In dem Buch Der leere Himmel, in dem der Schriftsteller Richard Wagner Geschichte, Mentalitäten und Realitäten des Balkans beschreibt, stellt er die Frage: „Wie wäre es, wenn wir die Balkanfragen als europäische betrachten würden? Den Nationalismus, den Extremismus, die Arbeitslosigkeit, die schlechte Zahlungs- und Steuermoral, die Korruption, die organisierte Kriminalität, die Armut?“ Dann – so resümiert er – gelänge es uns besser, den Balkan zu verwalten. Von dieser Betrachtung ist das westliche Europa seit Mitte Oktober weiter entfernt als 2013, im Erscheinungsjahr von Wagners Buch. Die meisten der Westbalkanländer hofften bereits damals, in die Europäische Union aufgenommen zu werden. Vergeblich, seither üben sie sich im Warten. Vorläufig hat es ein Ende, kein gutes freilich.
Auf dem Brüsseler Gipfel am 17./18. Oktober haben sich die 28 EU-Mitglieder nicht auf die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit den „Spitzenkandidaten“ Nordmazedonien und Albanien einigen können. Vor allem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stemmt sich dagegen, solange der Staatenbund selbst die aus seiner Sicht unumgänglichen Reformen schuldig bleibt.
In Nordmazedonien hat diese Entscheidung eine schwere Regierungskrise ausgelöst, mit der demnächst ein erster Dominostein fällt: Ministerpräsident Zoran Zaev von der sozialdemokratischen Partei SDSM hat für Januar seinen Rücktritt angekündigt, im April soll es Neuwahlen geben. Für den 45-jährigen Zaev geriet die Zurückweisung durch Brüssel zum politischen Desaster. Gegen nationalistische Kräfte und den Willen von Teilen der Bevölkerung hatte er im Vorjahr die Umbenennung von Mazedonien in Nordmazedonien durchgesetzt. Damit ließ sich der seit einer gefühlten Ewigkeit schwelende Namensstreit mit Griechenland beilegen und der Weg ebnen für ein griechisches Einverständnis mit möglichen Beitrittsgesprächen. Jahrelang hatte sich Athen dagegen gewehrt, weil das Westbalkanland denselben Namen trug wie die griechische Provinz Mazedonien.
Nach diesem Kraftakt war man in Skopje davon überzeugt, auf eine Zukunft im Schoß der EU hoffen zu dürfen. Dass die jetzt zur Disposition steht, ist eine Zäsur, wie es sie für dieses Land seit der Erosion Jugoslawiens und der Unabhängigkeit von 1991 nicht mehr gegeben hat. Für eine Mehrheit seiner 2,1 Millionen Einwohner bleibt der Alltag von Armut und Arbeitslosigkeit sowie Korruptionsskandalen bestimmt. 2001 führten ethnische Konflikte mit der albanischen Minderheit, die ein Viertel der Bevölkerung ausmacht, zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Auch wegen dieser brisanten Situation erhielt das damalige Mazedonien 2005 einen EU-Kandidatenstatus und durchlief einen Transformationsprozess, bisher allerdings ohne nennenswerten ökonomischen Erfolg für eine der schwächsten Volkswirtschaften in Europa. Derzeit liegt das Durchschnittseinkommen von 380 Euro bei einem Drittel des EU-Durchschnitts.
Als Premier Zaev 2017 ins Amt gewählt wurde, löste er Nikola Gruevski ab, der elf Jahre lang regierte. Gruevski, auf dessen Konto ein milliardenschwerer Umbau der Kapitale Skopje mit klassizistischen Fassaden und monumentalen Standbildern ging, wurde wegen Amtsmissbrauchs zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, floh vor dem Strafvollzug und erhielt in Ungarn Asyl. Mit der Wahl des Sozialdemokraten Zaev ging die Erwartung einher: Nicht nur eine korrupte Regierungspraxis, auch die schwelenden ethnischen Konflikte lassen sich eindämmen. Zaev hatte versprochen, ein Regierungschef aller Bürger sein zu wollen. Dass er dabei zu sehr auf eine mutmaßlich aufnahmewillige EU vertraute, gereicht ihm nun zum Schaden und ist Wasser auf die Mühlen der Nationalisten. Sie können der Bevölkerung suggerieren, dass Brüssel kein Interesse an Beitrittsverhandlungen hat, und sich schon vor den Neuwahlen als Alternative empfehlen. Doch nicht nur Zaev und seine Partei sind Verlierer einer stornierten EU-Aufnahme, auch auf die Jugend Nordmazedoniens trifft das zu. Sie ist der politischen Ränkespiele und der Aussichtslosigkeit schon lange müde. Wer kann, der verlässt das Land. Wie überall auf dem Westbalkan schwächt der sogenannte Braindrain, die Abwanderung von Akademikern und jungen, gut ausgebildeten Menschen, die Wirtschaft zusätzlich. In vielen Bereichen – Medizin, Technologie, Logistik, Bildung – fehlt es an Fachpersonal.
Ansporn für Nationalisten
Die Jugendlichen, die bleiben, haben sich an die Aussicht auf den EU-Beitritt lange wie an ein Heilsversprechen geklammert. Mehr als 50 Prozent der 20- bis 30-Jährigen sind arbeitslos, so weit die offizielle Zahl, die tatsächliche dürfte um einiges darüberliegen. Die sozialdemokratische Abgeordnete Ivana Tufegdžić, die erst 27 ist und die Jugendthemen ihrer Partei vertritt, frohlockte nach der Namensänderung, jetzt bewege sich das Land vorwärts und der Prozess könne nicht mehr gestoppt werden.
Nach dem Votum gegen Beitrittsverhandlungen sprach Tufegdžić von einem sehr dunklen Tag für die junge Generation. Die Enttäuschung könnte Radikalisierungs- und nationalistische Tendenzen verstärken, vor allem unter jungen Menschen. In einer Jugendstudie von 2017 schreibt Eva Ellereit, Landesdirektorin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Skopje, ihr sei klar geworden, dass die Jugend sehr anfällig für Populismus sei. Wer im Land bleibe, werde Halt brauchen. Wenn die EU kein glaubhaftes Ziel mehr sei, „dann können Nationalisten florieren. Das ist gerade auf dem Westbalkan gefährlich.“ Doch gibt es eine Gegenbewegung. In fast allen Westbalkanländern entstanden im zurückliegenden Jahrzehnt mit finanzieller Hilfe der EU meinungsstarke und gut organisierte Jugendbewegungen. Sie vertreten Mitbürger um die 20, die ihr Glück nicht im Ausland suchen, sondern das eigene Land verändern wollen. Sie verlangen Partizipation und stellen traditionell hierarchische Gesellschaftsstrukturen in Frage.
Blazhen Maleski, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Reactor – Research in Action, einem in Skopje ansässigen Thinktank, der sich mit Geschlechtergleichheit, Jugend und urbaner Entwicklung beschäftigt, meint zur augenblicklichen Depression: „Wir warten seit 14 Jahren und haben alles erfüllt, was die EU von uns gefordert hat. Ich hoffe trotzdem, dass auch künftig alle Parteien einen EU-Beitritt als einzige Option für unser Land sehen. Wir müssen unsere Enttäuschung jetzt überwinden und Nordmazedonien zu einem besseren Ort für seine Bürger machen.“
Auch Blazhen Maleski befürchtet, die Nationalisten könnten jetzt ihr Narrativ vom „Verrat durch die Regierung“ unter die Leute bringen. „Auf alle Fälle stehen wir an einem Scheideweg. Ob die Tür zur EU geöffnet bleibt, werden die anstehenden Entscheidungen in Nordmazedonien beweisen, nicht die Versprechen der EU-Politiker. Wenn Europa hier seinen Einfluss verliert, erwarten wir eine Destabilisierung der gesamten Region.“ Ministerpräsident Zaev bemüht sich nach der ersten Verbitterung um Zweckoptimismus. Zwar kritisierte er die gestundeten Beitrittsgespräche als „historischen Fehler“, wie vor ihm bereits EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Sein Ziel bleibe eine starke Westanbindung. Offenbar gilt es Befürchtungen zu zerstreuen, Russland oder China könnten mehr Zuwendung finden. Die Beziehungen mit Moskau, wo man einst die Unabhängigkeit Mazedoniens vorbehaltlos anerkannte, sind eng. Die nationalistischen Kräfte wollen eine Regierung, die sich sehr viel mehr darauf stützt. Ebenso auf China.
Peking engagiert sich aus geoökonomischen Gründen mit seiner Belt-and-Road-Initiative auch auf dem Westbalkan. Auf dem Weg zum Status der Weltmacht Nr. 1 soll in dieser Region ein Netzwerk aus Straßen und Schienenwegen dabei helfen, die eigenen Waren zu dislozieren. Der gesamte Balkan gilt als das Einfallstor zum westlichen Europa. „Der Einfluss anderer Staaten wie Russland oder China wird größer werden, weil die EU Worten keine Taten folgen lässt.“ Die Mitgliedstaaten hätten einer Verbreitung der europäischen Idee keinen Gefallen getan, urteilt Eva Ellereit.
„Europa ist überall und nirgends, es ist Hoffnung und Mythos zugleich, verantwortlich für alles und Sehnsucht dazu. Der Himmel ist leer, und Europa ist sein Ersatz“, so endet das Buch von Richard Wagner. Vielleicht füllt Nordmazedonien nun, da Europa kein Ersatz mehr sein will, seinen eigenen Himmel. Oder sucht sich einen anderen, der viel weiter im Osten liegt.
Kommentare 21
Im Folgenden zwei Zitate aus dem Buch Europadämmerung" von Ivan Krastev, die die Wahrheit der Aussagen des Artikels für ein anderes Land, Bulgarien, belegen.
"In Bulgarien gibt es einen beliebten Witz : Drei in traditionelle japanische Kleidung gehüllte und mit Schwertern bewaffnete Bulgaren spazieren durch eine Straße in Sofia. Erstaunte Passanten fragen die drei: »Wer seid ihr und was wollt ihr?« Ihre Antwort: »Wir sind die sieben Samurai, und wir wollen dieses Land verbessern.« Die Passanten fragen: »Aber warum seid ihr nur drei?« Worauf sie antworten: »Weil nur drei von uns geblieben sind. Die übrigen sind im Ausland.«"
"Wenn wir wissen wollen, warum die Bulgaren in den letzten Jahren meist von den falschen Leuten regiert wurden, müssen wir uns fragen, ob nicht die massenhafte Auswanderung daran schuld ist. Wer sein Land verlässt, dem geht es nur selten um eine Reform des eigenen Landes. Er möchte sein eigenes Leben verändern, nicht das von anderen. Die regierungsfeindlichen Massendemonstrationen, zu denen es 2013 in Bulgarien kam, brachten das Paradoxon der offenen Grenzen deutlich zum Ausdruck. Die Demonstranten riefen: »Wir wollen nicht auswandern!« In Wirklichkeit taten einige von ihnen es dennoch, denn es ist einfacher, nach Deutschland zu gehen, als dafür zu sorgen, dass Bulgarien wie Deutschland funktioniert. Es gibt nur zwei Wege für den Umgang mit der politischen und wirtschaftlichen Stagnation, heißt es in einem beliebten bulgarischen Witz - der eine ist Terminal 1 und der andere Terminal 2 (des internationalen Flughafens von Sofia).
Als die größten Nutznießer der Öffnung der Grenzen haben sich die klugen Köpfe unter den Auswanderern, die schlechten osteuropäischen Politiker und die fremdenfeindlichen westeuropäischen Parteien erwiesen."
die geschichte zeigt:
wo im herkunfts-land die guten aussichten versperrt sind,
werden die mühen der auswanderung nicht gescheut.
selbst mauern + "revolutions-garden" stacheln zum verlassen an.
"wo im herkunfts-land die guten aussichten versperrt sind,
werden die mühen der auswanderung nicht gescheut."
Wenn Sie die Zitate und den Artikel genau lesen, dann steht da, dass "Wer sein Land verlässt, dem geht es nur selten um eine Reform des eigenen Landes. Er möchte sein eigenes Leben verändern, nicht das von anderen." Das kann man individuell nachvollziehen, für die verlassene Gesellschaft ist es eine Katastrophe, für die empfangene ein Segen. Insofern geht es hier nicht mehr um Auswanderung im Stile der Besiedlung von Nordamerika. Hier werden Ressourcen von armen Ländern in reiche Länder transferiert, was dazu führt, dass die armen Länder gar nicht aufschließen können. Damals waren es lediglich Arbeitskräfte, für die die Alte Welt keine Verwendung hatte. Ostdeutschland ist dafür trotz der Subventionen, die vom Westen in Größenordnungen transferiert worden sind und werden, ein beredtes Beispiel. Das Beispiel Nordmazedonien ist dazu noch ein sehr perfides. Die dortigen Politiker haben das Land bis zum Zerbrechen verbogen und die Umbenennung nach jahrzehntelanger Diskussion durchgesetzt. Da sie sich aber nicht vertraglich zusichern ließen, dass damit eine EU-Mitgliedschaft automatisch einhergeht, stehen sie jetzt dort, wo Russland Anfang der 90-er sich befand und ohnmächtig mitansehen durfte, wie sich die NATO nach Osten schob. [Sarkasmus] Aber vielleicht bringt die NATO-Mitgliedschaft, die im Februar beschlossen wurde, Milch und Honig für das Land. [/Sarkasmus] Die Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit westlicher Politik ist damit gegenüber schwachen Ländern erneut unter Beweis gestellt worden. Dazu bedurfte es nicht mal eines Trump.
im ausland arbeitende
überweisen weltweit eine menge devisen
an die zurück-gebliebenen groß-familien.
als mit zahlen-/bilanzen-vertrauter können Sie das überprüfen.
"im ausland arbeitende
überweisen weltweit eine menge devisen
an die zurück-gebliebenen groß-familien."
Eine wahrhaft zynische und menschenverachtende Formulierung. Aber von vorn. Wir sprechen hier nicht über Flüchtlinge, die wegen Krieg oder anderweitiger Bedrohung ihres Lebens ihr Land verlassen. Ich habe von gut ausgebildeten und aktiven Menschen gesprochen, die ihr Land für immer verlassen, und zwar wie im oben beschriebenen Witz über Terminal 1 oder 2, um im Empfängerland die gleiche Arbeit für einen wesentlich höheren Lohn auszuführen. Dabei sind sie auch bereit, weil der Lohn im Vergleich zum Herkunftsland so viel höher ist, für weniger zu schuften, als es im Empfängerland üblich ist. Sie bringen jetzt eine dritte Gruppe ins Spiel, die Arbeitssklaven, die sich für Hungerlöhne verkaufen und ihr Recht auf Heimat, Familie und Freunde für längere Zeit im Jahr aufgeben. In osteuropäischen Ländern ist inzwischen eine ganze Generation von Kindern herangewachsen, die ihre Eltern nur an wenigen Tagen im Jahr sehen. Die Folgen werden für uns Westeuropäer unsichtbar bleiben oder kommen viel später zum Tragen. In Ihrer Logik wird das natürlich mit einer Menge Devisen ausgeglichen. Die Bilanz geht aber nicht auf. Ich habe gesehen, wie in der Ukraine die Infrastruktur vor die Hunde geht. Sicher können die Familien, die Empfänger der Devisen sind, ihr Leben aufbessern. Die Regierung schöpft natürlich davon auch etwas ab, steckt es aber sofort in die Rüstung, man will sich ja hübsch machen für die NATO, oder es verschwindet durch die allgegenwärtige Korruption in private Taschen. Entwicklung des Landes wird damit jedenfalls nicht betrieben. Falls Sie die obige Formulierung Hungerlöhne nicht nachvollziehen können, weil doch in D der Mindestlohn gezahlt werden muss, dann suchen Sie mal nach einer Erklärung für die Tatsache, dass auf Berliner Baustellen sehr viele ausländische Arbeiter in Teilzeitverträgen beschäftigt sind.
- von arbeits-sklaven, die um ihren lohn geprellt
oder gewaltsam zum "anschaffen" gezwungen werden, war nicht die rede.
- historisch ist, seit ungleiche wirtschaftliche entwicklung besteht,
wander-arbeit mit trennung des arbeiters von seiner herkunft/heimat
gekoppelt. nur gab es früher vielleicht weniger familien-splitting,
weil familien-gründungen ein gewisses einkommen voraus-setzen.
- den zynismus-vorwurf lassen Sie lieber stecken,
ich werfe Ihnen ja auch nicht ständig illusionäres träumen vor.
<<Die Bilanz geht aber nicht auf. Ich habe gesehen, wie in der Ukraine die Infrastruktur vor die Hunde geht.>>
Also ich habe gestern von der Umgehungsstraße um Lviv herum gesehen, wie ein modernes Wohnviertel nach dem anderen entsteht. Auf der anderen Seite der Umgehungsstraße scheint man an neuen Bauten fürs Gewerbe zu arbeiten.
Raten Sie einmal, woher ich solche Aussagen kenne. Mehrfachantworten sind möglich:
(a) Neues Deutschland
(b) Aktuelle Kamera
(c) Rede eines SED-Parteisekretärs
Die Umgehungsstraße von Lviv habe ich auch befahren und die Dinge gesehen, die Sie beschreiben. Aber in den 14 Tagen habe ich gemeinsam mit Einheimischen fast 2000 km andere Straßen befahren, bin durch Orte gekommen, die ein anderes Bild zeigen. Selbst die Straßen, die zur Fußball-EM 2010 gebaut worden sind, entsprechen nicht dem, was Sie hier schreiben. Es gibt sie natürlich, die Leuchttürme in Kiew und anderswo. Wenn Sie es wirklich ehrlich meinen würden, dann würden Sie aber auch über die anderen wesentlich zahlreicheren Beispiele schreiben, die man nicht einmal mit rosaroter Brille gut finden kann. Und damit meine ich noch nicht das Kriegsgebiet, in dem ich nicht gewesen bin.
Propaganda hat den Nachteil, dass man sie durch eigenes Sehen sehr schnell als solche entlarven kann. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen, erwarten Sie also keine Antwort auf Ihre unvermeidliche Erwiderung.
<<Selbst die Straßen, die zur Fußball-EM 2010 gebaut worden sind, entsprechen nicht dem, was Sie hier schreiben.>>
Ach so, soll ich ihnen morgen ein aktuelles Foto schicken?
Na da muss ja ihre Enttäuschung riesig gewesen sein, dass Sie in der Ukraine keine deutschen Autobahnen angetroffen haben. Aber ich finde die 4 spurigen Straßen die zur EM gebaut wurden immer noch ganz prima. Angenehm finde ich die vielen nachts beleuchteten Abschnitte. Auf jeden Fall ist das überhaupt kein Vergleich mit früher. Aber das wissen Sie ja nicht?
Aber klar, positive Nachrichten aus einer Ukraine die nicht zu Russland gehört, können ja nur Propaganda sein.
Übrigens sind Ihnen an den großen Tankstellen auch die neuen Ladesäulen aufgefallen? Das eine oder andere E-Mobil wird Ihnen doch wohl auch begegnet sein? Ich meine bloß mal wegen der Infrastruktur, die Ihrer Meinung nach in der Ukraine gerade den Bach runter geht.
Man betont immer gerne das, was den Wunschvorstellungen entspricht. Erinnert mich an die "Leuchttürme" in Ostdeutschland.
Oder auch 'ne Westernfassade, da richtet man die Kamera nicht hin.
Wir müssen schon in Deutschland erheblich größere Anstrengungen unternehmen, um unsere Infrastruktur am Laufen zu halten. Wer hier Bahn fährt, weiß, wovon ich rede. Es ist eine einfache Rechnung, wenn man sich ansieht, welche Nutzungsdauer Straßen, Brücken, Schienen, öffentliche Gebäude, Medienleitungen (Wasser, Gas, Strom) usw. haben und das verrrechnet mit den Instandhaltungsleistungen, dann weiß man, ob etwas den Bach runter geht oder erhalten werden kann.
Ein Land wie die Ukraine hat mit seiner wesentlich größeren Fläche und seiner viel kleineren Wirtschaftskraft ungleich schlechtere Voraussetzungen. Aber auch unsere Politiker haben davor lange die Augen verschlossen. Vielleicht haben sie sich ja auch einzelne Fotos angesehen oder sind immer nur im Flugzeug gereist. In der Ukraine kommt dazu, dass Fördergelder der EU zweckentfremdet verwendet worden sind. So kann man auf einer glatten 4-spurigen Straße, die zur Fußball-EM gebaut worden ist, fahren, trifft dann aber unvermittelt auf Abschnitte, die zwar bezahlt worden sind, deren Zustand sich jedoch keinesfalls verbessert hat. Brücken, für die das Geld überwiesen worden ist, stehen noch genauso da, wie vor der EM. Wenn man nicht rechtzeitig abbremst, weil man das nicht einkalkuliert, kann man die Stoßdämpfer sehr schnell ruinieren. Ob diese Brücken einer TÜV-Kontrolle unterliegen, kann ich nicht sagen.
<<So kann man auf einer glatten 4-spurigen Straße, die zur Fußball-EM gebaut worden ist, fahren, trifft dann aber unvermittelt auf Abschnitte, die zwar bezahlt worden sind, deren Zustand sich jedoch keinesfalls verbessert hat. Brücken, für die das Geld überwiesen worden ist, stehen noch genauso da, wie vor der EM. >>
Wo soll das sein? Ich schaue mir das gerne mal an.
Fahren Sie einfach von Kowel in Richtung Polen.
Wo sich Deutschland eine Scheibe abschneiden könnte, sind übrigens die Bahnhöfe, die ich in Kowel, Lviv, Ternolpil, Odessa und Kiew gesehen habe. Dort kann man seine Wartezeit wesentlich komfortabler verbringen und sie machen für das Auge etwas her. Die Nachtzüge und Vorortbahnen fuhren dem Zustand der Gleise entsprechend langsam, waren aber durchweg pünktlich und in gutem Zustand.
<<Fahren Sie einfach von Kowel in Richtung Polen.>>
Da bin ich früher auch lang gefahren. Da ist nach der Grenze doch nur ein relativ kurzes Stück 4 spurig welches auch zur EM 2012 nur halbherzig ausgebaut wurde. Über das warum müssen Sie Janukowitschs Leute fragen. Der hatte damals das sagen. Der Rest der Straße bis Kiew ist 2 spurig, aber in gutem Zustand. Allerdings kein Vergleich mit der 4 spurigen E40. Gerade wird noch so ein Nadelöhr, die Umgehungsstraße von Shitomir, beseitigt.
Übrigens ist man gerade dabei, den von Ihnen bemängelten Straßenabschnitt und die Brücke zu rekonstruieren.
https://youtu.be/iewjEMuOdGE
Über Ihren positiven Eindruck zu den genannten Bahnhöfen freue ich mich. Kann da aber leider nicht mitreden, da ich nur mit dem Auto unterwegs bin.
Und schon fallen Sie wieder in den Jargon des SED-Politbüros. Straßen sind nur ein Teil der Infrastruktur eines Staates. Das Straßennetz umfasst auch mehr als nur E-Straßen. Welches sind eigentlich Ihre Interessen, die Sie hier mit diesen Antworten verfolgen? Wovon wollen Sie mich überzeugen? In den Rechenschaftsberichten der SED wurde nie etwas Negatives genannt. Es hieß nur immer, es muss noch… Einmal zählte ich 26 von diesen Formulierungen in einem Abschnitt. Es ist gut für die Menschen, die sich dort über die Straßen quälen müssen, wenn sich der Zustand an einem Ort ändert. Aber abseits dieser E-Straßen liegt noch unendlich viel Arbeit. Wenn ich hier 5 Bahnhöfe aufgezählt habe, die sehr gut aussehen, heißt das nicht, dass ich auch andere gesehen habe. Unsere Bekannten wollten uns eigentlich ein Großraumtaxi bestellen, damit wir aus der Kleinstadt die 150 km zurück nach Kiew kommen. Wir haben darauf bestanden, mit der Elektritschka zu fahren, auch aus Nostalgiegründen. Wir haben es nicht nur überstanden, sondern hatten auch trotz Sprachproblemen, wunderbare Kontakte zu den Mitfahrenden. Dabei haben wir nicht nur die Vorortbahnhöfe gesehen, sondern bekamen auch die fliegenden Händler mit, die sicher nicht zum Vergnügen durch den Zug gingen. Wenn Sie allerdings beim Straßenzustand auf Janukowitsch verweisen und Poroschenko nicht erwähnen, dann erinnert mich das auch an die Aufgabe des Klassenfeindes als Sündenbock für alles. Das stärkt nicht gerade Ihre Glaubwürdigkeit. In Kiew habe ich mich gefragt, warum für sündhaft viel Geld ein Prestigeobjekt wie die Glasbodenbrücke gebaut werden musste, wenn anderswo ganze Gebäudezüge verfallen. Nicht dass mich das zu sehr verwundern würde, kenne ich es doch aus DDR-Zeiten.
der hinweis auf die denk-arbeit krastevs und holmes'
ist tatsächlich weiterführend:
sie weisen daraufhin, daß die abwanderungs-verluste in "ost-europa"
eine "demografische panik" ausgelöst haben
(wie in der DDR vor dem mauerbau):
"je weiter ein land sich leert,je mehr junge und gebildete wegziehen,
desto größer wird die angst vor "nationaler auslöschung".
die binde-kraft verbliebener kollektive schwächelt:
"solange der mensch sich einer sozialen gemeinschaft zugehörig fühlen kann
und durch die in ihr vorhandenen fähigkeiten zur verteidigung
und gegenseitigen hilfeleistung geschützt ist, erlebt er "
stark belastendes als weniger bedrohlich.
"was dem menschen aber in höchstem maße angst macht,
sind der wegfall des sozialen zusammenhalts, soziale ausgrenzung
und einsamkeit.." (joachim bauer)
angst um den arbeits-platz, um bezahlbaren wohnraum,
zumal wenn sie auf langjährig vor-gängig-erzeugter angst-bereitschaft
aufbaut, sucht nach (populistischen) sicherheiten.
Von der Größenordnung her dürfte die Abwanderung in Deutschland von Ost nach West nicht allzu unterschiedlich vor dem Mauerbau und nach dem Fall derselben sein. Während aber in den 50-er Jahren ganze Familien wegzogen und damit das demographische Gefüge nicht allzu sehr beeinflussten (obwohl natürlich viele gut ausgebildete Fachkräfte darunter waren), so sind es gegenwärtig vorzugsweise Menschen im leistungsfähigsten Alter, insbesondere auch junge Frauen. Man muss die Analyse von Krastev nicht eins zu eins von Osteuropa auf die Ostdeutschland übertragen, aber seine Denkansätze sind bei der Suche nach konstruktiven Lösungen wesentlich hilfreicher als das, was ich von allen im Bundestag vertretenen Parteien höre.
<<Welches sind eigentlich Ihre Interessen, die Sie hier mit diesen Antworten verfolgen? >>
Ich finde es äußerst interessant wie wortreich und "messerscharf" Sie die Zustände in der Ukraine analysieren. Leider sind Sie darauf angewiesen mit Gerüchten zu argumentieren, Fakten sind für Sie ja leider nur Propaganda.
Übrigens Fliegende Händler gab es schon zu Zeiten der Sowjetunion. Die Kiewer, die ich gerade gefragt habe, finden die neue Glasbodenbrücke ganz schau. Sie wollen allerdings von Ihnen gerne wissen, ob es in Berlin keine Bauruinen mehr gibt?
Auf Janukowitsch habe ich gerne verwiesen, weil es doch gut zum Ausgangsartikel passt. Es waren die Jugendlichen, die etwas in ihrem Land ändern wollten und ihn zum Teufel jagten.
Sie können es offensichtlich nicht verstehen, weil Sie nicht verstehen wollen. Wir hatten gestern einen wunderbaren ukrainischen Abend und haben uns eine Auswahl aus den tausenden Fotos angesehen. Die Fakten sind nicht leugnen, die darauf zu sehen sind. Es geht nicht um Ruinen, die auch zu sehen sind, sondern um die Erinnerung an die späten 80-er Jahre in der DDR. Die Berliner waren damals auch begeistert von all den schönen Dingen, die sie hatten. In der Provinz sah das ganz anders aus mit der Begeisterung und der Infrastruktur.
Aber mit Daten haben Sie es ja nicht so genau. Janukowitsch wurde 2010 zum Präsidenten gewählt. Da waren die Messen der Auftragsvergabe für die Infrastruktureinrichtungen zur EM 2012 schon längst gelesen. Das Hauptproblem der Ukraine liegt seit 30 Jahren in der ungezügelten Korruption, die keiner der bisher gewählten Politiker wirklich bekämpft hat. Auch der neue Präsident hat trotz Mehrheit im Parlament noch keine wirklich wirksamen Schritte einleiten können, um das zu ändern.
Da Sie jetzt sofort ein kleines Maßnahmchen aus dem Ärmel schütteln werden, überlasse ich Ihnen einfach das letzte Wort. Eher geben Sie doch keine Ruhe.
Ich freue mich, dass Sie gestern einen schönen Abend mit ihren Fotos und ihrer Meinung hatten. Meiner war auch nicht schlecht. Wir haben hier ordentlich Geburtstag gefeiert. Die Jubilarin wurde 85! Es war schön zu dem Anlass auch mal wieder die entfernte Verwandtschaft zu treffen und mit ihnen über das Leben und die alten Zeiten zu schwatzen. Junge Leute waren auch dabei. Deren Geschichten reichten vom neuen Leben in Polen bis zu IT-Spezialisten, die überhaupt keinen Grund haben ans Auswandern zu denken.
Morgen geht es leider wieder zurück. Fast 800 km Straße in Richtung polnische Grenzen über deren Zustand ich mir keine Gedanken machen muss. Aber die kann es Ihrer Meinung nach ja gar nicht geben. Na gut, mit etwas Pech, werde ich den lokalen Winterdienst testen. Es ist schon ganz schön kalt hier.