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Ein Hoch auf den Sommer, er ist ein einziges Gay-Pride-Event. Dresden geht mit der Christopher Street Day (CSD)-Parade im Mai voran, dann folgen wochenendweise gestaffelt bis in den August 30 Städte allein in Deutschland, mindestens 50 weitere in Europa, nicht zu sprechen von denen in Übersee. Zusätzlich finden lesbischwule Straßenfeste statt, Mardi Gras, Euro Games und ein Euro-Pride. Nie gehört? Macht nichts, es gibt ihn trotzdem, letztes Jahr war er in Köln, und weil´s so schön war, hat man dort einen eigenen Cologne-Pride erfunden. Homosexualität ist eine Massenbewegung geworden. Das ist gut.
Nun ist ein "Event" die klassische Form, aus nichts Geld zu machen, und Homosexualität ist ein Event. Die CSDs sind heute nach harten betriebswirtschaftlichen Kriterien organisiert, und am Rande der Gay Community siedelt eine ganze Gay-Industrie, um die wohl verdiente Kaufkraft abzuschöpfen. Alles, vom Reiseveranstalter bis zur Sprachenschule, kann man auch in gay buchen und für 2,50 Euro die pinke Pride-Berlin-Carderwerben, dann gibt´s Rabatte beim Pride Shopping Weekend. All das läuft unter dem Titel Professionalisierung oder - was aus eigenartigen Gründen auf dasselbe hinausläuft - Kommerzialisierung. Immer wieder wird sie angeprangert, doch die Bedenkenträger werden sich, mangels Professionalität, also Kapital, auf Dauer nicht durchsetzen. Immer wieder wird bemängelt, es gehe in der Homo-Bewegung nur noch um Party und nicht um Politik, doch die Kritikaster haben nicht verstanden: Party ist Politik, sie ist die Form, in der Engagement heute stattfindet. Ist das schlecht? Nein, ist es nicht. Es ist, wie es ist.
Der Kommerz hat viele Argumente auf seiner Seite. Keine noch so beharrliche politische Forderung hat Schwulen und Lesben gesellschaftlich so viel Akzeptanz gebracht wie die Zurichtung der eigenen Identität zur marktrelevanten Zielgruppe. Die per gay marketing auf allen möglichen Events zusammengeführte Community stärkt die ehemals Verfemten und bildet tatsächlich per Masse eine Gemeinschaft, eine heilsame Medizin gegen das, was ehedem das Grundgefühl homosexuellen Lebens war, nämlich allein zu sein mit der eigenen Veranlagung. In jeder Region Deutschlands existieren mittlerweile durch Werbung finanzierte Homo-Zeitschriften kostenlos, also zugänglich für jeden, und professionell aufgezogenes Fundraising finanziert Hilfsprojekte wesentlich effektiver und kreativer als die alte Spendenbüchse.
Wo also ist der Haken?
"Tue Gutes und sprich darüber", lautet die klassische Definition von Public Relations - sie ist typisch verdreht, denn wahr ist ihre um ein Detail veränderte Umkehrung: "Erzähle, dass das, was du tust, gut ist." Der Haken an all dem Fundraising und Eventmarketing ist seine gnadenlose Form des positive thinking, die zur Absolutheit geronnene Affirmation. Sie lässt das nicht zu, was Theodor Adorno - ein Philosoph, der derzeit vermarktet, aber wohl doch nicht wiederentdeckt wird - mit magengeschwürtreibender Penetranz zu beschwören versuchte: die schlechte Laune, das Leid, das Nichtidentische. Die totale Affirmation lässt Nicht-Identisches nicht zu, indem sie es zulässt und sagt, es wäre ein Gutes.
Es ist wahr, Geld stinkt nicht. Aber Geld macht blöd. Es kennt keinen Unterschied zwischen Identität und Image, Erfahrung und Event, es verkleistert das Geheimnis. Seine Qualität ist Quantität. Es ist gut, dass Geld die Communitiy stärkt, aber ist es wirklich ein Ziel, tausende Lesben nach Lesbos zu verschicken in die zwei dort ansässigen Frauenhotels? Es ist gut, dass Fundraising die AIDS-Hilfe finanziert - aber ist es gut, dass wir nicht mehr sagen können, was Sponsoring mit unserer Wahrnehmung anstellt? Es ist gut, dass es kostenlose Homo-Magazine gibt - aber wir zahlen an anderer Stelle, das ist sicher. Es ist gut, dass wir an 30 verschiedenen CSDs teilnehmen können - aber was machen wir mit unserer Erschöpfung?
In der Brieftasche steckt die Pride-Card neben der Kundenkarte von Karstadt. Friedlich zeigt sie, dass - paradox - gerade die Vermarktung als besondere Identität zur Normalisierung führt. Beim Gang durchs Kapital wird die Homosexualität als das herauskommen, was sie einmal nicht war: heterosexuell. Das ist kein Witz. Wir werden es erleben.
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