Zwei am Durchschlupf

Untertage Ein Berliner Verein macht den alten Bunker Humboldthain zugänglich - sehr zum Ärger der Anarchisten des öffentlichen Raumes

"Bevor irgendwer ne Ahnung hatte, dass da unten überhaupt was ist, hatte ich schon an die Schlitze jerochen." - Eine schlüpfrige Aussage? Iwo. Als am 25. Dezember 1988 die Polizei mitten in der Nacht eine Gruppe von jungen Männern entdeckte, die im Berliner Volkspark Humboldthain mit schwerem Gerät den Boden aufwühlte, und fragte: "Was macht ihr denn hier?", antworte Thomas Meier: "Wir sind Bunkerforscher." 22 war er damals, voll im Fieber und völlig überzeugt, dass es zwischen dem kleinen Kommandobunker und dem großen Festungsbunker einen Verbindungsgang geben müsse. Den haben er und seine Freunde nie gefunden, aber einige Hektoliter Sand hatten sie schon ausgegraben und gleichmäßig im Humboldthain verteilt. Der Polizei zuliebe haben sie ihr schönes Loch notdürftig wieder zugeschüttet. Auf was sie damals in der Nacht des ersten Weihnachtstages gestoßen sind, war ein kleiner Zwischenbunker, da ist Thomas sicher - weiter verfolgt hat er seine Forschungen in diesem Teil des Humboldthains nicht.

Es geht ums Rauf- und Reinklettern. Es geht um das, was hoch in der Luft oder unten in der Erde ist, verboten und versteckt, verschüttet, geheimer Freiraum im vermessenen und verplanten Stein der Großstadt. Es geht um Grauzonen, Aneignung des Schwierigen, des verbotenen Terrains, Kinderverstecke, eine dritte Dimension des öffentlichen Raumes, die städtische Variante der unbedingten Liebe zur Natur.

Thomas Meier ist nicht irgendwer. Er ist der erste Berliner, der - zusammen mit einem Freund - die Eiger Nordwand erstiegen hat. Der gelernte Elektroinstallateur klettert alles was glatt ist hoch und was dunkel ist runter, heute ist er beteiligt an etlichen Expeditionen, und Mitinhaber eines Bergsteigerladens ist er natürlich auch. Damals, als das "Bunkerfieber" ihn ergriff, ist er in alles eingestiegen, was nicht niet- und nagelfest war, Ende der achtziger Jahre stand viel in Zeitungen über ihn, in Zitty und Prinz, wie er zusammen mit seinem Kumpel, dem Journalisten Manfred Kohnz, in den Tiefen des Humboldhain-Bunkers Hinweise auf die "Kampfgruppe Priem" fand und kleine Schering-Fläschchen mit Impfstoffen aus dem Jahre 1949 zutage förderte, was ihm eine polizeiliche Hausdurchsuchung einbrachte. Legal war das nicht und der Bunker offiziell unzugänglich. Meier hat sein Material über diese "Aktionen" in einem Pappkarton gesammelt, "ich bin der Bunkerman", sagt er, der absolute Spezialist. Er kennt Berlin von unten, war schon im Führerbunker, sagt er, bevor die Mauer auf war, einfach drunter durch gekrochen. Ein Foto von ihm ist berühmt geworden: Da seilt Meier sich, kurz nach der Wende, vom Denkmal des Sowjet-Panzers am Grenzübergang Dreilinden ab. Man sieht ihn dort, wie eine kleine Spinne, auf halber Höhe zwischen der Spitze des Panzerrohrs und dem Denkmalsockel schweben - das Foto veröffentlichte der Stern als Bild der Woche - eine gefällige Synthese aus persönlicher Anarchie und dem Triumph des Westens.

Fünf Geschosse geht es hinab. Schutt liegt überall, die Schächte der Lastenaufzüge bilden tiefe Gruben, mehr als 20 Meter geht es in die Tiefe, eine eingestürzte Wendeltreppe kann man erahnen, zerrissene Betonmauern ragen quer aus dem Geröll auf, die Feuchtigkeit hat in dieser einsamen Dunkelheit stalagmitenförmige Kalkzapfen entstehen lassen, und in einigen Ecken nisten Fledermäuse. Nach unten gelangt man nur mit Kletterausrüstung und Grubenlampe, hier, im vorletzten Geschoss, liegt ein großer Raum, der anders ist als die anderen, "wie eine Kultstätte", sich verändernde Graffiti an den Wänden, "bei Odin und Wallhall" hat auch schon mal dort gestanden, sagt Meier. Ein Durchschlupf führt zu einem weiteren Raum, in dem - wie die Erfüllung einer Verheißung, eines Schatzes - sich Tropfwasser zu einem klaren See gesammelt hat, der feine Schutt auf der gegenüberliegenden Seite erscheint wie ein sandiges Ufer. Auf einer der "Expeditionen" hat Meier auch ein Schlauchboot mitgenommen, um überzusetzen.

Außen am Bunker kann man offiziell klettern, hinein aber kommt man eigentlich nicht. Der Humboldthain-Bunker, einer der vier großen Verteidigungsbunker Berlins, wurde nach dem Krieg gesprengt und an seiner Süd-Seite mit Schutt zu einem Berg aufgeschüttet, von der West-Seite stehen noch zwei Türme und eine Wand. Das Areal ist seit einiger Zeit mit martialischen Zäunen abgesichert und hat keinen Eingang. Außer, man gräbt und sucht sich einen. Thomas Meier ist überzeugt, dass "sein" Zugang exklusiv nur von ihm benutzt wird, 20 Mal war er unten. Aber andere waren auch drin, und bei jedem Besuch spielt der Grusel mit, nicht allein zu sein im Dunklen. Das Innere verändert sich ständig mit den heimlichen Besuchern und ihren Zeichen, der politisch dubiosen Gruppen, der Obdachlosen, der spielenden Kinder und anderer selbsternannter Bunkerforscher, die sich in Mutter Erde graben.

Thomas Meier ist also nicht der einzige. Dietmar Arnold ist ein anderer. Ebenfalls ein Berliner Gewächs, nicht ganz der Kletterer, aber einer, der sich spätestens beim Besuch der Pariser Katakomben und ihrer Freunde, der "Kataphilen", "sozusagen infiziert" hat. Über ihn erscheinen jetzt ähnliche Artikel in den Zeitungen wie vor mehr als zehn Jahren über Meier. Arnold betreibt die Sache allerdings offiziell, er hat eine "Gesellschaft zur Erforschung und Dokumentation unterirdischer Bauten" (Berliner Unterwelten e.V.) gegründet, im U-Bahnhof Gesundbrunnen ein sehenswertes Bunkermuseum eingerichtet, zwei Bücher zum Thema geschrieben, und er wird den Humboldthain-Bunker fürs breite Publikum öffnen. Der Berliner Unterwelten e.V. hat einen Sondernutzungsvertrag für den Bunker bekommen, einige seiner Mitglieder reden in der Lokalpolitik ein Wörtchen mit.

Arnold ist Architekt, schreibt an einer Doktorarbeit im Fach Baugeschichte, und er ist ein vehementer Verfechter "authentischer Gedenkstätten". Wie Preziosen behandelt er seine archäologischen Fundstücke des 20. Jahrhunderts. Kein Firlefanz künstlerischer Überhöhung, Dokumente will er zeigen, Reste im Schutt, von Hitze verbogene Glasflaschen, zertrümmerte Brillen, Kondomkästchen gefallener Soldaten, verblichene Wandzeichnungen, einen Berg von halb geschmolzenem Silber-Besteck, geborgen aus dem Keller des Hauses von Lutter Wegner. "Geschichte fühlbar machen" ist sein Konzept im Bunkermuseum und auch im Bunker Humboldthain.

Draußen bleibt die Kletterwand. Die hat Thomas Meier in den frühen achtziger Jahren erschlossen und eine Kletter-Genehmigung über den Alpenverein erwirkt, der heute die Mauer in Pacht hat. "Return to phantasy", "Dreckshaken" und "Schmerzgrenze" heißen die Routen an der fast gänzlich glatten Wand. Meier empfindet das ein bisschen als seine Wand und er ärgert sich, dass der Unterwelten e.V. einfach ein Fenster hineingestemmt hat. Überhaupt findet Meier die Leute von den Unterwelten arrogant. Während Dietmar Arnold gewisse Leute vom Berliner Senat arrogant findet, weil die sein Bunkermuseum nicht für die lange Nacht der Museen zugelassen haben. Und das mit der Kampfgruppe Priem damals, sagt Arnold, das sei Quatsch, das habe sich der Kohnz bloß ausgedacht und vielleicht selbst die Hakenkreuze arrangiert, die er da angeblich gefunden hat. Immerhin war Arnold auch schon drinnen, im Bunker, als er noch ein kleiner Junge war. Soweit zu den Zwistigkeiten am Durchschlupf.

Arnolds "Trümmermänner" räumen auf, sie schaffen Schutt weg, ehrenamtlich und schon seit Wochen, sie legen frei, bauen Treppen und Geländer, installieren Lampen und machen die ersten beiden Etagen des Bunkers besucherreif - erst mal. Irgendwann will man ganz hinunter mit der Höhlentour, ganz hinunter bis zum See. Führungen in die ersten beiden Etagen soll es ab April geben, jeden Sonntag. Feucht ist es, düster und muffig da drinnen, ein bisschen, wie auf einer Baustelle. "Der Reiz des Verbotenen wird vorbei sein, wenn man offiziell reinkommt", sagt Arnold. Aber was kümmert das, wenn Pioniere kämpfen.

Dietmar Arnold/ Reiner Janick: Sirenen und gepackte Koffer. Bunkeralltag in Berlin, Chr. Links Verlag, Berlin 2003

Informationen zu den Führungen: www.berliner-unterwelten.de


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