Wolkenschloss

Pyrenäen-Abend Kolumne

Vom GR 11, einem Fernwanderweg auf der spanischen Seite der Pyrenäen, heißt es, man solle viel Proviant mitnehmen, denn der Weg kreuze nur alle paar Tage mal ein Dorf, und die Schutzhütten seien meist nicht bewirtschaftet. Wie wahr.

Genau auf den letzten Krumen Brot und Käse kalkuliert, etliche Grasbüschel vom Zelten noch am feuchten Hosenboden klebend, hungrig und ein bisschen steif in den Gliedern gelangten wir, unterwegs auf besagtem GR 11, eines Vormittags nach Balneario Panticosa. Die Reisekarte vermerkte das Dorf als einen alten Thermal-Kurort, weshalb wir hier ein prächtiges Frühstück eingeplant hatten. Beim Abstieg durch enge Schluchten hörten wir schon weit oberhalb des Ortes Lärm und blickten dann auf einen riesigen Rohbaukomplex mitten in den waldbestandenen Felsen. "Sieht aus, als hätte das Alvaro Siza entworfen", sagte C., der aus professionellen Gründen eine Affinität zu Baustellen hat, die ihn auch inmitten reinster Natur nicht stören, solange man die Handschrift des Architekten erkennt. Zumindest er also stieg freudig ab. Doch Balneario besteht aus nichts, wirklich nichts, als diesem Gerippe der Hocharchitektur, einem Casino und einem Gran Hotel. Fünf Sterne. Keine Bewohner, kein Lebensmittelladen, die Bar verkauft weder Brot noch Käse, und die einzig zu erwerbende Nahrung ist Touristenkuchen aus dem Souvenirladen. Es gibt diese ratlosen Momente auf Wanderungen. Wir brauchten Proviant, der nächste Ort war etliche Kilometer entfernt und lag nicht auf unserer Route, es begann zu nieseln und außerdem hatte B. heute Geburtstag. Dies war ein ratloser Moment. Also schickten wir C. voraus ins Grand Hotel, die Lage zu sondieren.

Er kehrte mit einer auf feinstes Pergamentpapier gedruckten Preisliste wieder und strahlte glücklich: innen sei alles von Rafael Moneo, eben jenem, der auch das Grand Hyatt in Berlin ausgestattet hat, alles sehr chic, vor allem die Badezimmerarmaturen ein Traum, wirklich, und es gebe drei (!) Restaurants in diesem Gebäude. Über die Ziffern auf dem Pergamentpapier sprechen wir nicht, der Hunger war groß, das Wetter schlecht, wir mieteten uns ein, hinterließen bei der Anmeldung einige Schlammbröckchen auf dem Marmorfußboden vor der Rezeptionstheke und bedeuteten dem dienstfertig verwirrten boy, dass wir unsere Rucksäcke selbst aufs Zimmer tragen.

Wenn du die letzten Nächte zeltend auf Kuhfladen verbracht hast, seit Tagen Tütensuppen isst, mit aufs Gramm berechneten kargsten Habseligkeiten lebst und dich plötzlich im weißen Frottee-Bademantel wiederfindest, an den Füßen weiße Flauschpantöffelchen, dann ist das der reinste Surrealismus. Wir entdeckten das Grand Hotel wie Kinder ein Schlaraffenland. Die Pflege-Box im Bad enthielt: Flacons mit Body-Lotion, Shampoo und Duschgel Duftmarke lime basil, Kamm, Zahnbürste, Nagelfeile und Nagelhautschieber, Nähutensilien, einen bei Kontakt mit Wasser aufquellenden Badeschwamm, Rasierzeug und Duschhaube. Die Badarmaturen waren, wie versprochen, vom Feinsten, einen Duschkopf, der aussieht wie ein Stabmikrofon, hatte ich bis dahin auch noch nicht gesehen. Die Schranktür aus faltbaren Holzlamellen schaltete beim Öffnen automatisch Beleuchtung an, und drinnen fand sich zwischen Bügeln und Regalbrettern auch, klar, ein kleiner Tresor.

Die Zimmerdame brachte Blumen vormittags, einen floral angerichteten Obstteller nachmittags und abends ein Betthupferl; überhaupt plusterten dienstbare Geister permanent die Betten auf, und zum Service des Hauses gehörte "Pillow à la carte", was bedeutet, dass man zu jeder Tages- und Nachtzeit die Kopflagerung gegen - zum Beispiel - ein Entendaunen-Kissen eintauschen kann, falls die Kiele der Gänsefedern zu sehr kratzen. Auf fast jedem Gegenstand in diesem Grand Luxe prangten die verschnörkelten Initialen PR - Panticosa Ressort. Selbst bei den Standaschenbechern vor den Aufzügen waren sie mit viele Liebe zum Detail in den feinen Löschsand geprägt.

Es war leer im Märchenschloss, außer uns gab es kaum Gäste. PR - Panticosa Ressort liegt noch im Schlummer. Eine "Nozar Group" hat das Areal aufgekauft und putzt es auf zum Edel-Erholungsort "a little bit closer to heaven". In den nächsten Jahren sollen vier weitere Hotels entstehen - allesamt in der Kategorie 4-Sterne -, ein Sporthotel-Komplex, ein Golfplatz.

Was braucht der Mensch? Was gegen Kälte, was gegen Nässe, was gegen Sonne, was gegen Hunger, was gegen Durst und ab und zu ein Wolkenschloss. Einen zweiten Tag im Grand Hotel hätten wir weder ausgehalten noch bezahlen können. Gut genährt und erholt brachen wir wieder auf ins Gebirge. In zwei Jahren gibt es in Balneario Panticosa auch die geplante Shopping Gallery. Mit etwas Glück kann man dort dann Lebensmittel kaufen.


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