Viele Grüße von Coco

PLATZ! Viertel vor neun. Im Wartezimmer kein Teppichboden. Fliesen. Hundeküchlein stehen bereit: "Probieren erwünscht". Auf der Bank sitzt eine Frau in ...

Viertel vor neun. Im Wartezimmer kein Teppichboden. Fliesen. Hundeküchlein stehen bereit: "Probieren erwünscht". Auf der Bank sitzt eine Frau in mittleren Jahren, blickt unausgeschlafen geradeaus und lässt ihren Schatz an der flexiblen Leine laufen. "Pfui Oskar, das darfst du nicht nehmen." Der Hund interessiert sich für die Kuchen. Am schwarzen Brett klebt ein Zettel: "Hallo. Ich bin eine 1 Monate alte Baby-Farbmaus, ich suche ein neues zu Hause, möchte aber nicht an Schlangen oder andere Tiere verfüttert werden. Ruft mich doch mal an, Tschüss, eure Farbmaus."

Oskar tappt herüber, lehnt sich an mein Bein. Ich kraule das Tier, Frauchen beginnt zu lächeln. "Na", sagt sie, "Gehst du flirten?" Zu mir: " Eigentlich wollte ich ja ein Mädchen, aber jetzt, ne, hab ich Oskar." Zu ihm: "Wir sind heute früher aufgestanden als gewöhnlich, was, Spatz?" Oskar schaut bestätigend zu Frauchen hin. Er ist ein superweicher ... "Tibet-Terrier", klärt sie auf. Er soll heute eine Impfung bekommen. Für anderthalb finde ich ihn ein bisschen lethargisch.

Der Raum füllt sich, eine Frau im gelben Jackett drückt ihren Hund an sich, der vor Angst zittert ("Lisa komm, nun erreg dich nicht so"). Eine Katzenbesitzerin daneben ermahnt ihr Tier: "Guck mal da ist ein Hündchen, das hat auch Angst". Zwei in grün gekleidete Muskelmänner, Baseballmützen auf dem Schädel, tragen eine Box mit zwei Siamkatzen herein. Kill ´em all steht auf dem T-Shirt des einen, der jetzt zärtlich in die Box mit seinen zwei Siamkatzen guckt und leise "Tschüsschen" sagt. Dann gibt er sie in die Obhut von Narkose und wird die Siams - ohne Weisheitszähne - um drei Uhr wieder abholen.

Oskar soll ins Behandlungszimmer. Er will nicht, kneift den Schwanz ein und versucht, jetzt nur noch Flokatikugel, sich am Boden festzukrallen - nutzt nicht, auf den Fliesen wird er sanft zu Frau Doktor gezogen und entschwindet, samt Frauchen, den Blicken.

Auftritt Marika G., um die Siebzig, in rosa Hose, Häkeljacke und mit Handtasche. Sie beschreibt einen Triangel im Raum. Zuerst geradewegs von der Tür zum Tresen der Sprechstundenhilfe. "Ich soll Sie ganz schön von Coco grüßen", sagt sie deutlich. "Ich putze ihm jeden Abend das Näschen. Vor allem schläft der nachts wunderbar. Und er schmuuuust. Wissen sie, ich sag dem: he, das ist mein Kopfkissen, aber dann geht er einfach drauf und ich lege dann so den Kopf auf seinen Körper." "Ist das nicht zu schwer?" Die Sprechstundenhilfe. "Och, der schnurrt doch. Und die Tabletten, die jubel ich ihm einfach unter, das erzähl ich dem gar nicht." Marika G. kauft Futter. Frau Doktor tritt rechts aus der Tür. Marika G. öffnet ihre Tasche und zeigt Frau Doktor Fotos von den Enkeln. Dann blickt sie zu mir: "Da ist ja gar kein Tierchen dabei." - "Ich sitze hier nur so." - "Mein Siamkater hat einen Tumor", sagt sie durch den Raum. "Vor zehn Jahren hat man ihn mir vor die Türe gesetzt. Ich hab ihn Coco getauft. Er hat mir ja seinen Namen nicht gesagt." Sie steuert auf die Türe zu, zeigt das Futter für Coco. "Das gebe ich ihm, das kann er lecken. Er hat Krebs. Ich sag zu ihm: hör zu mein Schätzchen, wenn du noch willst, dann will ich auch."

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden