Man muss sich das auf YouTube noch einmal anschauen: Verona, damals noch Feldbusch, sei eine Ohrfeige für jede Frau, hatte Alice Schwarzer öffentlich gesagt, und nun treffen beide, wir schreiben das Jahr 2001, bei Johannes B. Kerner aufeinander. Sexidol und Emanze. Großes Theater. „Sie halten sich eine Kamera zwischen die Brüste und darunter steht: ‚Was Verona anfasst, wird groß‘“, sagt Schwarzer. Sie habe nun mal diesen tollen Body, und der mache ihr Spaß, entgegnet Feldbusch. Hin und her geht es im Pingpong der Untergriffigkeiten. Als Schwarzer stöhnt: „Sie spielen das Weibchen“, hält es die Feldbusch nicht mehr auf ihrem Sitz. Sie fährt hoch, präsentiert sich in voller Größe, weiße Anzughose, obenrum nur eine ärmellose und sehr freizügig geknöpfte Weste. Tolles Dekolleté. Frenetischer Applaus.
Damals hatte, fanden alle, Verona Feldbusch den Sieg davongetragen. Es ist das ewige Spiel, das in verschiedenen Besetzungen mit Alice Schwarzer läuft. Irgendwann denkt man sich: Die Frau kämpft gegen Windmühlen. Ein Dekolleté wird immer siegen.
Lustfeindlichkeit und mangelnde Sexyness sind das, was dem alten Feminismus immer vorgeworfen wird. Doch welche Lust ist hier eigentlich gemeint? Alice Schwarzers Engagement stammt aus einer Zeit, in der die Frauenbewegung so sexuell war, wie sie es sich heute überhaupt nicht mehr träumen lassen könnte. Vor allem im Kleinen Unterschied, ihrem erstem Bestseller von 1978, geht es fast ausschließlich um Sex und Lust.
Sexmonopol des Mannes
Die These, die Schwarzer dort vertritt, ist hammerhart: Der Geschlechterunterschied, so sagt sie, hat nichts mit Natur zu tun, sondern dient ausschließlich der Etablierung eines Machtverhältnisses. „Männlichkeit und Weiblichkeit sind die in jeder Generation neu erzwungene Identifikation mit Herrschaft und Unterwerfung“, schrieb sie damals. Und meinte, dieses Machtverhältnis werde in erster Linie über Sexualität ausgelebt. Solange Sex als konventioneller Geschlechtsverkehr, als Koitus ablaufe – er oben, sie unten, er aktiv penetrierend, sie passiv erlebend – bleibe alles beim Alten. Daher entscheidet sich die Gleichberechtigung im Bett: „Sexualität ist der Angelpunkt der Frauenfrage“.
Solche Thesen klingen heute fremd, aber auch reizvoll. Denn sie erinnern daran, dass Sex immer noch ein neuralgischer Punkt im Geschlechterverhältnis ist. In Der kleine Unterschied schilderte Schwarzer dramatisch eine „sexuelle Verelendung der Frauen. Zwei Drittel der von ihr Befragten seien frigide, „beziehungsweise frigide gemacht worden“. Die meisten empfänden den reinen Koitus nicht als lustvoll. Der vaginale Orgasmus sei ohnehin ein Mythos und zwar einer, der das „Sexmonopol der Männer über Frauen“ aufrecht erhalte.
Inzwischen hat sich natürlich viel verändert. Frauen sind über ihren Körper aufgeklärt, es geht jetzt auch um ihre Befriedigung. Der Sexualforscher Volkmar Sigusch glaubt sogar, dass im Bett heute die Frauen bestimmen. Die weibliche Lust ist längst ein boomender Markt. Aber ist der Sex wirklich besser geworden? Genussvoller, radikaler? Freier, verspielter, perverser, offener? Wirklich aufrichtig wird selten darüber geredet. Der Koitus bleibt das dominierende Bild für unser Begehren.
Einige Analysen behaupten auch, dass Frauen immer noch vornehmlich „Beziehung“ wollten und Männer Sex. In ihrem Buch Warum Liebe weh tut konstatiert die Soziologin Eva Illouz eine „emotionale Herrschaft“ der Männer, weil die sich heute durch serielle Sexualität aufwerteten und Bindung verweigerten. Alles beim Alten? „Frauen erkaufen sich menschliche Nähe, Hautkontakt, Zärtlichkeit und soziale Anerkennung durchs Bett“, hieß es im Kleinen Unterschied.
Das Problem mit der Lust
Es sind zwei Grundsätze, die Schwarzers frühe radikale Position für eine breite Öffentlichkeit unannehmbar machten, nämlich die Kritik an heterosexuellem Sex und seine direkte Verknüpfung mit Macht.
In der Geschichte der Frauenbewegung war die Kluft zwischen Lesben und heterosexuellen Frauen mal mehr, mal weniger groß, doch der Dissens blieb. Schließlich ist es leichter, unversöhnliche feministische Ansichten zu vertreten, wenn man den Mann nicht auch im Bett haben will. Schwarzer charakterisierte die Norm der Heterosexualität als reines Herrschaftssystem. Das ist richtig. Aber Frauen, die Männer begehren, können damit auch heute logischerweise nicht viel anfangen.
Dieser Konflikt ist kaum zu lösen und führte dazu, dass die Frauenbewegung sich auf andere Themen – Gleichstellungsfragen – beschränkte. Damit hat der offiziöse Feminismus das Thema Sexualität an die Queer- und Genderstudies verloren. Sex ist heute wieder Privatsache. Er ist zwar recht öffentlich, aber nicht mehr politisch.
Bleibt noch die komplizierte Frage von Sex und Macht. Im Kleinen Unterschied koppelt Schwarzer unauflösbar Sex an Machtausübung: „Je männlicher und potenter der Mann sich gebärdet, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau mit ihm eine befriedigende Sexualität erleben kann.“ Stimmt das? Dann wäre der Erfolg des SM-Frauensoftpornos Shades of Grey nur Ausdruck von Entfremdung und falschem Bewusstsein.
Vermutlich ist aber Sex – so wie wir ihn kennen und fühlen – keine egalitäre Sache. Um sich zu entzünden braucht Begehren offenbar einen Reiz der Fremdheit, einen Unterschied, möglicherweise auch ein Machtgefälle. Vielleicht ist das ein Mythos. Aber es dominiert nun einmal das heterosexuelle Muster als Prägung, es durchzieht imaginativ auch das homosexuelle Begehren. Für die Frauenfrage ginge es also nicht unbedingt darum, die Geschlechterpositionen aufzulösen, sondern sie rotieren zu lassen. Nicht umsonst spricht Judith Butler auch von einem weiblichen Phallus. Es käme darauf an, ihn zu nutzen. Wenn es eine wirklich berauschend befreiende Erfahrung im homosexuellen Begehren gibt, so ist es die Egalität, die im möglichen Wechsel der Rollen entsteht.
Für Schwarzer ist das Symbolische zugleich das Reale. Daher kann sie bruchlos von der Penetration aufs Patriarchat schließen. Ganz Unrecht hat sie mit dieser Überlegung nicht, doch ihre Gleichung ist zu einfach. Das sexuelle Phantasma siedelt in einem Graubereich, der politisch nicht klar festzulegen ist.
Recht behält sie aber auch heute darin, dass Heterosexualität Geschlechterordnungen zementiert und dass sich Gleichberechtigung im Bett abspielt. Man muss den Körper ernst nehmen und den Sex, in all seiner Potenz, die er für die Frauenfrage hat. Vermutlich gibt es hier mehr offene Rechnungen und auch mehr unerforschten Spielraum, als die meisten Frauen zugeben möchten. Wir sollten über die alten Thesen von Alice Schwarzer neu nachdenken.
Andrea Roedig schrieb zuletzt über die autoritäre Sprache in den Genderstudies
"Ich fühle mich wie 40": Keine Frau wurde in der alten Bundesrepublik so angefeindet wie Alice Schwarzer. Nun hat sie Geburtstag. Wir gratulieren mit einem großen Interview
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