Einmal ein Schwarzer sein

Rassismus Im Internet werden unmögliche Karnevalskostüme verkauft. Das zeigt: Wir brauchen dringend noch mehr Debatten über den Umgang mit Minderheiten!
So sieht "der Afrikaner" üblicherweise aus
So sieht "der Afrikaner" üblicherweise aus

Foto: Screenshot vom 10.2.2014

In Deutschland wird inzwischen mehrmals jährlich eine große sogenannte Political-Correctness-Debatte in den Medien geführt. Ein Blick in das Sortiment eines Herstellers von Karnevalskostümen zeigt eindrucksvoll die Wirklichkeit des deutschen Mainstreams und belegt die Notwendigkeit jeder Diskussion.

Der „Karneval-Megastore“, ein Onlineversand mit Sitz im baden-württembergischen Metzingen, betreibt eine Homepage, die einen nach Luft schnappen lässt. Die taz schrieb bereits darüber, dass dort tatsächlich eine Perücke mit der Formulierung „Afro Tucke“ beworben wurde. In der Produktbeschreibung stand: „Unser Afro-Jamie bewegt sich rein schwimmtechnisch gesehen noch ganz schön in der Nähe der Uferpromenade des anderen Ufers. Wer einen eher tuckigeren, afroamerikanischen Glanzauftritt bevorzugt, sollte jetzt dringend zuschlagen.“ Der Empörung in den Blogs und Kommentarspalten folgte eine zügige Reaktion, der Megastore änderte die Bezeichnung und Beschreibung der Perücke. Wer jedoch neugierig geworden ist und sich einmal das übrige Sortiment anschaut, der kann einiges über Deutschland lernen.

Ein Kostüm als "Zigeunerin" wird dort so beworben: "Kein Zauberspruch, kein magischer Trunk, kein Hokus Pokus kann so schlimm und gnadenlos sein wie ein bösartiger Zigeunerfluch. Ist er erst mal ausgesprochen, werden Sie ihn nicht mehr los und er kann Ihr Leben zerstören." Auch die sexuelle Komponente darf in den Beschreibungen nicht fehlen: "Man(n) mag von Zigeunerinnen halten, was man will, aber bei diesem heißen Exemplar würde jeder bereitwillig bezahlen, dass die Gypsy-Braut ihm aus den Tarot-Karten liest." Am Ende einer Beschreibung gibt es eine besonders gewählt gesetzte Schlusspointe: "Auch für Mexikanerinnen und Spanierinnen perfekt geeignet!" Klar – denn diese heißen Südländerinnen sehen ja eh schon so aus wie Zigeuner, und nach allem, was uns die Euro-Krise gelehrt hat, sind sie dem faulen Pack auch gar nicht so unähnlich.

Außerdem bietet der Versandhandel zahlreiche Afrika-, Steinzeit- oder Nasenknochen-Verkleidungen. Die Menschen auf den Bildern dazu sind immer als Schwarze geschminkt, Afrika und Steinzeit werden offenbar synonym verwendet und besonders beliebt ist in diesem Zusammenhang das Stichwort "Kannibale".

Ein richtiger Schwarzer

So kann man sich zu Karneval schwarz anmalen und mit Baströckchen und einem Knochen in der Nase endlich mal als richtiger Schwarzer fühlen. Denn der Schwarze trägt üblicherweise einen Menschenknochen dekorativ in Nase oder Haar, während er faul in der Sonne liegt – am liebsten trägt er einen Knochen des Missionars, den er zum Frühstück verspeist hat. Die Zigeunerin hingegen benutzt ihre betrügerischen Wahrsagepraktiken eigentlich nur als Vorwand zum Diebstahl und um jeden weißen Mann zu bespringen, der in ihre Nähe kommt. Anschließend verflucht sie ihn. So sind diese Menschen einfach. Wir Weißen wissen das seit Jahrhunderten und lassen unsere Meinung von der Realität nicht beeinflussen.

Der Megastore scheint gut zu laufen. Die Zigeunerinnen-Kostüme sind Bestseller, auch bei Amazon finden sich zahlreiche ähnliche Kostüme. Und wo die Öffentlichkeit mit einem Aufschrei reagieren müsste, bleibt es bei einem Quietscher im Internet.

Man erinnere sich: in den letzten Jahren gab es in Deutschland immer wieder Debatten vor allem über das N-Wort, ausgelöst unter anderem durch ein Kinderbuch von Ottfried Preussler, und über blackfacing, zuletzt ausgelöst durch die Dezember-Ausgabe von "Wetten, dass?", bei der weiße Zuschauer aufgefordert wurden, sich als Schwarze zu verkleiden. Den Kritikern rassistischer Praxen wird dabei stets reflexmäßig unterstellt, dass sie als Sklaven der neuesten Political Correctness-Mode allmählich alles verbieten wollten und wortklauberisch-penibel-spaßbremsend noch in jedem Scherz eine Diskriminierung entdecken würden.

Das scheint tatsächlich die Meinung eines nicht unbeträchtlichen Teils der Allgemeinheit zu sein. Allein die Bezeichnung "Political Correctness" ist inzwischen ein Kampfbegriff nicht nur der extremen Rechten geworden, besonders deutlich zu sehen etwa auf der Nazi-Internetseite "Politically Incorrect".

Ersatz für Argumente

Dazu muss man natürlich zunächst einmal die Illusion erzeugen, es gebe in Deutschland Sprech- und Denkverbote. Und dann bietet sich sofort der beliebteste Ersatz für ein Argument an, den die rassistische Rhetorik seit Jahrzehnten überhaupt zu bieten hat: "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen."

Dieser Satz hatte während der Sarrazin-Debatte erneut Hochkonjunktur. Deutschland schafft sich ab, weil sich die Kopftuchmädchen wie die Karnickel vermehren und männliche Ausländer in Deutschland ausschließlich kriminell oder als Obstverkäufer aktiv sind. Klar – das muss man unbedingt sagen dürfen! Diese Perle der Wahrheit darf nicht unterdrückt werden.

Wird sie auch nicht, nirgends. Im Gegenteil. Sarrazins Buch war ein Bestseller, wurde in allen großen deutschen Zeitungen besprochen ebenso wie in den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern zur besten Sendezeit. Das klingt nicht wirklich so, als hätte da jemand ein Sprechverbot durchbrochen - eher hat da jemand den gesellschaftlichen Mainstream voll erwischt.

Dieses ganze "Man wird doch wohl noch"-Gefasel ist nur der Versuch, eine rassistische Position mit dem Verweis auf die angeblich unterdrückte Meinungsfreiheit gesellschaftsfähig zu machen. Nicht, dass rassistische Positionen das überhaupt nötig hätten.Und jeder, der nickend "Ja, genau" blökt, kann sich so auch noch als unterdrückter Rebell fühlen – oder, noch schöner für Deutsche, als unbequemer Mahner. Das ist doch toll. Eine gesellschaftliche Debatte, wie man sie sich wünscht.

Für nichts zu blöd

Man darf doch alles sagen. Zuletzt hat es die Kampagne der CSU gegen die angebliche Armutseinwanderung gezeigt: Es gibt viel zu wenig, das in Deutschland über Migranten nicht gesagt wird. Die mehr oder weniger einzige Ausnahme ist der Holocaust. Ansonsten gibt es doch hier nichts, wofür man sich zu schade oder zu intelligent wäre.

Das Einzige, womit man allerdings bei allem, was man sagt, rechnen muss, sind Konsequenzen. Wenn man sich also rassistisch äußert, muss man das Risiko in Kauf nehmen, dass irgendjemand einen darauf hinweist. Wenn man trotzdem darauf beharrt, muss man es in Kauf nehmen, dass dann einige (wenige) Leute nicht mehr so viel von einem halten. Genauso wie jemand, der sich abwertend über Schwule äußert, damit leben muss, dass man ihn als homophob einschätzt. Das ist doch ein hinnehmbares Risiko, kein Sprechverbot. Wo ist das Problem?

Den immer aufgeregteren Gegern der Political Correctness scheint auch nicht in den Sinn zu kommen, dass es den Kritikern rassistischer Praxen nicht darum geht, andere Menschen in ihrer Gesamtheit als Rassisten zu diffamieren. Die Bewertung einer bestimmten Handlung als rassistisch bedeutet überhaupt nicht, dass man ihren Urheber pauschal zum Rassisten stempelt. Man weist ihn lediglich darauf hin, dass er gerade etwas getan hat, das für andere Menschen verletzend ist.

Wenn man jemandem einen Stein auf den Fuß fallen lässt, fängt man üblicherweise auch nicht an zu räsonnieren, mit welcher Absicht man das wohl getan hat ist und warum es nicht bedeutet, dass man ein genereller Befürworter von Gewalt ist. Man sagt "Oh, ich habe dir weh getan, Entschuldigung." Was ist daran so schwierig?

Wer muss Spaß verstehen?

Schwierig wird es erst, wenn die Entschuldigung verweigert wird. Der deutsche Durchschnittsbürger legt bei solchen Themen einen unfassbaren Mangel an Empathie, Sensibilität und Taktgefühl an den Tag. Der Karneval-Megastore ist dafür das beste Beispiel. Das ist alles nur Spaß? Das Problem ist nur, dass das "Spaß verstehen können" viel häufiger von den gesellschaftlichen Minderheiten verlangt wird als von der Mehrheit. Klar. Die haben es eh schon schwer genug, da können sie dieses Päckchen auch noch tragen. Hat sich jemals jemand, bevor er den Mund aufgemacht hat, gefragt, wie es sich eigentlich bei uns anfühlt, Schwarzer, Schwuler oder Roma zu sein?

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Geschrieben von

Andrea Wierich

Praktikantin in der Freitag-Redaktion

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