Trockene Wasser

Begriffsbildung Frau Zypries und die Embryonen

Es war eine der großen Ethik-Vorlesungen an der Freien Universität Berlin Ende der achtziger Jahre. Ein namhafter Professor legte vor großem Publikum akribisch dar, welche Bedingungen gegeben sein müssten, um ein Wesen als "Person" bezeichnen zu können. Am Ende dieses Versuchs, die Ethik auf eine rationale Grundlage zu stellen, rechnete er alle genannten Bausteine zusammen und kam zu dem Schluss, dass erst ein Säugling ab dem dritten Lebensmonat Personenstatus habe, und man folglich das Kleine vorher auch entsorgen könne, ohne sich strafbar zu machen. Der Philosoph war verwirrt, das hatte er nicht gewollt. Was war falsch gewesen? Seine Definition von Personsein? Oder sein Impuls, einen Säugling für lebenswert halten?

Es muss nicht ganz so drastisch kommen, und doch gehört die Sache in ein ähnliches Register: Justizministerin Brigitte Zypries ließ es sich angelegen sein, im Rahmen eines Vortrages an der Humboldt Universität noch einmal über die Menschenwürde der "künstlich" in vitro hergestellten Embryonen nachzudenken. Der Grund für ihre Intervention war klar, über kurz oder lang werden die begehrten Stammzelllinien knapp, an denen hierzulande geforscht werden darf. In fast allen heiklen Fragen der Bioethik zeigte sich die Ministerin sehr zurückhaltend bis konservativ: keine Präimplantationsdiagnostik will sie zulassen, keine anonyme Samenspende, kein Klonen. Auch einem Embryo im Mutterleib, wie klein auch immer, sei Menschenwürde zuzusprechen, meint Zypries, nur dem in der Petrischale nicht, weil er sich nicht "aus sich heraus" zum Menschen entwickeln und der Staat auch keine Frau verpflichten könne, ihn auszutragen.

Der "Vorstoß" der Ministerin, so hieß es allenthalben, löste eine "Welle der Empörung" aus. Kein Wunder, denn Zypries hatte ins Schwarze und ins Tabu getroffen. Der Begriff der Menschenwürde für eine befruchtete Eizelle ist - einmal abgesehen von seinen juristischen und religiösen Implikationen - unplausibel. Es ist schwer nachvollziehbar, warum kleine Zellhaufen, die zu Tausenden in deutschen Laborkühlschränken lagern, unter demselben absoluten Schutz stehen sollen wie mehr oder weniger ausgewachsene Personen, mit denen ohnehin nicht immer würdig umgegangen wird. Die "Empörung" gegenüber Zypries ist so groß, weil der Begriff der Menschenwürde auf wackeligen Füßen steht.

Worte haben einen doppelten Boden, sie tun, als meinten sie, was sie sagen, doch das ist nur die Hälfte ihrer Wahrheit. Jede Bezeichnung, auch die Feststellung von Menschenwürde, ist ein dezisionistischer, das heißt definitiorischer Akt. Zwar ist die Menschenwürde unantastbar, was aber ein Mensch ist, ist Definitionssache.

Klarheit sollte darüber herrschen, dass die mühsam erstrittene Stammzellen-Regelung für die Bedürfnisse der Forschung zu eng ist, und es bleibt wohl eine Frage der Zeit, bis man das Embryonenschutzgesetz aufschnürt. Der sogenannte Fortschritt der Wissenschaft wird das Bild vom Lebendigen ändern. Er wird die Definition von Leben nach seinen Bedürfnissen ausrichten und unsere Weltsicht nach diesen Definitionen. In der Wahrnehmung des Lebens heute gibt es Grauzonen, jenes "homo sacer", das Giorgio Agamben als dasjenige definiert, das getötet werden kann, ohne dass ein Mord geschieht. Könnten wir dieses Fließende, dieses mehr oder weniger Lebende als das bezeichnen, als das wir es wahrnehmen, ohne es gleich für vogelfrei zu erklären?

Jetzt folgt ein Lob der Unentschiedenheit, der Inkonsequenz, des Keine-Schlüsse-Ziehens: Es ist gefährlich, den Begriff des Menschen für den Embryo aufzugeben, und funktioniert nur, wenn es keine praktischen Konsequenzen hat. Zypries geht es um die Frage, ob dem Embryo juristisch der absolute Schutz - nach Grundgesetz Artikel 1 - zustehen soll oder ein relativer Lebensschutz nach Grundgesetz Artikel 2. Entweder - Oder. Wir sind aber im Raum des Unentscheidbaren, es gibt nicht wirklich Gründe für das eine oder andere. Wie wäre es, "Menschenwürde" für den Embryo zwar zu diskutieren, ihm aber dennoch absoluten Schutz zu gewähren, weil wir nicht wissen, ob wir wollen können, was aus der Lockerung des Tabus resultiert? Wie wäre es, wenn es hieße: Zypries hat Recht, bloß folgt nichts daraus? Heute waschen wir uns mal so richtig, ohne uns nass zu machen. Das ist nichts für Juristen und wäre auch das Gegenteil dessen, was die Justizministerin erreichen wollte. Aber das muss ja nicht stören.


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