In Österreich wird der Bundespräsident vom Volk gewählt. Oder anders: Das österreichische Volk hat die Macht, einen Bundespräsidenten zu wählen. Der wiederum hat aber nicht so sehr viel Befugnis, außer der, dass er die Regierung angeloben muss und sie im Notfall auch entlassen kann. Heißt: Das österreichische Volk hat die Macht, einen Bundespräsidenten zu wählen, der die Macht hat, die Regierung aufzulösen, die vom österreichischen Volk gewählt wurde. Alles klar?
Verständlich ist jedenfalls, dass so eine Bundespräsidentenwahl wie sie am 24. April ansteht, die geschrumpfte Ex-Donaumonarchie in Wallung versetzt. Der alte Präsident, Heinz Fischer, hat seine zwei möglichen Amtsperioden ausgeschöpft, sechs Kandidat_innen stehen jetzt zur Wahl – ja, „-innen“, denn der Bundespräsident könnte auch eine Frau werden. Und um beim Volk den Eindruck von Tatkraft zu vermitteln, spielen sie alle ein bisschen die „Wenn es mir nicht passt, entlasse ich die Regierung“-Karte. Alexander Van der Bellen, unabhängiger, aber eigentlich grüner Kandidat, fing damit an und proklamierte, er werde eine Sehrrechtsaußen-Regierung nicht angeloben. Woraufhin dies zur Gretchenfrage aller Talkshows wurde: Wie hältst du’s mit der FPÖ? Umgekehrt will FPÖ-Kandidat Norbert Hofer natürlich eine linksliberale Regierung Mores lehren. Und so weiter und so weiter.
Im Lugner-Kasperltheater
Zur Wahl kann sich stellen, wer 6.000 Unterstützerstimmen aus dem Volk zusammenbringt. Im Vorfeld der heißen Phase waren noch ein paar mehr Menschen im Rennen, eine Reiki-Lehrerin bewarb sich ums Amt, eine Polit-Aktivistin und Gewinnerin der Millionenshow. Sie alle sind ausgeschieden, aber kurz vor Toresschluss hat es der landauf, landab bekannte Party-, Boulevardlöwe und Bauunternehmer, „Baumeister“ Richard Lugner, noch geschafft. Er ist sozusagen der Donald Trump von Österreich, besitzt in Wien ein nach ihm benanntes Einkaufszentrum, die „Lugner City“, und regelmäßig zum Opernball ist Stadtgespräch, welches internationale Promi-Sternchen er wohl diesmal in seine Loge einlädt.
Der Mann – will heißen: seine Wahlkampfstrategie – ist eine echte Herausforderung in intellektueller, vor allem aber in ästhetischer Hinsicht. Während die anderen Kandidat_innen sich gewohnt seriös ablichten lassen, vor Bücherwänden, Bäumen, Bergen oder Parlamentsgebäuden, präsentiert sich Lugner auf seiner Homepage als gezeichnete Karikatur in einem Kasperltheater. Um ihn herum sind seine Konkurrenten als Polizist, Gauner, Hexe und ketterauchendes Krokodil dargestellt. Er selbst steht in der Mitte als Kasperl mit seiner „Spatzi“ Cathy im Arm. Dazu muss man wissen: Lugner ist 83, Cathy 26, und bevor er sie, Krankenschwester und Playmate aus Wittlich, ehelichte, hatte er in den letzten Jahren in immer rascheren Wechseln schon diverse öffentlich präsentierte Mausis, Hasis, Käfer, Katzis und Bambis verschlissen.
Der Baumeister führt seinen Wahlkampf dezidiert gemeinsam mit seiner First Lady, die in einem Online-Video sehr blond und schmollmundig vorrechnet, dass die beiden zusammengenommen ein Durchschnittsalter von 54 haben und daher jünger sind als die meisten Mitbewerber. Dieses Video, in dem Lugner wortgewaltig erklärt, dass er als Nichtakademiker und Mann des Volkes das Volk am besten repräsentieren könne, dauert peinliche zwölf Minuten und ist technisch, inhaltlich und stilistisch so abgrundtief schlecht gestaltet, dass man es nicht mal mehr als camp bezeichnen könnte. Was soll das?
Masochistische Sehnsucht
Lugner ist ein Medienprofi und er weiß, was er tut. Fassungslos darf man daher auch noch seinen Wahlkampf-Rap anhören, in dem er sprechsingend seine First Lady hochleben lässt, „Cathy ist so fesch, so g’scheid, meine Gegner frisst der Neid“, und der Politik natürlich Saures gibt:
„Wenn die Regierung Scheiße baut, wird sie einfach ausseg’haut!“ Österreich ist ein Land, in dem man nie so genau weiß, was Parodie ist und was nicht. Das Wahl-Karussell läuft, Pressestunden, Elefantenrunden, Plakatschlachten. Der ORF will Lugner wegen mangelnder Seriosität von den Fernseh-Kurzduellen 2 im Gespräch ausschließen, schickt aber gleichzeitig alle Kandidaten auf eine „Wahlfahrt“, bei der sie sich vom ORF-Journalisten Hanno Settele in einem blankgeputzten, mit etlichen Kameras ausgestatteten Mercedes durchs Land kutschieren und mit blöden bis Bösen Fragen traktieren lassen müssen.
Der staubtrockenen unabhängigen Kandidatin Irmgard Griss, Juristin ihres Zeichens, hat das nicht gut gefallen. Denn es gibt in diesem Wahlkampf die rechte und linke Seite, eine fade großkoalitionäre Mitte (ÖVP und SPÖ), aber eben auch die Extreme, was den Spaß- und Ernstfaktor angeht.
Lugners Trash-Offensive jedenfalls zeigt etwas über die wesenhafte Dialektik von Realität und Satire, die in Österreich einen besonders tiefen Sinn hat. Denn hierzulande herrscht eine unübertroffene Vorliebe, sich selbst durch den Dreck zu ziehen; sich grindig, abgründig in aller Verrottung darzustellen, bis es so wehtut, dass man sich im Leiden dann auch wieder recht ernst nehmen kann. Lugners Wahlkampf ist die Kitsch-Variante dieser masochistischen Sehnsucht als Karneval nach dem Motto: „Verarschen kann ich mich auch selbst.“
Sonst tun es andere. Die allerschönste Persiflage eines Kandidaten kann man auf Youtube finden, der Clip ist wärmstens zu empfehlen: Da trägt die Gollum-Figur aus dem Herrn der Ringe mit der Stimme des ÖVP-Kandidaten Andreas Khol die kholsche Wahlrede vor. „Dieses Amt ist ein wunderschönes Amt. Man soll es ehrlich, sachkundig, ... aber vor allem überparteilich ausführen.“ Und das passt gruselig perfekt, weil der 74-jährige blasse Kandidat in seiner Kopfform und Hautbeschaffenheit tatsächlich gewisse Ähnlichkeiten mit Gollum hat. So etwas passiert eben, wenn man sich nicht selbst verarscht.
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