Rotweinschalotte

Brandenburger Nachmittage Kolumne

Der gastronomische Speckgürtel um Berlin herum reift und bläht sich als ein kugeliger Wanst voll rasch wechselnder Wundersamkeiten.

Es muss daran erinnert werden, dass einen Cappuccino oder Café au Lait oder ähnliches im Berliner Umland zu bestellen lange eine heikle Angelegenheit war mit ungewissem Ausgang, vor allem seit die Firma Jacobs den gesamten Osten mit entsprechenden Instant-Tütenkaffeeprodukten überzog. War es kurz nach der Wende schwierig, überhaupt warme Küche zu finden, fehlten später regelmäßig Salatteller und Frischgemüse im Speiseangebot. Doch all das ist Vergangenheit: heute pilgert man zu Massenspeisungen in deftiger Ritterart nach Schloss Diedersdorf oder auf Spargelabfüllhöfe rund um Beelitz, und Jacobs hat überall Kaffee-Automaten mit Wahltasten aufgestellt.

Gehobene Restauration erkennt man - wie im Westen - daran, dass die Teller im Verhältnis zur Auflage verdammt groß sind und mit Möhrchengeraspel am Rand verziert. Auf den Toiletten haben kleine Körbe mit getrockneten Blütenbündeln die Plastikduftspender ersetzt, und durch Hotelfachschulen gut erzogenes Personal berät bei der Speisewahl. Wenn´s ganz edel kommt, wird vor dem Essen gratis ein sehr delikater Probehappen serviert, ein Gaumenschmeichler, den die Bedienung des Strandhotels Seerose auf Usedom in leichter Abwandlung des Französischen beharrlich als "Amüskö" bezeichnet.

Eine Poetik ostdeutscher Speisesprache der Nachwendeära müsste noch geschrieben werden. Top-Favorit der von uns bei Radtouren angelaufenen Stationen ist das Hotel-Restaurant "Haus am Spreebogen" in Fürstenwalde. Es ist wunderbar direkt am seicht hingleitenden Wasser gelegen, auf dem zuweilen dekorative Wasserschlachten mit Drachenbooten ausgetragen werden. Wir aber kommen weniger der Idylle als der Speisekarte wegen, denn die ist einzigartig und im wahrsten Sinne ein Gedicht: es gäbe da zum Beispiel ein "Duett von Rind und Schwein" ein "Kleines Salatpotpourri" oder "Gekräuterte Rindertornedos". Im Haus Spreebogen muss jemand nicht nur von der Liebe zur kulinarischen, sondern auch zur sprachlichen Variation geradezu durchdrungen sein, denn im Angebot sind ein "Nest von Wok-Gemüse süß-sauer abgeschmeckt, angerichtet mit Risotto-Ring" oder das "Steak aus der Rinderhüfte rosa gebraten an Rotweinschalottensauce auf einem Sockel von Wirsingkohl und hausgemachten Spätzle."

Linguisten hätten ihre wahre Freude um - zum Beispiel - die grammatische Struktur des Folgenden genau zu durchdringen: "gebratene Medaillons vom Rind auf einem Sockel von Austernpilzen, überzogen mit einer dunklen Kräutersauce, umlegt mit gebratenen jungen Kartoffeln." Zum Dessert gibt´s "Duett von Mango und Erdbeerjoghurt, dekoriert mit der Kapstachelbeere mit Sahnetürmchen vollendet".

Alles hier ist verfeinert, vollendet, abgerundet oder angerichtet. Man sieht den Maître de Cuisine förmlich wie einen Coiffeur im Kressetöpfchen zausen, hier ein Böhnchen drapieren, dort noch ein Blatt zurechtzupfen und mit einen kleinen Stöhnen zum Schluss das Sahnetürmchen hinaufklecksen. Die häufig in der Karte auftretenden "Sockel" lassen denn auch an Phallisches denken, die "Kränze" und "Nester" hingegen an anderes, wenngleich wir ja nicht wissen, ob der Koch mit dem Verfasser dieses einmaligen Speisegedichts identisch ist und welchen Lastern der Schreiberling sonst noch erliegt.

Jedenfalls klingt das alles nicht mehr sozialistisch und auch nicht nach gut bürgerlicher Küche. Es will uns scheinen, dass sich im Osten eine Hotelfachschulrichtung ganz eigener Art entwickelt, eine Haute Cuisine mit lokal sehr eigenwilligen Obsessionen. Die Landschaften jedenfalls, die der Dicke aus Oggersheim versprochen hat - sie waren Metaphern fürs Lukullische, und sage nun einer, es sei nicht eingetreten, was er verheißen hat.

Unsere Lieblingsrestauration bekommt ab dem 1. September einen neuen Pächter, einen "dynamischen Hotelbetriebswirt mit hervorragenden Referenzen und überzeugendem Konzept", wie es heißt. Wollen wir hoffen, dass er die Poesie der Küche unangetastet lässt.

Derweil scheint die Sonne, und auf dem Rasen vor der Spree erstellt ein gequälter Fotograf ein Duett von Mann und Weib vor malerischer Flusskulisse an Baumborke. Madame ist angerichtet auf einer Säule von weißem Tüll, garniert mit Blumengesteck und Haargekränz und wird serviert an frischgebackenem Gatten - man sieht, die Lokalität eignet sich besonders für besondere Anlässe. Fragt sich nur: Ist der Milchkaffee im Haus Spreebogen mit Espresso gemacht? Antwort: "Bei uns kommt das aus der Maschine."


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