn er zu den Frauen fuhr, von denen die Stoffe für ihn zugeschnitten wurden, und die in ihren Ateliers die Modelle nähten und bestickten. „Ich saß stundenlang und sah zu, wie die Frauen Stich um Stich machten, wie sie Perlen und Münzen an die Gewänder nähten. Und alles aus dem Kopf, oft hatten sie keine Vorlagen, malten die Muster nicht auf. Diese Frauen haben in mir Achtung und Liebe für die Kleidung meiner Heimat gesät.“

Zum 70. Mal beklagte man vor Wochen in Palästina am 15. Mai die Vertreibung – einen Tag nachdem man in Israel die Unabhängigkeit gefeiert hatte. Ein Freudentag auf der einen, ein Tag der tiefen Trauer auf der anderen Seite. Für Noora Khalifehs Umsatz ist die Trauer um alles, was verloren ging, gut, denn sie bringe die Frauen ihres Landes dazu, sich auf ihre Wurzeln zu besinnen. „Kleidung, das ist eine Möglichkeit, unsere Kultur zu zeigen. Aber sie ist auch eine Botschaft. Wer Frieden will, möchte Tauben oder andere Vögel als Motiv, wer Glück will, Regenbogen und Blumen. Wer die Wüste mag, wählt gelb, wer das Meer liebt, entscheidet sich für blau. Während der ersten Intifada wurden Hände in die Kleidung gestickt, es waren die Hände der Gefangenen.“ Draußen, in den Straßen vor Khalifehs Laden, die den Hügel hinab in die Altstadt von Ramallah führen, heulen in diesen Tagen die Sirenen. Seit Monaten, seit der amerikanische Präsident das geteilte Jerusalem zur Hauptstadt Israels erklärte, werfen Palästinas Jugendliche an den Kontrollposten rund um die Stadt Steine gegen schwer bewaffnete israelische Soldaten. Schon ihre Väter zeigten so ihren Protest gegen die Besatzung, und wahrscheinlich werden es auch ihre Kinder noch tun, denn eine Lösung des Nahostkonflikts ist inzwischen unwahrscheinlicher denn je. Die Steine sind ein hilfloser Akt der Selbstbehauptung, der naiv und kindlich erschiene, gäbe es nicht bei fast jedem dieser Zusammenstöße Verletzte, oft Tote unter den Jugendlichen. Manche sind noch Kinder.

Harmlos, fast ohne Relevanz, scheint dagegen der Kampf, die Kunst der Stickerei zu retten, jene Stoffe zu bewahren, in die der Stolz über Herkunft und Status eingewebt ist. Doch Noora Khalifeh sagt, jedes Bewahren sei eine Form des Widerstandes gegen jene, die behaupteten, dort, wo heute der Staat Israel sich erstrecke, habe es zuvor nur Wüste und eine Handvoll kulturloser Nomaden gegeben. „Wissenschaftler sagen, die Muster, welche die palästinensischen Frauen sticken, sind womöglich schon dreitausend Jahre alt und blieben unverändert, bis mit den Briten westliche Einflüsse ins Land kamen.“

Khalifehs Näherinnen und Stickerinnen sind, wie schon zu Zeiten ihres Vaters, Frauen aus Gaza. In diesem Teil Palästinas, vom Rest des Landes abgeschnitten, mehr Lager als Land, sind Armut und Hoffnungslosigkeit besonders groß. Nicht nur Israels Politik erschwert dort den Alltag, auch die Palästinensische Autonomiebehörde entzieht dem Gazastreifen Geld und Beistand. Denn dort hat die als radikal geltende Partei der Hamas ihre vehementesten und treuesten Anhänger, und für diese Anhängerschaft wird eine ganze Bevölkerung abgestraft.

Gazas Frauen aber sind seit Jahrhunderten für ihre Stickkunst und ihre Entwürfe bekannt, ihre Hände schaffen die feinsten Stücke. Nach der Nakba, als die Zugehörigkeit zu einem Dorf, einer Familie oder Sippe verschwand und die Menschen nur noch Flüchtlinge waren, ging auch der individuelle Stil verloren, den man in jedem Dorf einst pflegte. Und wenn die Frauen aus dem Gazastreifen heute sticken, dann tun sie es im Rahmen von Hilfsprojekten, verzieren Kleidungsstücke mit westlichen Schnitten.

Die Kufiya kommt aus Indien

Auch Khalifeh geht es darum, die Armut zu mindern, 80 Frauen ein Einkommen zu sichern. Doch zugleich ermutigt sie ihre Stickerinnen, die Roben, Mäntel und Blusen mit dem traditionellen Kreuzstich nach alten Vorlagen zu besticken. Am arbeitsintensivsten sind die Hochzeitskleider aus Samt und Leinen, so üppig bestickt und mit Münzen verziert, dass sie drei bis vier Kilo wiegen. Und nicht immer gelingt es, diese Stücke aus dem abgeriegelten Gazastreifen nach Ramallah zu holen. „Es ist schwer, Waren von dort zu exportieren oder Stoffe hineinzubringen. Immer wieder muss ich mit israelischen und palästinensischen Behörden verhandeln, wird mir durch die Blume unterstellt, Terrorismus zu unterstützen. So weit ist es mit diesem Konflikt, dass selbst Mode zwischen die Fronten gerät.“

Und noch eine andere Entwicklung macht Khalifeh das Leben schwer. Importe mit minderwertigeren, dünneren Stoffen, deren Muster maschinell aufgestickt sind, haben die palästinensische Textilindustrie längst in die Knie gezwungen. Denn diese Kleider und Jacken werden in großer Zahl gefertigt und kosten nur ein Bruchteil der handgefertigten Einzelstücke, die Khalifeh in ihrem Atelier verkauft. Selbst die Kufiya, das schwarz-weiß karierte Tuch, das der ehemalige Präsident Yassir Arafat weltweit bekannt machte und das bis heute ein Symbol des palästinensischen Kampfes um Recht und Freiheit ist, wird nun in China und Indien hergestellt.

Künftig, sagt Noora Khalifeh, wolle sie die Kontakte zu Boutiquen in Paris, Marseille und New York intensivieren, nicht nur des betriebswirtschaftlichen Überlebens willen. Auch, um in diesen Zeiten, in denen der Konflikt wieder einmal unlösbar scheint, dem Bild entgegenzuwirken, in Palästina gäbe es nur Trauer und Terror. „Die Frauen in meinem Land strebten immer auch nach Schönheit und Eleganz. Das ist eine Seite, die wir der Welt zeigen müssen, wollen wir nicht reduziert werden auf die Frage Opfer oder Täter.“

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