Weiter kämpfen

GEBRAUCHTE UNTERHOSEN, ALTE KLEIDER Alice Schwarzer und Mariam Lau sind zwar ganz gegensätzlich - aber in ihren neuen Büchern "Der grosse Unterschied" und "Die neuen Sexfronten", in denen sie auf mehr als zwanzig Jahre sexuelle Revolution zurückblicken, ähneln sich die zwei bunten Fische in ihrer Unfähigkeit zum metaphorischen Denken

Rosa war der Einband, lila die Schrift, lila auch das Frauenzeichen mit der geballten Faust darin. Als ich zum ersten erste Mal Der kleine Unterschied und seine großen Folgen las, lebte ich in der katholischen Eifel. Schülerin eines erzbischöflichen Privatgymnasiums war ich und hatte - seit der Lektüre - bei meinen Mitschülern den Spitznamen "Affekt-Emanze". Nicht selten paarte sich diese Bezeichnung mit der Empfehlung "geh doch rüber." Als ob die drüben, im anderen Deutschland, irgendetwas mit Alice Schwarzer am Hut gehabt hätten!

Beeindruckend war, was man im Kleinen Unterschied lesen konnte, und ich hatte mit Kugelschreiber Worte umkringelt, "Penetrationswut der Männer", "Zwangsheterosexualität", und allerlei Kommentare an den Rand geschrieben. "Das Vokabular ist erheiternd und klingt wie bei Marx", "na, ich weiß nicht", "gib's ihnen". Neben Schwarzers Satz "nicht dieser biologische Unterschied, aber seine ideologischen Folgen müssen restlos abgeschafft werden" prangt heute, vergilbt, doch immer noch sichtbar, der Kugelschreiberkommentar: "toll!".

Fünfundzwanzig Jahre ist die erste Auflage des kleinen Unterschiedes nun alt, und Alice Schwarzer feiert sich mit einer Publikation, die sinnig unsinnig Der große Unterschied heißt. Interessant wird Schwarzers Bestandsaufnahme des Feminismus im Kontrast mit dem fast gleichzeitig im Herbst erschienenen Buch Die neuen Sexfronten von Mariam Lau, lange Jahre taz-Kulturredakteurin. Nichts könnte gegensätzlicher sein und nichts zugleich auch ähnlicher. Betrachten wir Lau und Schwarzer als zwei bunte Fische, die von verschiedenen Seiten eines Aquariums aus im selben Gewässer dümpeln.

Ausgangspunkt der Überlegungen von Mariam Lau ist die Feststellung, dass die Geschlechter im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert zu Sexmuffeln zu mutieren drohen. Studien haben angeblich belegt, dass - ganz im Gegensatz zur hypersexualisierten öffentlichen Bilderwelt - eine immer größere Zahl von Menschen im eigenen Bett unter Lethargie und Lustlosigkeit leiden. Was also, fragt Lau, ist nach dreißig Jahren aus der sexuellen Revolution geworden? Ist die groß angelegte Befreiung der Libido in gut dialektischer Manier in ihr Gegenteil umgeschlagen, in eine Tyrannei der Lust, der wir uns nur noch durch züchtiges Kuschelnwollen entziehen können?

Das wäre - als ernst gemeinte - eine gute Frage gewesen. Doch Lau hat anderes im Sinn, sie will etwas beweisen. Auf gut 200 Seiten präsentiert sie vor allem die These, dass die eigentliche Lockerung der sexuellen Sitten mit Oswalt Kolle, Beate Uhse und Konsorten angefangen habe und dass die linken Kommunarden in tiefster Seele Angst vor Sex hatten.

Laus Abhandlung ist auf unangenehme Weise tendenziös, sie sucht nach den verborgenen Affekten, nach den privaten Motiven der Helden der sexuellen Revolution und lässt keine Gelegenheit zur beharrlichen Denunziation aus. Gebetsmühlenartig wiederholt sie, dass Alfred Kinsey schwul war, Wilhelm Reich verrückt, Rainer Langhans ein Studienabbrecher, Alice Schwarzer nicht einmal das Abitur hat und Michel Foucault von "tragischen persönlichen Motiven" geleitet war. Wenn die Lektüre der "Neuen Sexfronten" irgendeinen Lustgewinn verspricht, dann weil sie sich anfühlt wie das zweifelhafte Vergnügen, an den gebrauchten Unterhosen von Lacan und Langhans zu schnüffeln.

Das Buch ist zweifellos dumm, homophob und in seiner Polemik fahrlässig. Lau zitiert in extenso die Berichte von den kind-elterlichen Doktorspielen der Kommune Zwei. Merke: hier saßen die eigentlichen Kinderschänder. Ansonsten fallen ihr zum Thema sexueller Missbrauch als zitable Gewährsfrauen nur Katharina Rutschky und Elaine Showalter ein, was hinreicht, um sexuellen Missbrauch - mal wieder - auf eine weibliche Inzestphantasie zu reduzieren. Die Feministinnen natürlich können nicht ungeschoren bleiben, ihnen wird ein "sadomasochistisches Weltbild" attestiert, sie verdrängen die Frage der Mutterschaft und haben insgeheim Angst vor der Macht, die sie so vehement fordern. An Alice Schwarzers zur Schau getragener "Dauerjugendlichkeit" sehe man, "wie mit aller Macht die Hinwendung zur genitalen Reife vermieden und statt dessen lieber im Zustand der adolezenten Allmachtsphantasien verharrt wird." Und die neuen homosexuell-lastigen Queer-Theorien mit ihrem Wunsch nach Auflösung der Geschlechter seien ebenfalls Ausdruck narzisstischer präpubertärer Omipotenzphantasien. Lau schlägt gerne mit der Keule der genitalen Reife in alle Richtungen.

Wozu Die neuen Sexfronten geschrieben werden mussten - so ganz ersichtlich ist es nicht. Zwei kurze Gedanken könnten etwas weiter tragen. Lau sieht im Glauben an die sexuelle Befreiung einen Rousseauismus am Werk, dem sie mit Freud die triebsublimierende Kultur entgegensetzt. Das könnte - auch gegen heutige Biologismen - immer noch ein guter Kritikansatz sein. Und Lau beobachtet eine eigenartige Asexualität der Gender-Studies. "Der sexuell aktive Körper, das was früher 'origiastische Potenz' hieß, kommen in den Gender Studies praktisch nicht vor." Das ist eine sinnige Feststellung. Hier hätte man ohne Häme einmal fragen können, warum sich das so verhält.

Doch Lau will nicht erklären. Unterm Strich kommt bei ihrer ganzen Untersuchung - enttäuschend - nur heraus, dass monogame Paare den besten Sex haben und dass es ganz okay ist, zu heiraten und Kinder in die Welt zu setzen. Der ganze Aufwand einer Revolution wäre gar nicht nötig gewesen, möchte Lau uns sagen, das Private ist bitte schön privat, und letztlich setzt sich sowieso Vernunft in Form des normalen liberalen Bürgertums durch. Quod erat demonstrandum.

Wenn Mariam Lau bis zum Anschlag tendenziös ist, dann ist Alice Schwarzer in gewohnter Manier parteilich. Im Großen Unterschied platzen die verbalen Bomben, dass es eine Lust ist. "Highnoon im horizontalen Geschlechterkampf", "Frauen sind das gefolterte Geschlecht", "Lustmörder sind die SS des Patriarchats". Alice Schwarzer ist sich treu geblieben, und in ihrem neuen Buch steht, wie zu erwarten, nichts wirklich Neues. Das Fazit nach 25 Jahren im feministischen Schützengraben heißt: "Es gibt reichlich Siege zu feiern - aber". Aber wir müssen weiter kämpfen.

Schwarzer beruft sich zum Teil auf die gleichen Texte und Umfrageergebnisse wie Lau, sie behandelt dieselben Themen. Lustlosigkeit? Das liegt am Feminismus. "Die Frauen entdecken ihren Körper und ihre Lust - und den Männern ist eben diese Lust vergangen". Sexuelle Revolution? Die kommt vom Feminismus. "Nicht die Sexwelle der 60er, die Frauenbewegung der 70er war es, die die Sexfront in Bewegung brachte." Missbrauch? Eine brutale Männersache. "Was eigentlich waren die wahren Motive der Terroristinnen der 70er Jahre, die das Gewehr auf die Vätergeneration richteten? Wieweit hatten diese Frauen in Wahrheit nicht nur den Vater Staat gemeint, sondern auch die eigenen (missbrauchenden, A.R.) Väter, Männer, Onkel?"

Die Feministin weiß, wo die Fronten liegen, und alles, alles beruht auf dieser einen felsenfesten Wahrheit: "Gewalt ist das dunkle Herz aller Machtverhältnisse. Das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern basiert auf Sexualgewalt."

Es heißt, man solle alte Kleider aufbewahren, denn irgendwann werden sie sicher wieder in Mode kommen. Alice Schwarzer hält seit 30 Jahren unbeirrt einem Beauvoir-Feminismus die Treue und ist - unbeschadet aller Diskussionen um die sexuelle Differenz - schon längst dort angekommen, wohin die Queer- und Gender-Theorie nun pilgert. Mit der These von der sozialen Konstruktion des Geschlechts hat sie überhaupt keine Probleme und auch nicht damit, Zweigeschlechtlichkeit als eine Zwangsmaßnahme zu betrachten: "der Prozess der Vermännlichung oder Verweiblichung ist für alle Menschen immer auch ein Prozess der Reduktion, eine Amputation. Er verstümmelt beide Geschlechter."

Doch ganz genau passen die alten Kleider nicht ins neue Schema. Der Slogan "man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht" war ehedem - und ist für Schwarzer - ein Instrument zur Begründung einer durchaus geschlechtlichen Forderung. In den Queer-Theorien dagegen ist die These von der sozialen Konstruktion Selbstzweck, es gibt kein Geschlecht hinter der Konstruktion, daher trudelt die Theorie politisch ortlos vor sich hin.

Darüber hinaus hat - wichtiger noch - die Queer-Theorie unter der Hand das aufgelöst, wovon Schwarzer nach wie vor unverbrüchlich ausgeht: die Verbindung Macht und Gewalt, Gewalt und Männlichkeit. Diesen kleinen Unterschied sieht Schwarzer nicht. Für das jüngere Denken ist nicht mehr eindeutig zu bestimmen, von wo die Macht ausgeht, sie ist zerstreut, überall, und daher auch nicht in einen direkten Gewaltbegriff zu übersetzen. Die postmoderne Queer-Theorie lebt zwar auf dem Bodensatz eines Repressionsdenkens (wir werden von der Macht geformt) aber sie hat die Täter-Opfer-Dyade über Bord geworfen. Das macht sie für einen feministischen Orientierungswunsch unbrauchbar. Queer- und Gender-Theorie hat zwar den Feminismus beerbt, kann aber in keiner Weise mehr sagen, wo es langgeht.

Anders Alice Schwarzer. Sie zählt zwar nicht zu den "Opferfeministinnen", aber sie weiß, wer die Täter sind. Die sichere Klarheit verdankt sie einem blinden Fleck, denn Schwarzer kann Frauen so wenig als Täterinnen denken wie Lau die Männer als Täter. Selbst die Domina ist Opfer, denn sie wird vom Mann für ihre Peitschen-Dienste bezahlt. Sexualität und Macht sind für Schwarzer immer eindeutig. Mit ihren Kernseifenweisheiten schrubbt sie uns die Flausen aus dem Kopf, frisch, natürlich unverdorben. "Perversionen", schreibt sie, "sind eine reine Männersache."

Schwarzers Schwäche ist ihre Stärke. Die Verbindung von Sexualität und Gewalt bleibt ein prekäres Thema. Das schwer auszuhaltende und nervtötende Glaubensbekenntnis - Männer üben Sexualgewalt aus - ist in seiner undifferenzierten Art immer noch und immer wieder eine Provokation, und solange sie das ist, wird wohl etwas dran sein, an der These.

Betrachten wir Lau und Schwarzer als zwei bunte Fische. Sie nähren sich vom selben Faktenberg, und was sie ausscheiden ist zwar von sehr unterschiedlicher Form, doch nicht unbedingt von unterschiedlicher Beschaffenheit. Wenn sie eines gemeinsam haben, dann ist es die Unfähigkeit zu metaphorischem Denken. Sie lesen die Texte und Bilder der Welt eindeutig, im Maßstab eins zu eins. Daher wirken beide Bücher auf eigenartige Weise anachronistisch, als träfen beide Perpektiven - das Votum für die Geschlechterdifferenz im Namen der genitalen Reife und das Votum gegen sie im Namen des Machtausgleichs - nicht wirklich den Kern der Zeit.

Ironie des Schicksals: Im April dieses Jahres ist ein Buch mit dem Titel Der kleine Unterschied erschienen, nicht von Alice Schwarzer, sondern von dem Autorinnen-Duo Sabine Riedl und Barbara Schweder, die mit soziobiologischen, hirnneurologischen und "stammesgeschichtlichen" Erklärungen nachweisen, warum Frauen und Männer so anders denken und fühlen. Face the fact: Solcher Unsinn füllt derzeit die Regale der Frauenliteratur und ihm ist mit Vernunft nicht beizukommen. Daher brauchen wir den reflexionslosen Propaganda-Feminismus à la Schwarzer. Möge er noch lange leben.

Mariam Lau: Die neuen Sexfronten. Vom Schicksal einer Revolution. Alexander Fest Verlag, Berlin 2000. 223 S., 39,80 DM

Alice Schwarzer: Der große Unterschied. Gegen die Spaltung von Menschen in Männer und Frauen. Verlag Kiepenheuer Witsch, Köln 2000, 297 S., 36,- DM

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