„Tierschutz ist nur Rumgeheule! Ich will meine Hähnchenkeule,“ skandierten knapp 40 Aktivisten am Freitagnachmittag vor dem Messegelände. „Hoch die internationale Fleischqualität“, „Tiere sind zum Essen da“ und ähnliche Parolen waren zu hören. Es wurden Reden zur Verteidigung der durch Skandale in Verruf geratenen Fleischindustrie gehalten. Man hörte Trommeln, einige Demonstranten trugen Tierkostüme. Was wie eine Kundgebung von Fleischliebhabern anmutete, war tatsächlich die ironische Pro-Fleisch-Demo des Bündnisses „Grüne Woche demaskieren“. Die Tierrechtler hatten dazu anlässlich des „Frische Forum Fleisch“ aufgerufen, einem Treffen von Vertretern der fleischverarbeitenden Industrie, das im Rahmen der Grünen Woche am Freitag stattfand.
Die Internationale Grüne Woche wird seit 1926 jedes Jahr in Berlin veranstaltet und ist die weltweit größte Messe für Landwirtschaft und Gartenbau. Dieses Jahr findet sie vom 17. bis 26. Januar statt. Ausgestellt werden dort nicht nur landwirtschaftliche Erzeugnisse, sondern auch Heim- und Nutztiere. Der sogenannte Erlebnisbauernhof, der in einer der Messehallen aufgebaut ist, soll den Besuchern die Lebensbedingungen von Nutztieren veranschaulichen. Dort sind etwa Kühe in einem Stall mit Melkmaschine oder Hühnerküken unter der Wärmelampe zu sehen.
Die Grüne Woche ist ganz überwiegend eine Ausstellung der konventionellen Landwirtschaft und nicht etwa des Ökolandbaus. Deshalb steht sie seit einigen Jahren zunehmend in der Kritik. 2011 fand während der Grünen Woche zum ersten Mal die „Wir haben es satt!“-Demo mit 15.000 Teilnehmern in Berlin statt, die seitdem alljährlich die konventionelle Agrarindustrie und ihre weltweiten schädlichen Auswirkungen für Mensch und Tier anprangert. Sie zieht jedes Jahr mehr Teilnehmer an, dieses Jahr waren es 30.000. Die Demonstranten nehmen die Grüne Woche als Werbeveranstaltung der konventionellen Landwirtschaft zum Anlass, auf die Straße zu gehen. Zahlreiche namhafte NGOs wie etwa Campact, Attac oder der deutsche Tierschutzbund gehören zu den Trägern.
Neues Protestbündnis
Inzwischen hat sich aber parallel dazu ein Protest entwickelt, der in seinen Forderungen noch sehr viel weiter geht: das Bündnis „Grüne Woche demaskieren“. Dieser relativ kleinen Gruppe von größtenteils vegan lebenden Menschen liegt besonders die Problematisierung des Fleischkonsums und der Nutztierhaltung am Herzen. Sie begleiten in diesem Jahr die Grüne Woche mit vielen kleinen kreativen Protestaktionen.
Das Bündnis kritisiert dabei nicht nur die Lebens- und Sterbebedingungen von Tieren in der konventionellen industriellen Landwirtschaft, sondern wendet sich generell gegen jede Form von Nutztierhaltung. „Tiere sind keine Ware, kein Produkt, sondern fühlende Lebewesen,“ so die Aktivistin Sandra Franz. Sie hat eine satirische Rede auf der Pro-Fleisch-Demo gehalten und war anschließend zu einem Interview bereit. Sie erklärt, die Bedingungen auf sogenannten Bio-Höfen seien nur marginal besser als in der Massentierhaltung. Das Bündnis lehne deshalb den Verzehr von Tieren und tierischen Produkten prinzipiell ab. Auch einer Bio-Kuh werde das Kalb weggenommen, um sie melken zu können; auch das sei Tierleid, dass das Bündnis nicht akzeptiere. Tiere seien nicht dazu da, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen.
Viele der Aktivisten von „Grüne Woche demaskieren“ werden deshalb der großen „Wir haben es satt!“-Demonstration am Samstag ferngeblieben sein. Deren Forderungen gehen den Tierrechtlern nicht weit genug. „Was dort gefordert wird, sind geringfügige Verbesserungen innerhalb des bestehenden Systems. Beispielsweise wird davon ausgegangen, dass eine artgerechte Nutztierhaltung möglich und vertretbar sei,“ so Sandra Franz. Ihr Bündnis lehne die Nutztierhaltung ebenso ab wie das prinzipielle Verharren der großen Demo innerhalb des kapitalistischen Systems. Sie fordern eine Landwirtschaft, die nicht auf kapitalistischen Prinzipien basiert. Als Beispiel führt Sandra Franz die solidarische Landwirtschaft an, die sich an den Bedürfnissen aller Beteiligten orientiere. Sie betont, dass mit Lebensmitteln kein Profit gemacht werden solle.
Weitgehende Übereinstimmung
Zumindest mit dieser letzten Forderung sind die Aktivisten aber gar nicht so weit vom Anliegen der „Wir haben es satt!“-Demo entfernt. Auch deren Träger wenden sich dagegen, dass mit Lebensmitteln inzwischen an der Börse spekuliert wird, was regelmäßig Hungersnöte wie etwa die „Tortilla-Krise“ in Mexiko auslöst; auch sie kritisieren Landgrabbing, also den Aufkauf landwirtschaftlich nutzbarer Flächen als auf dem Weltmarkt begehrte Güter durch Investoren, verbunden mit der Verdrängung und Verarmung der einheimischen Bevölkerung. Die „Wir haben es satt!“-Demo fordert Nahrung und faire Bezahlung für alle.
Was sie allerdings, im Gegensatz zu „Grüne Woche demaskieren“, nicht fordert, ist die Überwindung des kapitalistischen Systems. Die „Wir haben es satt!“-Organisatoren wollen innerhalb des bestehenden Systems erreichen, dass kleine und nicht industriell wirtschaftende Bauernhöfe unterstützt werden und damit weiter bestehen können. Ist das schon zu viel Pragmatismus?
Wer sich auf der Grünen Woche umsieht, kann eher zu dem Schluss kommen, dass pragmatische Lösungen dringend nötig sind – und es dafür jede Form von Protestaktionen braucht. Die Grüne Woche ist nicht nur eine Werbeveranstaltung für die konventionelle Landwirtschaft (im Sinne von Ackerbau und Tierhaltung), sondern präsentiert sogar einen Schweinetransporter für die Fahrt zum Schlachthof mit einem großen Schild „Wir transportieren Tierschutz!“ Damit will die Fleischindustrie belegen, dass selbst der Transport zum Schlachthof unter möglichst artgerechten Bedingungen geschieht. Zynischer geht es kaum.
Arglistige Täuschung
Im Inneren des Wagens ist eine der Transportboxen mit Stroh ausgelegt und wird von zwei zierlichen rosafarbenen Plastikschweinen bewohnt – bei Nachfrage erfährt man aber, dass dieses Szenario mitnichten den realen Transportbedingungen entspricht. Bei einem richtigen Schweinetransport drängen sich stattdessen acht bis zehn fette Mastschweine in dieser Box, dicht an dicht. Das kann man schon fast als arglistige Täuschung bezeichnen. Man muss den Aktivisten vom Demaskierungs-Bündnis in ihrer Kritik sehr recht geben. Sie besetzten den Transporter am Freitag im Rahmen einer Protestaktion kurzzeitig und wiesen mit Transparenten auf die Realitätsferne der Darstellung hin. In einem eigenen Flyer zum Erlebnisbauernhof klären sie über die realen Zustände in der Massentierhaltung auf und prangern die Schönfärberei der Ausstellung an.
Man fragt sich jedoch, ob sie in ihrer Radikalität nicht den Fehler machen, von sich auf andere zu schließen und die Empathiefähigkeit der meisten Verbraucher gewaltig zu überschätzen. In ihrem Flyer zum Erlebnisbauernhof heißt es: „Der Erlebnisbauernhof gibt an, er würde jeden Teil der Produktion vom Stall bis auf den Teller darstellen. Warum wird die Schlachtung eines Tieres nicht gezeigt? Weil man bei einer Schlachtung nicht verschleiern kann, welche Brutalität dahinter steckt. … Wer würde das aushalten und danach zu einem Stück Wurst greifen?“
In der Nutztierhalle der Grünen Woche sind Rinder, Ziegen, Schafe und Schweine ausgestellt. Auch die kulinarisch besonders geschätzten Rassen kann man sich dort anschauen. Makabrer Höhepunkt der Halle ist ein Aussteller, der seine Fläche in drei Teile gegliedert hat: ganz links ist ein Pferch, in dem ein schwarzer Ochse steht, in der Mitte stehen Tische und Bänke und rechts ist eine Grillbude, in der ein ganzer Ochse auf einem Spieß gebraten wird. Gleich gegenüber stehen weitere lebende Artgenossen. Und die Tische und Bänke sind voll besetzt, der gebratene Ochse kommt gut an beim Publikum. Muss man radikaler Vegetarier sein, um das eklig zu finden? Die meisten Messebesucher finden offenbar nichts dabei. Dabei sind laut Veranstalter nur etwa ein Viertel der Messebesucher Fachpublikum, von dem man eine gewisse Abgebrühtheit vielleicht erwarten würde. An den Tischen der Grillbude sitzen aber auch Familien, Rentnerehepaare und andere Leute, die augenscheinlich nicht aus der Branche kommen, sondern die Grüne Woche als Ausflugsziel schätzen.
Realistische Alternativen
Nur ein paar Meter weiter ist der Stand von Neuland, ein von verschiedenen Trägern gegründeter Verein, der Fleisch aus möglichst artgerechter Haltung zertifiziert. Neuland ist inzwischen bekannt und geschätzt als eine Art Qualitätssiegel, bei dem der Verbraucher genau weiß, wofür er den hohen Preis zahlt. Die Bedingungen für die Kennzeichnung als Neuland-Fleisch sind – anders als etwa bei vielen parallel kursierenden Bio-Siegeln – transparent; auf der Neuland-Homepage kann jeder nachschauen, welche Tierhaltung sich dahinter verbirgt.
Dabei sehen etwa der Tierschutzbund und der BUND, zwei der Träger von Neuland, den Fleischverzehr durchaus kritisch und raten in ihren Broschüren oder an ihrem Messestand zu einer deutlichen Reduzierung oder dem vollständigen Verzicht. Dabei geht es nicht nur um Tierleid, sondern auch um weltweite Ernährungsprobleme und den Klimaschutz. Kurz- bis mittelfristig haben die Organisationen sich jedoch offenbar zu diesem Kompromiss entschlossen, der aufgrund des weiterhin hohen Fleischkonsums in Deutschland wenigstens einiges Tierleid verhindert. Es ist eine Alternative zwischen Massentierhaltung und Fleischverzicht, die ökonomische Realitäten berücksichtigt.
Alle drei Neuland-Träger sind übrigens ebenfalls Träger der „Wir haben es satt!“-Demo, deren Ziele als kleinster gemeinsamer Nenner der zahlreichen vertretenen Gruppierungen und als so etwas wie ein realistisches Ziel angesehen werden können. Wieso sollte das im Widerspruch zu wesentlich weitergehenden Forderungen stehen? Dass hier Pragmatismus tatsächlich nötig ist, wird auch deutlich, wenn man sich aus seinem persönlichen urban-vegetarischen Umfeld herausbewegt: Bei einer typischen samstäglichen Grillorgie irgendwo in Deutschland – nicht nur auf dem Land oder in der Kleinstadt – ist es häufig noch selbstverständlich, dass jeder Gast Unmengen an marinierten Fleischlappen mitbringt. Oder dass die Salami auf das tägliche Frühstücksbrot einfach dazu gehört. So viel Fleisch braucht aber kein Mensch. Angesichts dieser Realität wird klar, dass kompletter Fleischverzicht bestenfalls eine ferne Utopie sein kann. Bis dahin ist eine Politik der kleinen Schritte auch im Sinne der Tiere, deren Leid die Aktivisten der Pro-Fleisch-Demo anprangern. Ihr Dogmatismus bleibt bei aller Kritik aber vergleichsweise sympathisch, wenn man sich die Schönfärberei der Messe-Aussteller und die Ignoranz der Besucher ansieht.
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