Gehen oder Kommen?

Georgien nach Schewardnadse Hoffnungsvoller Neuanfang oder altes Chaos?

Als das Spiel noch offen war in Tiflis, als Eduard Schewardnadse mit schmalem Mund verkündete, er werde seinen Platz nicht räumen, und die Bewohner des Kaukasus-Landes den Atem anhielten, als die Nächte kurz waren, weil man gemeinsam am Tisch saß - in diesen Stunden, in denen die Angst vor oft erfahrener Gewalt wie Brandgeruch über der Stadt lag -, da schoss ein Fotograf das Bild einer jungen Frau mit einer schwarzen Samtkappe auf dem Haar. In einer verschwimmenden Menge stand sie freundlich lächelnd vor einer Reihe von Polizisten, die ihre Gesichter hinter Schutzschilden verbargen. Und verteilte rote Rosen.

Diese hilflos-rührende Geste, mit der Frauen und Männer in Tiflis Polizeikräfte und Soldaten zu Solidarität mit den Demonstranten bewegen wollten, hat dem georgischen Widerstand seinen Namen gegeben: "Rosen-Revolution". Wie diese Rosen begann der Aufstand mit einer Knospe und wurde innerhalb weniger Tage zu einer üppigen Blüte. Erst standen 2.000 vor dem Parlament, dann 5.000, dann 10.000. Mit Bussen, mit Eselskarren und sogar zu Fuß strömten die Georgier zusammen, bis sie vor dem Parlamentsgebäude und in der Rustaveli-Straße nicht mehr zu zählen waren. Bis der Chor derjenigen, die Schewardnadse aus dem Amt haben wollten, zu einem Ruf anschwoll, der sogar bis in den sonst an kaukasischer Politik wenig interessierten Westen - bis in die Sendestationen von CNN - drang.

Einige Rätsel, die zu lösen sind

Als Schewardnadse endlich verbittert seinen Rücktritt bekannt geben musste, versuchte er sich noch einen letzten Hauch von Glorie zu geben: Er wolle Blutvergießen vermeiden.

Er habe "Ich gehe nach Hause" gesagt, beschrieben westliche Fernsehstationen seinen Abgesang, die georgischen Zeitungen dagegen schrieben, der Satz lautete: "Ich komme nach Hause". Gehen oder Kommen? Durch seinen scheinbar freiwilligen Rücktritt wollte sich Schewardnadse die Dankbarkeit seines Volkes und den gnädigen Blick künftiger Geschichtsschreiber sichern. Ob sein Abgang den massiven Protesten des georgischen Volkes zugeschrieben werden muss oder eher interne Machtkämpfe mit russischen Interessen zu einer wundersamen Symbiose verschmolzen, und die in Regennächten ausharrenden Demonstranten nur delegiert wurden, wissen allein die unmittelbar Beteiligten.

Die letzten Gespräche, die Schewardnadse mit der Opposition und schon in Anwesenheit des russischen Außenministers Igor Iwanow führte, fanden hinter verschlossenen Türen statt. Diese Vorgänge und die Frage, auf welcher rechtlichen Basis Deutschland dem geschassten Präsidenten möglicherweise Asyl in seiner Baden-Badener Nobelvilla gewähren möchte, sind nicht die einzigen Rätsel, die zu lösen sind, nachdem die Siegesparty vorbei ist. Schewardnadse ist Vergangenheit. Viel wichtiger ist, was sich daraus für die Zukunft ergibt: Inwieweit Russland seinen Einfluss in Georgien wieder verstärkt. Und wer der nächste Präsident sein wird. Wie Georgiens wirtschaftliche Probleme gelöst werden - wie der massiven Korruption Einhalt geboten werden soll? Die Nacht vom Sonntag auf Montag verbrachte die Hauptstadt im Rausch. Die Erleichterung darüber, dass diese Revolution im Gegensatz zu anderen, die Georgien seit seiner Unabhängigkeit erlebte, ohne Tote zu Ende ging, war größer als alle Sorgen über die nächsten Tage. Im Taumel dieses Erfolgs, berauscht von dem Gedanken, Freiheit und Solidarität hätten die Oberhand gewonnen, wurden nur wenige Gedanken daran verschwendet, was "danach" sein wird.

Mit den Zehen im Sumpf

Schewardnadse hat es stets vermieden, sich über einen möglichen Nachfolger zu äußern. Drängende Nachfragen wehrte er mit jener diplomatischen Attitüde ab, die seine Pressekonferenzen oft zu einer Ein-Mann-Show werden ließen. Schewardnadses Stärke waren die Leichtigkeit und das Ersticken eines Dialogs durch nichtssagende Antworten. Im persönlichen Gespräch zeigt er sich gern charmant - ein Mann des verschmitzten Humors. Zwar wetterten die georgischen Medien in Schlagzeilen über die unverblümte Bereicherung und Verantwortungslosigkeit ihres Präsidenten, doch bis auf die investigativ arbeitenden Redakteure des privaten Fernsehkanals Rustavi2 gelang es kaum einem Journalisten, den Staatschef aus seiner selbstgewissen Unverbindlichkeit zu locken. Der Staat, die Macht, die Zukunft - all das zu sein, nahm Schewardnadse für sich in Anspruch. Was brauchte das Land da einen Nachfolger?

Sein Ziehsohn und einstiger Justizminister Mikhail Saakaschwili, der die Georgier schließlich in den Massenprotest führte, sagte sich von Schewardnadse los - angeblich aus Enttäuschung über dessen Unfähigkeit, die Korruption zu bekämpfen. Auch Nino Burdschanadse, die jetzige Interimspräsidentin und vorherige Parlamentssprecherin, ist nicht unumstritten. Viele Georgier trauten bislang keinem der beiden zu, das Land aus seinem Chaos führen zu können. Saakaschwili galt als zu jung, Burdschanadse als zu farblos. Beiden wird nachgesagt, zumindest mit den Zehen im Sumpf der Korruption zu stehen. Bis zu den Neuwahlen haben sie die Chance, sich zu profilieren, wie sie das in den chaotischen Tagen des Machtwechsels bereits andeuteten. Burdschanadse begegnete dem internationalen Interesse souverän, und Saakaschwili ist es zu verdanken, dass die Georgier aus ihrer Lethargie gerissen wurden.

Das Bündnis zwischen Saakaschwili, Burdschanadse und deren Vorgänger Zurab Schwania jedoch ist nicht aus Sympathie, sondern lediglich aus reiner Zweckmäßigkeit entstanden. Nun muss es zumindest die Tage bis zur Wahl überstehen.

Ein letzter Bärendienst

Unabhängig davon, wer künftig das Land führt - es muss stattfinden, was der Präsident des Obersten Gerichtshofes, Lado Tschanturia, eine "moralische Revolution" nennt. Nicht nur die Regierung ist bestechlich, auch die meisten Provinzgouverneure, Bürgermeister, Polizeichefs, Angestellte von Behörden sind es. Da Gehälter nicht gezahlt werden, gelten Schmiergelder als Kavaliers-Delikt. Weil die Bürger dem Staat nicht trauen, werden Gesetze nach eigenem Gutdünken ausgelegt. Manche Volksgruppen leben ohnehin nach ihren eigenen, auf archaischer Überlieferung beruhenden Normen.

Lado Tschanturia gilt als einer der integersten Männer des Landes, mit seiner Hilfe könnte ein funktionierender Rechtsstaat entstehen. Der Rechtsprofessor hat an der Universität von Bremen promoviert und reformiert seit zwei Jahren mit deutscher Hilfe das georgische Zivilgesetz. "Die Länder Europas haben Jahrhunderte gebraucht, ein modernes Staatssystem zu entwickeln. Andere Länder haben es nie geschafft, ein Rechtsstaat zu werden. Wozu Georgien gehört, das wird sich bald zeigen." Tschanturia, der zeitweise an den Rücktrittsgesprächen mit Schewardnadse beteiligt war, appelliert nun an die Georgier, ihren Staat zu demokratisieren.

Doch inwieweit diese Chance real ist, hängt auch von Russland ab. Putins Regierung wird unterstellt, den Kaukasus-Staat schwächen zu wollen, um die Nutzung der hauptsächlich US-Interessen dienenden Erdöl-Pipeline vom Kaspischen Meer zum Mittelmeer zu verhindern. Die im Bau befindliche Trasse soll zu Beginn kommenden Jahres Georgien erreichen. Die Russen dagegen favorisieren ihre eigene Pipeline, deren effektiver Nutzung aber der Tschetschenienkrieg im Wege steht. Moskaus Verdächtigungen, im georgischen Pankisi-Tal hielten sich Terroristen auf sowie die Unterstellungen, die Regierung in Tiflis würde Tschetschenen als Partisanen in das von Georgien abtrünnige Abchasien einschmuggeln, führten zu der Annahme, Wladimir Putin würde Schewardnadse gern fallen und durch einen Russland freundlichen Präsidenten ersetzt sehen. Ein Indiz dafür, dass versucht werden könnte, die russische Machtsphäre in Georgien wieder auszudehnen, ist die Reise von Außenminister Iwanow in die georgische halb-autonome Provinz Adscharien. Um eine Mehrheit im Parlament zu sichern, hatte sich Schewardnadse kurz vor seinem Abgang mit dem dort regierenden Autokraten Aslan Abaschidse verbündet. Vielleicht der letzte Bärendienst, den er seinem Land erwiesen hat. Wenn Russland dem großmäuligen Abaschidse darin beisteht, Adscharien - wie schon Abchasien und Süd-Ossetien - von Georgien abzuspalten, wäre dem ohnehin angeschlagenen Land eine neue schwärende Wunde zufügt und der innere Frieden akut gefährdet.


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