Damenfreuden

Schnittplatz Ich war im zarten Alter von Elf, als meine Mutter mich zum ersten Mal alleine zum Frisör schickte. Den Auftrag, den sie mein Haar betreffend gegeben ...

Ich war im zarten Alter von Elf, als meine Mutter mich zum ersten Mal alleine zum Frisör schickte. Den Auftrag, den sie mein Haar betreffend gegeben hatte, war mir, kaum um die Ecke, nicht mehr ganz korrekt in Erinnerung, irgendwas mit Welle, und als ich nach vollbrachtem Besuch verunsichert mit hoch ondulierter Frisur zu Hause im Türrahmen stand, schlug Mutter die Tür zu. Vor meiner Nase. Dann öffnete sie wieder und ich werde das entsetzte Gesicht nicht vergessen, das mich anstarrte: »Du siehst aus wie Oma.«

Wir alle haben böse Kindheitserlebnisse mit Haare schneidenden Eltern, Selbstversuchen am eigenen Schopf oder verpatzten Dauerwellen. Frisörsalons sind Orte der ultimativen Scham, und man fragt sich, wieso es überhaupt Menschen geben kann, die sich gerne am Haar verwöhnen lassen. Meine Mitbewohnerin ist so eine zum Beispiel, die nach jedem Besuch bei Schneidemeister Olli so geistig gesettelt in die Wohnung schwebt, als hätte sie eine äußerst gelungene Therapiestunde hinter sich. Oder meine Mutter (schon wieder die Mutter). Jede Woche geht sie zum Frisör, nur um sich die Haare waschen zu lassen, »wegen der Kopfmassage«. Ich stelle mir vor, wie sie da liegt, hingegeben, den Hals wohlig in die dafür vorgesehene Ausbuchtung des Waschbeckens gekuschelt, und bittet: »noch ein bisschen, noch ein bisschen länger«. Ich bringe das nicht fertig. Ich stehe im Salon Gabi und denke: Es kann auch schief gehen. Beim Zahnarzt tut es nur weh, aber wenn der Frisör dich verschandelt, war´s das. Und zwar für die nächsten vier Wochen.

Es gibt unbestreitbar ein ganzes Knäuel von Widernissen, die aus dem Coiffeurbesuch ein kleines Martyrium machen: den Zustand des Ohne-Brille-Seins, das Reden-Müssen, die Zwangs-Wellness. Beim Frisör musst du dich entspannt der Pflege der eigenen Schönheit überlassen. Ich hab mich lieb, aber ich tu es lieber alleine. Im Frisierladen jedoch schwillt das »sei nett zu dir« zum moralischen Imperativ. »Was machen Sie den so mit Ihren Haaren?« flötet es ins rechte Ohr, ein leises Kassenklingeln ist als Resonanz im Kehlkopf zu vernehmen. »Waschen«, sage ich und fühle mich schuldig. Keinen Glanzschaumtönungsfestiger benutzt.

Man traut sich ja auch gar nicht, da groß reinzureden oder zwischendrin aufzumucken »aber nicht so kurz«. Hat nämlich keinen Zweck - was ab ist, ist ab - und der Rest muss »angeglichenen« werden. Ich füge mich also ins Schicksal und beklage mich auch nie. Einmal hat mir eine Friseurin mit der Schere ins Ohr gezwickt. Irgendwann floss Blut, und sie schrie: »Um Himmels Willen, warum haben Sie denn nichts gesagt?« Nein, ich leide stumm. Ich wechsele nachher nur diskret den Frisör. Wenn die einen so erwartungsvoll angucken, kann man doch nicht sagen »das sieht Scheiße aus«. Halten wir fest: Frisörsalons sind nicht die Orte der Wahrheit und es lassen sich Gott sei Dank ziemlich viele von diesen Tönungen, Festigern und Schäumern später zu Hause wieder rauswaschen, weil - geben wir das doch mal offen zu - niemand, wirklich niemand, sieht gut aus, wenn er oder sie »frisch vom Frisör« kommt.

Nun gibt es aber Andy. Er ist ein ziemlicher Kerl von einem Mann, hat eine gründlich polierte Glatze, ein feines Bärtchen, ein riesiges Tatoo auf dem linken Oberarm, das sich stetig erweitert, und trägt manchmal einen Nasenring. Der Frisiersalon, in dem er arbeitet, ist mit Plastikblümchen, Starpostern und Pin-Up-Leuchtketten geschmückt; im Hintergrund läuft Schlagermusik. Eigentlich soll man ja während des Haareschneidens immer ein lockeres Gespräch führen, damit es nicht so aussieht, als sei man nicht relaxed. Mit Andy aber muss ich nicht reden. Endlich Ruhe. Andy schneidet, ich schweige - diese ideale Gemeinschaft dauert nun schon seit drei Jahren.

Andy ist ein guter Frisör, mich wundert aber, wieso er immer nur mittwochs und donnerstags arbeitet, wie er denn erstens zu seinem Beruf gekommen ist und was er zweitens in seiner reichlich bemessenen Freizeit macht. Die Antwort, die er mir gab, war verblüffend und rührte an das, was ich das Grauen einer Kindheit nenne: Barbie. In jungen Jahren, so geht die Story, trachtete Andy sehnlich nach dem Besitz einer dieser Blondinen-Scheußlichkeiten (seine Cousinen hatten welche), die Eltern gewährten dem Sohn aber nur Barbies Freund »Ken«. Den mit den aufgemalten Haaren. Nun, gegen frühe Objektwahl ist kein Kraut gewachsen, irgendwann bekam Andy eine heruntergekommene, weggeworfene Barbie zwischen die Finger und hatte nichts besseres zu tun, als sie gleich zu frisieren. Es folgte eine abgebrochene Lehre zum Elektromechaniker, eine Ausbildung zum Tischler, bis Andy es schließlich zum Frisör zwischen Plastikblumen brachte, der - wir lösen das Freitag-bis-Dienstag-Rätsel - in seiner Freizeit Barbies gestaltet. Der mächtige Kerl mit dem Riesen-Tatoo malt den Püppchen Gesichter neu, näht ihnen Kleider, hämmert Silberschühchen, hat zu Hause eine Reihe von Kunst-Barbies in Vitrinen stehen und gewann kürzlich mit seinen Modellen einen internationalen Doll-Contest. Was man nicht alles erfährt beim Frisör. Es gibt Barbie-E-groups, Barbie-Zeitschriften, ganze Sammelgemeinschaften, und natürlich - um unsere Theoriefreunde nicht zu langweilen - unterliegt die Puppe bedeutsamen historischen Wandlungen. Barbie ist inkarnierte Mentalitäts- und Modegeschichte. Er habe neulich eine ganz tolle Twiggy aus den Sechzigern gekauft, sagt Andy. Seine Modelle kann man unter www.newlook-dolls.de oder so ähnlich ansehen und natürlich kann man sie auch käuflich erwerben.

Ich bin verblüfft. Meinen Kopf pflegt ein berühmter Barbie-Designer. Was lernen wir? Es lohnt sich, beim Frisör zu reden. Ich bleibe bei Andy. Solange zumindest, bis er mich ins Ohr zwickt.

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