Ihre Antworten sind so kompakt wie sie selbst und ihr Leben: "Nö", "Ja", und oft sagt sie: "das weiß ich nicht". Petra Moltack sieht aus wie eine lebenslustige Frau, deutliche Lachfalten hat sie, die Augen können strahlen. Ihre Wangen sind gerötet, als wir reden, die auffällig kräftigen Finger liegen, wenn sie die Arme verschränkt, auf dem Pullover und bewegen sich unmerklich. Sie sind eigenartig aus der Form geraten, diese Finger, beschreiben eine Kurve, als hätten sie Rheuma oder Gicht.
Petra Moltack hat zwei Mal geheiratet. Vier Wochen vor der Silberhochzeit wurde sie geschieden und hat, fast 20 Jahre später, denselben Mann ein zweites Mal genommen. Deshalb treffen wir uns. Er hatte eine zweite Ehe in der Zwischenzeit, sie nicht. Was macht eine Frau in 20 Jahren Ehepause, das ist es, was ich wissen will.
"Es ist schon so, dass ich die jungen Jahre verpasst habe", sagt sie. Sie hat ihren Mann mit zwölf kennen gelernt, im Jugendkreis der Methodistischen Gemeinde der kleinen Stadt H. im Norden Westdeutschlands. Erst waren sie befreundet, sie und Gerd, und dann zusammen. Wie kam das denn? "Man spielt mein rechter Platz ist leer im Dunkeln." Mit 22 waren sie, beide gleich alt, verheiratet. Verliebt ist sie nicht gewesen in ihren späteren Mann, "wir sind zusammengewachsen", so nennt sie das.
Wie oft sind diese Geschichten schon erzählt in der ein oder anderen Weise? Petra arbeitet als technische Zeichnerin, Gerd ist im Staatsdienst der Stadt K. für acht Jahre verpflichtet. Sie geht mit ihm. Nach der Geburt des ersten Kindes, 1964, hört sie auf zu arbeiten. Petra bekommt ihre Kinder, drei an der Zahl, es sind schwierige Geburten, nach der ersten näht man sie zu, dass das zu eng war, merkt sie erst nach der zweiten. Man redet nicht über so etwas, kennt sich nicht aus. Ein drittes Kind, die erste Tochter, hat sie nicht gewollt, aber: "man kommt ja schneller zum Kind wie zu einem neuen Kleid, haben wir damals gesagt." Diese Geburt beschert ihr einen Symphysenriss, eineinhalb Jahre lang muss sie ein Stahlkorsett tragen, auch nachts. Wenn sie es ablegt, fühlt es sich an, als falle sie auseinander. Das ist alles, an was sie sich erinnert aus der Zeit. An Sexualität erinnert sie sich nicht.
Gerds Arbeitsvertrag läuft aus, er möchte noch einmal studieren für einen sozialen Beruf, also ziehen sie nach B. und leiten gemeinsam ein Arbeitnehmer-Wohnheim. Er entwickelt sich, sie stagniert. "Da hab ich mit 80 Männern in einem Haus gewohnt", sagt Petra und fügt hinzu, dass Gott sei Dank alle drei Tage die Reinmachefrauen kamen. Die Männer in dem Heim, alle Hafenarbeiter, waren freundlich, sie aber "war überfordert, rein kräftemäßig."
Sie weiß nicht, wann der schleichende Prozess eingesetzt hat. "Irgendwie", sagt sie, "sträube ich mich gegen die Formulierung man hat sich auseinandergelebt." Aber so war es wohl: zusammengewachsen, auseinandergelebt. Gerd, jetzt studiert, war der Hansdampf in allen Gassen. Sie gingen zurück nach F., wo er eine Stelle antrat, er war nun ständig unterwegs. Und ihn hörte man, sie nicht. Beide besuchten regelmäßig den methodistischen Ehekreis, da hieß es dann öfter "der Gerd hat gesagt, obwohl es meine Worte gewesen waren." Je lebendiger er wurde, desto toter war sie, je mehr sie ihm abnehmen wollte, desto mehr lud er sich auf, je lauter er war, desto stiller wurde sie.
"Er neigt dazu", "Er ist", "Heute weiß ich", sagt sie oft. Wie Floskeln, glattgeschliffen vom häufigen Benutzen, sie hat viel geredet in Gesprächszirkeln, im Frauenkreis, in der Gemeinde, das merkt man. Er neigt dazu: auf Menschen zuzugehen, die Verantwortung abzugeben. Er ist: pflichtbewusst, bescheiden, unruhig, ein Schwarm der Frauen. Sie sagt aber auch: "Gerd hat sich immer gequält". Ein Mann mit schlechtem Gewissen.
"Ich bin", sagt sie zu der Zeit von damals, "auf der Strecke geblieben." Sie verweigerte sich, bewunderte ihn nicht, reagierte mit Krankheit, vor allem mit Magenbeschwerden. Sie hat sich, wie sie sagt, "den Kummer und Frust herausgekotzt." Sie redete nicht mehr, zog sich zurück, wütend sei sie nicht gewesen, nur traurig und krank und unglücklich über ihre eigene Reaktion. Sie wollte nicht so sein, wie sie wurde unter den Bedingungen ihres Lebens.
Lange muss dieses "Schleichende" sich entwickelt, hineingefressen haben in die Familie. Die Kinder waren 19, 17 und 15, als der Gedanke an Trennung real wurde, "Gerd fragte mich, ob er sich eine eigene Wohnung nehmen solle", sie stimmte zu und hatte ihm wieder eine Entscheidung abgenommen.
"Er dreht sich um", ist auch so ein Satzanfang, ein Bild, das sie häufig verwendet. Er dreht sich um, geht zur Tür hinaus und hat mich vergessen. Er dreht sich um und schafft sich eine neue Familie an. Bald kam eine neue Frau ins Spiel bei ihm. Petra Moltack erzählt das ohne Rührung, als sei sie nicht eifersüchtig gewesen, nur enttäuscht, so schnell ersetzt worden zu sein. Die Andere, mit einem Sohn aus erster Ehe, war jünger, klar, und sie war anders als Petra, "hatte etwas Schillerndes". Heute weiß ich, sagt sie wieder, "hätte ich hartnäckiger um ihn gekämpft, wär´ das alles anders gekommen."
Sie kämpft aber nicht, sie fängt bei Null an. Nach 25 Jahren Ehe und drei Kindern, von denen die beiden jüngsten zunächst noch bei ihr wohnen, bleibt unterm Strich nicht viel, kein Geld, kein Rentenanspruch, kein Beruf. Sie hat Angst, das erste Mal in ihrem Leben wirkliche Existenzangst, weil sie nicht weiß, ob sie sich wird ernähren, ob sie sich eine Rente wird erarbeiten können. Die nächsten fünf Jahre verbringt Petra Moltack mit dem Versuch, über Kurse und Fortbildungen ins Arbeitsleben zurückzukehren, spät erst gab es eine feste Verwaltungsstelle für sie, nichts Großartiges, aber sicher, und da sagt sie den Satz: "das war eine der glücklichsten Fügungen, die mir passiert sind."
Ihrem Mann begegnet sie selten. Von ihr aus muss man sich nicht offiziell scheiden lassen, doch einmal spricht er sie auf dem Markt an und sagt, er brauche das Stammbuch, er wolle die Scheidung und wieder neu heiraten. "Er ist so ein Typ, er braucht klare Verhältnisse." Immer. Jetzt. Und später, noch später, wird er sie auch brauchen.
Die Zwischenzeit, die Zeit, in der ihr Mann eine andere Ehe führte, die Zeit, die mich interessierte, als ich sie traf, wirkt wie ein Gleichfluss. Was soll geschehen sein in den fast 20 Jahren? "Ich bin wieder die alte Petra geworden", sagt sie, sie hat ihre Arbeit, die Gemeinde, sie unternimmt Reisen, nach China und eine Rundreise durch Amerika zum Beispiel. Auf die Frage, wer ihr nah war in dieser Zeit, sagt sie wieder: "Das weiß ich nicht". Ein paar flüchtige eher platonische Männerbekanntschaften gab es und die Kinder. Ja die Kinder, die entfernen sich, werden fremd. Sicher, man hat sie irgendwann geboren ... Eine Freundin, sagt sie dann, ja, es gab eine sehr gute Freundin in der Zeit, die sich jetzt, da sie wieder mit Gerd zusammen ist, zurückgezogen hat. Es ging Petra nicht übermäßig gut in dieser Zeit, aber schlecht ging es ihr auch nicht. "Ich habe es genossen, als einzelne Person gesehen zu werden", sagt sie, und: "Ich bin ein Mensch, der gut mit sich zurecht kommt."
Wenn sie ihren Ex-Mann traf, war es wegen der Kinder, die mittlerweile weit weg wohnten. Fuhr er hin, gab sie ihm etwas, das er ihnen mitbringen sollte und umgekehrt. Irgendwann rief er auch an, einfach so, wollte mal hören, und irgendwann, Anfang der Neunziger, fragte sie ihn, ob man nicht mal eine Tour mit dem Motorroller machen solle, aus Nostalgiegründen. Mit klopfendem Herzen, sagt sie, habe sie das gefragt. "Da haben Sie ihn verführt?" frage ich. "Nee", sagt sie, "er sagt ja immer: du machst nichts." Jetzt klingt sie verliebt, wenn sie erzählt. Die beiden sind aufs Land gefahren mit dem Motorroller, schönstes Wetter war, und er hat die Arme um sie gelegt und sie geküsst und gesagt, sie solle das nicht falsch verstehen und denken, es sei nur etwas Sexuelles. Ach, die Methodisten. "Ich fand das so spannend", sagt sie, "zu Anfang war das sehr heftig, man reagiert ja auch körperlich."
Ihr Sohn, der zweite, erinnert sich, dass sie, Petra, ein Jahr nach der Trennung von Gerd gesagt haben soll: "Der kommt zurück". Davon weiß sie nichts mehr. "Ich seh´ das ein bisschen wie eine Bestimmung. Wenn es hätte sein sollen, wäre es auch anders gekommen." So nähern sie sich wieder an. Gerds zweite Ehe ist zerrüttet, seine Frau trennt sich, "das war für ihn", sagt Petra, "die größte Niederlage."
Nach einiger Zeit zieht das Ex-Ehepaar Moltack wieder zusammen. Petra vermisst ihn jetzt, wenn er nicht da ist, "das ist neu", und sie kann ihn lassen, wie er ist. Die Angst vorm Alleinsein im Alter sei sicher auch ein Grund gewesen, wieder zusammenzuziehen und "natürlich ist da auch Liebe vorhanden, denn sonst kann man das ja nicht." Gerd will heiraten, "wegen mir hätte das nicht sein müssen", sagt Petra wieder, so wie auch eine Scheidung damals nicht hätte sein müssen, aber Gerd ist so ein Typ, der will klare Regeln. "Und wenn schon heiraten, dann wenigstens einen, den du kennst."
Über das, was er gelebt hat in den 20 Jahren dazwischen, weiß sie wenig. "Man redet so viel, aber nicht über sich", sagt sie, "ich hab manchmal das Gefühl, ich kann gar nicht mit ihm sprechen". Aber sie scheint ihm die Zeit nicht zu neiden.
Ich frage nach Sexualität. Ja, das ist so eine Sache. Bei ihm und bei ihr. "Es war nie so besonders mit uns", sagt sie und: "Ich bin da sehr unterentwickelt." Auch in der Zwischenzeit, den 20 Jahren, hat sie "sexuell sehr enthaltsam gelebt", und sie redet - wie zweideutig - auch von Gerds "sexueller Schwäche". Er springt zwar sehr auf Frauen an und die auf ihn, "das braucht er", aber eigentlich, denkt Petra, kann da nicht viel passieren. Bei ihr jedenfalls ist er nicht auf seine Kosten gekommen, und umgekehrt war er in dieser Hinsicht für sie auch kein großes Erlebnis. "Ich hätte", sagt sie, "schon mal gerne eine Art Ekstase erlebt, aber ich hab nie etwas getan dafür. So viel wert ist es mir dann wohl auch nicht."
Wer ist Petra Moltack? So vieles bleibt ein Widerspruch. Sie und ihr Mann seien wie großer Bruder und kleine Schwester gewesen, sagt sie, aber was sie von seiner Gefallsucht erzählt, klingt umgekehrt. Gerd gibt Verantwortung ab, sagt sie, aber in der Geschichte ist er derjenige, der bewegt. Sie sei stur ihren Weg gegangen, sagt sie, und folgte ihm doch - fast - in jede Stadt und in jede Ehe. Stur, nordisch eben, ist sie trotzdem. "Er sagt immer: Du verweigerst dich. Du verkaufst dich so schlecht. Aber ich mag nicht in der ersten Reihe stehen, ich stehe lieber mitten drin."
Wie traurig ist der Durchschnitt, wie glücklich die Exzentrik? Sie, Stoikerin des Mittelmaßes, antwortet gleichmütig auf die Frage, ob sie ein erfülltes Leben hatte: "Nee, nicht so doll." Und Gerd, war sein Leben ein erfülltes Leben, frage ich. Da sagt sie, wie soll es anders sein: "Das weiß ich nicht. Er würde spontan sagen: Ja, aber ich weiß es nicht."
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