Verstörender Schnitt

Heikle Stelle Die Beschneidung schürt Kastrationsängste. Immerhin kann man heute darüber reden
Eine traditionelle Beschneidung im Kosovo
Eine traditionelle Beschneidung im Kosovo

Foto: Ermal Meta/AFP/Getty Images

Aller Voraussicht nach wird die derzeit so heftige Debatte um rituelle Beschneidung von Jungen rasch beendet werden. Die Bundesregierung hat angekündigt, die Verwirrung, die das Kölner Landgericht mit seinem Urteil auslöste, schnellstmöglich in die Bahnen der Rechtssicherheit zu lenken.

Tatsächlich wäre der politische Flurschaden enorm, den ein Beschneidungsverbot anrichten würde. Daher wird man in der Güterabwägung zwischen körperlicher Unversehrtheit des Kindes, Erziehungsrecht der Eltern und Religionsfreiheit wohl rasch eine Regelung zugunsten der Religionsfreiheit finden.

Doch an der Gelenkstelle zwischen archaischer Glaubenstradition und säkularem Rechtsstaat kracht es mit schöner Regelmäßigkeit. Interessant an der jetzigen Debatte ist nicht nur die schwierige Güterabwägung, sondern auch, wie sich Psychotherapeuten einbringen. Über das bloße juristische Argument der Körperverletzung hinaus thematisieren sie sehr deutlich, an welch heikler Stelle die Beschneidung stattfindet, eben just im prekären symbolischen Zentrum männlicher Macht und Niederlage.

Männer als Opfer

Der Arzt und Psychoanalytiker Matthias Franz spricht von „ritueller Kastrationsandrohung“, er rückt die Beschneidung in die Nähe sexueller Gewalt und sieht in der „kollektiven sexualtraumatischen Erfahrung“ der Knabenbeschneidung auch eine Ursache für Frauenunterdrückung und über-triebenen männlichen Ehrbegriff. Der Therapeut Wolfgang Schmidbauer findet drastische Worte für das „inhumane“ Verfahren, das traumatisierend sei. Er scheut auch den Vergleich mit weiblicher Genitalverstümmelung nicht.

Das Beschneidungsritual schürt offenbar Kastrationsängste, und dem scharfen Ton nach zu urteilen, bedroht es nicht nur beschnittene Männer. Dass darüber aber offen und so dramatisch gesprochen wird, ist neu. Vor zehn Jahren wäre eine Diskussion um männliche Beschneidung überhaupt nicht möglich gewesen. Man merkt der Debatte heute an, wie viele sensible Themen mittlerweile durch die Diskursmaschinerie gelaufen sind. Vor allem der Skandal um sexuellen Missbrauch in der Kirche vor zwei Jahren hat eine empathische Perspektive aufs Kind forciert und das Bild männlicher Sexualität verändert. Männer können nun auch Opfer sein.

Alter entscheidend

Man mag sich über die Einlassungen der Psychologen mokieren wie etwa Harald Martenstein, der den unglücklich beschnittenen Männern zur plastischen Chirurgie rät. Und natürlich ist der von Sigmund Freud propagierte Kastrationskomplex auch eine mythische Kategorie. Trotzdem sind die psychologischen Einwände ernst zu nehmen, vor allem der dringende Hinweis darauf, dass das Alter, in dem die Beschneidung stattfindet, entscheidend sei. Zu einem sehr frühen Zeitpunkt ist sie definitiv weniger verstörend.

Es geht also nicht nur um Körperverletzung oder unfreiwillige Markierung durch Religion, sondern um den symbolischen Umgang mit Sexualität und um die zivilisatorische Wirkung von Empathie. Muss Geschlecht wirklich durchs Stahlbad initiierender Verletzung hindurch? In seinem Roman Die Beschneidung von 1990 beschreibt György Dalos, wie ein kleiner, pummeliger jüdischer Junge mit Unterstützung seiner Großmutter an seinem Gemächt rettet, was zu retten ist. Der individuelle Sieg über den Ritus macht ihn nicht zum Mann, sondern zum Menschen. Das klingt nach einer sympathischen Alternative.

Andrea Roedig arbeit als Publizistin in Wien Siehe auch Seite 18

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