Marmortische aus Indien, Blumenkleider aus Bangladesch, Gold aus Burkina Faso, Diamanten aus Sierra Leone, Pornovideos aus Thailand, T-Shirts aus der Türkei – am Anfang all dieser Produkte steht häufig die Ausbeutung von Kindern. Zwar ist die Zahl von Minderjährigen, die arbeiten und nicht zur Schule gehen, in den vergangenen 20 Jahren gesunken, dennoch arbeiten laut Internationaler Arbeitsorganisation (ILO) weltweit gut 265 Millionen Kinder. Davon fast zwei Millionen, so das Kinderhilfswerk Unicef, unter Bedingungen, die ihre Gesundheit akut gefährden.
Die Vereinten Nationen (UN) hatten 2021 zum Jahr der Ächtung von Kinderarbeit erklärt und eine Kampagne zu deren definitiver Abschaffung bis 2025 ins Leben gerufen. Eine Intention, die dem westlichen Kanon von Kindern als schutzwürdigen Wesen Rechnung trägt, doch wie realistisch ist das für 2025 ausgegebene Ziel? Und liegt es im Interesse der Kinder? Ein Blick auf die Fakten lässt zweifeln. 52,8 Prozent aller arbeitenden Kinder lebten 2020 in Asien, 30,2 Prozent im subsaharischen Afrika, der Rest in Lateinamerika und der Karibik. Regionen, in denen die Armut groß ist und Kinder den Lebensunterhalt von Familien sichern helfen. Hinzu kommt seit fast zwei Jahren eine Pandemie, die ganze Volkswirtschaften kollabieren lässt. Millionen Menschen haben in Nordafrika oder Lateinamerika ihre Existenz verloren und sehen sich gezwungen, ihre Kinder für Lohnarbeit in die Städte, in Minen und Ziegelfabriken oder als fliegende Händler auf die Straße zu schicken oder an Warlords zu verkaufen.
Wer Kinderarbeit abschaffen will, muss zunächst extremer sozialer Ungleichheit begegnen. Urszula Markowska-Manista, Dozentin für Kinderrechte an der Universität Warschau, warnt vor radikalen Lösungen, „die im Namen einer höheren Idee andere Kinderrechte wie das Recht auf Arbeit, Ernährung und Mitsprache einschränken“. Auch die Organisation Kindernothilfe hält nichts von einem Verbot. Kinderarbeit finde vorrangig im informellen Sektor statt, so deren Kinderrechtsexpertin Lea Kulakow, umso wichtiger sei es, die strukturellen Ursachen für Kinderarbeit anzugehen. Das heiße, die Lebensumstände vieler Menschen nachhaltig zu verbessern.
Der größte Teil von Kinderarbeit wird innerhalb familiärer Strukturen verrichtet – als Viehhirte, Ziegelbrenner oder Erntehelfer. Im Extremfall kommen Prostitution oder Militärdienst in Betracht. Weil zu wenig getan wird, um die Täter zu verfolgen, gehört der Handel mit Kindern in der Sexindustrie neben Drogen- und Waffengeschäften inzwischen zu den lukrativsten Branchen – und wird vorzugsweise von westlichen Kunden finanziert.
Weltweit gibt es derzeit 250.000 bis 500.000 Kindersoldaten. Rekrutiert für Kriege, an denen die Herkunftsländer der Kinder ihren Anteil haben. Kann man ernsthaft erwarten, dass Milizenchefs, die Kinder entführen, um aus ihnen Soldaten zu machen, eine UN-Kampagne zur Abschaffung von Kinderarbeit beeindruckt?
Händler und Erntehelfer
Kinderrechte sind Menschenrechte, unteilbar, universell und unveräußerlich. Das bedeutet: Was für ein Kind gilt, muss für alle Kinder gelten, ohne Abstriche. Festgeschrieben sind die Kinderrechte in einer UN-Konvention von 1989, der mittlerweile 196 UN-Mitgliedstaaten (nicht die USA) beigetreten sind, zuletzt Somalia und Südsudan 2015. Zusätzlich benennt das ILO-Abkommen 182 von Ende 2000 die globale Verpflichtung, die schlimmsten Formen von Kinderarbeit – sexuelle Ausbeutung, Sklaverei, den Kriegseinsatz oder andere Tätigkeiten, die Gesundheit, Moral oder Psyche beeinträchtigen – abzuschaffen. Seit 2020 haben alle 187 ILO-Länder diese Übereinkunft ratifiziert.
Ein Blick auf die Wirklichkeit von Kindheiten jenseits gut situierter Kreise in der westlichen Welt zeigt, dass die Universalität von Kinderrechten Wunschdenken bleibt. An der wirtschaftlichen Ausbeutung des globalen Südens ändert sich nur wenig, schon gar nicht an der Lebenswirklichkeit heranwachsender Generationen. Trotz vieler PR-wirksamer Versprechen von Unternehmen, fair zu produzieren, produzieren Kinder in armen Ländern weiter günstig Waren für die Konsumbedürfnisse wohlhabender Gefilde und sind für ein neoliberales Wirtschaften unverzichtbar. So urteilt der Verein ProNats, der Hilfe für arbeitende Kinder und Jugendliche fördert: „Das Projekt einer Welt ohne Kinderarbeit ist die Fortführung eines vorgeblich humanistischen Diskurses, der auch schon gewalttätige koloniale Praktiken legitimiert hat.“ Der „Politik gegen Kinderarbeit“ liege ein eurozentrisches Kindheitskonzept zugrunde, das als einzig mögliche Form von Kindheit propagiert werde.
Sicher gab es zuletzt etliche Erfolge, sodass weniger Kinder schwere Arbeiten verrichten müssen, öfter in die Schule gehen und mehr Regierungen Gesetze zum Schutz von Kindern erlassen haben, um mehr Kinder aus der Armut zu holen. Doch blieb durch die Pandemie davon nicht soviel übrig, zumal eine globale Flüchtlingsbewegung darauf Einfluss hat. Kinder auf der Flucht sind anfällig für Ausbeutung, bereits vor fünf Jahren erstellte das Kinderhilfswerk Terre des Hommes einen Bericht, der zeigte, wie leicht Flüchtlingskinder für Kinderarbeit zu rekrutieren sind. Von gegenwärtig 79,5 Millionen Menschen auf der Flucht sind 40 Prozent unter 18 Jahren. Je nach Fluchtroute landen 40 bis 75 Prozent von ihnen unterwegs in ausbeuterischen Verhältnissen, weil sie Geld für Schleuser brauchen. Terre des Hommes fand Beweise, dass Minderjährige aus Syrien zu Zwangsarbeit oder Prostitution gezwungen werden. Die britische BBC deckte auf, wie Flüchtlingskinder in der Türkei für das Modeversandhaus Asos und den Konzern Marks & Spencer produzieren. Inwieweit dabei der Schutz vor Übergriffen, Krankenversicherungen, Mindestlöhne und ein wirksamer Arbeitsschutz von Belang sind, sei dahingestellt. Nicht zuletzt deshalb haben die Kindernothilfe und Terre des Hommes die globale Kampagne „Dialogue Works“ ins Leben gerufen. Dies führte zu 25 Kinderkomitees mit je 10 bis 15 Teilnehmern. Auch andere Hilfsorganisationen haben ähnliche Gruppen der Selbsthilfe oder Patenschaften begründet, die es Kindern ermöglichen sollen, nicht mehr arbeiten zu müssen. Ein großer Chor, der Forderungen der Kinder laut in die Welt trägt, ist daraus bisher nicht geworden.
Wo man Kinderarbeit bekämpft, wird sie oft kriminalisiert, aber nicht abgeschafft. Es gibt Textilfabriken in Bangladesch, in denen Kinderarbeit verboten ist, Kinder aber dennoch beschäftigt werden, nun versteckt und ohne Schutz. In Lateinamerika werden arbeitende Kinder oft zu Opfern von Polizeigewalt. Da Kinderarbeit illegal ist, wird kein Polizist dafür je zur Rechenschaft gezogen. Und wer Familien zwingt, die Kinder zur Schule zu schicken, riskiert damit schlechtere Lebensumstände für alle Beteiligten. Zudem gilt, ein Kind, das zum Lebensunterhalt beiträgt, läuft kaum Gefahr, verkauft oder verstoßen zu werden.
Diese Gefahr sieht auch die Kindernothilfe. „Ein Verbot kann die Lage von arbeitenden Kindern sogar noch verschlechtern. Sie werden dann möglicherweise in Verhältnisse gezwungen, in denen sie größeren Risiken ausgesetzt sind“, findet Lea Kulakow.
Kommentare 9
ja.
1. kinder sind schutz-bedürftig und ihr lächeln
ist mit auf-wand der eltern verbunden.
kinder-reichtum geht oft mit armut zusammen.
2. arme bevölkerungen, die unter existenziellem druck stehen
(wie und wo der druck herkommt, und wie abzustellen ist,
ist als rätsel uns anderen aufgegeben), nutzen die hilfe von kindern bei der
feld-/haus-/heim-arbeit (seit je) in familiärem rahmen.
die außer-häusige arbeits-kraft-nutzung von kindern in massen:
ist von anderem kaliber.
3. kriminalisierung von derartiger kinder-arbeit,
ohne die mittel zu deren ab-schaffung zu bieten,
ist un-redlich:
wie sklaven in ketten wegen ihrer submissiven haltung zu verachten.
Ein sehr guter Artikel. Die Argumentation sollte eigentlich jedem einleuchten, bekannt ist das alles schon sehr lange.
Ohne gerechtere globale Handelsbeziehungen bzw. definitiv weniger "Freihandel" lassen sich die wichtigsten Menschheitsprobleme wie die Klimaerwärmung, das Artensterben, die Überbevölkerung, die "Migrationskrise", Hunger, Armut und auch die Kinderarbeit nicht lösen. Und auch weitere Pandemien werden dadurch immer wahrscheinlicher.
Das verbote von Kinderarbeit die Lage der Kinder noch verschlechtern können ist wirklich traurig...aber einiges kommt wohl davon, dass eben nicht durgegriffen wird, oder sich die Staatsmacht falsch verhällt.
z.B. Kriminalisierung von dennoch arbeitenden Kindern, statt den Fabrikbesitzer einzusperren! Und am Besten noch alle Firmen in der Lieferkette direkt haften zu lassen!
So was war mit dem "Lieferkettengesetz" bei uns letzte Legislatur in der Kroko vorgesehen gewesen.
Von der SPD pompös im Koalitionsvertrag angekündigt, hat es sich die CDU dann doch (wie erwartet) anders überlegt....der Druck der Konzerne aus dem Einzelhandel war wohl "zu groß".
https://www.blaetter.de/ausgabe/2021/april/radikal-verwaessert-das-neue-lieferkettengesetz
"Mit einer beispiellosen Lobbyoffensive war es den Wirtschaftsverbänden und dem Wirtschaftsflügel der Union gelungen, die Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil und Entwicklungsminister Gerd Müller empfindlich abzuschwächen. Dem Schutzanspruch von universellen Menschenrechten wird das Lieferkettengesetz damit nicht gerecht."
Erstens bleibt die vollumfängliche Sorgfaltspflicht für deutsche Unternehmen nur auf direkte Zulieferer beschränkt.
-> Ein weiteres Subunternehmen mit Kinderarbeit befreit von jeder Haftung und man ist in Deutschland fein raus. puh.
"müssen Unternehmen die Risiken bei mittelbaren Zulieferern nur dann untersuchen, wenn sie bereits „substantiierte Kenntnisse“ über mögliche Verletzungen der Menschenrechte erlangt haben."
-> substantielle Kentnisse, aha...was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.
"Kaum hatten Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Bundeskanzlerin Angela Merkel dem Kompromiss zugestimmt, rief der CDU-Wirtschaftsrat die Abgeordneten auf, das „linksideologische“ Projekt im Bundestag gänzlich zu „stoppen“.
TJa, Die SPD hat dann ein Paar Krokodilstränen geweint, aber wer lässt schon die Koalition platzten, wegen Kindern in der 3. Welt.
Solch zahnlose Gesetzte sind nicht mal das Papier wert, auf welchem sie stehen. Danke CDU, danke SPD.
Ich meine schließlich produzieren wir ja in Asien um Arbeitsstandards und Menschenrechte zu unterlaufen ...sonst könnten wir ja gleich wieder in Europa produzieren und dem Klima helfen, aber das will ja niemand.
GO Deutschland.
Der CDU-Wirtschaftsrat ist auch so ein Verbrecherverein... Meldung von heute:
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/juristische-bedenken-gegen-die-rolle-des-wirtschaftsrats-in-der-cdu-a-de15d808-ddb0-4ad6-9240-93c714c5845a
So ist es und dann noch die Argumentation, weniger ist immer noch besser als nichts. Man sollte einfach ein Info-Label entwickeln: hier Kinderarbeit drin, hier Ausbeutung drin, hier Umweltverschmutzun drin etc. und das kann die Verbraucherin drauf pappen und sich online informieren, wo sies draufpappen muss.
Das schlimme ist, weniger ist sogar schlechter als nichts! Denn die Menschen bekommen ein bisschen Opium, denken wir haben ja jetzt ein "Lieferkettengesetz". Dann kann ich ja jetzt beruhigt weiter bei H&M, C&A usw. einkaufen. Alles was bei der Kroko hinten raus kam, war ja nach eigenen Angaben der ganz große Wurf.
(Analog bei der 'Mietpreisbremse' oder den 'Cum/Ex' Gesetzen, wo hinterher absichtlich alles nur noch schlimmer wurde.)
Damit sind die Bürger erst mal abgespeist, und die Bewegung welche für das Lieferkettengesetz, Arbeitsbedingungen o.Ä. gekämpft hat, verliert an Unterstützung. "Ach ihr seid nicht zufrieden, haben wir doch gemacht, was wollt ihr denn?!"
Weil die Qualitätspresse solche Gesetzte und ihre Macher (-Lobby) auch kaum mehr blosstell, baut sich kein Druck mehr auf (# Hofberichterstattung).
Die Idee mit dem Label finde ich gut. Auf jedem Produkt sollte der Lohn stehen, welcher der Abeiterin oder dem Kind gezahlt wird.
CDU: "fragwürdigen Verflechtung von Parteiarbeit und Lobbyinteressen"
erwartet man von denen noch irgend was anderes? :-)
"Der Wirtschaftsrat bietet seinen Unternehmens-Mitgliedern eine Plattform zur Mitgestaltung der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik" Deutlicher kann man ja Lobby-Einfluss kaum beschreiben.
Ist zwar löblich dass Lobbycontrol versucht die bloszustellen, aber da wird sich nichts ändern. Der Wirtschaftsrat sitzt ja als "Gast" bei jeder CDU Vorstandssitzung mit am Tisch...der hat aber bestimmt "offiziell" kein Stimmrecht. Dafür blicken alle am Tisch bei jeder Abstimmung dann in dessen Richtung, ob die graue Emminenz lächelt oder eben nicht. So werden die sich rausreden.
Außerdem wurde gerade Friedrich Merz, als ehemalige Vizepräsident des Wirtschaftsrats gerade zum Chef des ganzen Ladens gewählt. Der Bock steht also schon im Garten und frisst die Blumen. Die CDU ist längst eine reine Lobby-Organisation der Wirtschafts- und Finanzindustrie.
Und wo mit Merz die Reise hingeht, ist ja auch klar.
Kinder arbeiten, wenn sie aus armen Familien kommen.
Kinder werden Soldaten, wenn sie aus armen Familien kommen.
Armut.
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Arme Familien bilden den Boden der Klassengesellschaft.
Klassengesellschaft.
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Klassengesellschaft wird strukturiert durch Ausbeutungsverhältnisse.
Ausbeutungsverhältnisse.
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Ausbeutungsverhältnisse sind lokale und globale Herrschaft.
Lokal. Global. Herrschaft.
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Systemisches Einüben der Diener-, Ausgebeuteten- und Sklavenrolle.
Mit System.
Und gewollt.
Mit oder ohne direkte Teilnahme.
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Kinder der oberen Klassen erlernen diese Verhältnisse anders.
Ganz anders.
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Ohne das Brechen des Armutszyklus kann sich wenig für die Kinder ändern.
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Für einige der extremsten Fälle, vielleicht:
https://www.sos-kinderdoerfer.de/informieren/wie-wir-helfen/kinderrechte/kinderarbeit
https://www.plan.de/
Solange westliche Zivilgesellschaften mit Hilfe des Kapitals in den Ländern verhindert, dass sich eigene Wirtschaftskreisläufe mit einem eigenen Steuersystem entwickeln, wird es weiterhin Kinderarbeit geben!
Unseren Lebensstil und Konsum als eine Art Wohltat für die dortigen Kinder darzustellen, ist kaum zu ertragen!
Kinderarbeit sichert unseren sogenannten Wohlstand! Kinderarbeit ist und bleibt eine Menschenrechtsverletzung und verstößt gegen den Artikel 1 GG!
Es kann und darf nicht weiter hingenommen werden, dass der Lebensstil und Konsum des größten Teils der Bevölkerung der westlichen Zivilgesellschaften auf der Ausbeutung und Zerstörung von Menschen, Tieren und Natur/ Umwelt basiert!