Regisseur Dietrich Brüggemann hat zwei Cameos in seiner Neonazi-Klamotte Heil, und beide Auftritte belegen ein grundsätzliches Problem der deutschen Komödie. In der ersten Szene sitzt ein Dietrich Brüggemann in der fiktiven Talkshow Auf die Zwölf, um seinen Film Geil Hitler vorzustellen, und muss der Anne-Will-Parodie als Erstes eine Frage beantworten, die im Film eine Alibi-Funktion übernimmt: Darf man Witze über Neonazis machen? Brüggemann, und das ist wirklich ziemlich komisch, wird allerdings von dem Filmemacher Tom Lass dargestellt, und die Antwort – „Ja, aber nur, wenn einem das Lachen im Halse stecken bleibt!“ – ist so dieterhildebrandtmäßig blöd, dass man sich kurz fragt, ob das schon der nächste Witz ist oder tatsächlich ernst gemeint (was für eine Komödie wiederum eine ziemliche Bankrotterklärung wäre).
In einem Film, der das uneigentliche Sprechen gewissermaßen zum Betriebsmodus erhebt, ist Ironie natürlich eine sichere Strategie. Das gilt auch für die zweite Szene, in der Brüggemann selbst einen Krebspatienten spielt, der eine schwangere Frau fragt, ob sie es sich denn gut überlegt habe, ein Kind in diese Welt zu setzen. Eine Analyse der Zustände bleibt aus.
Die zwei Auftritte des Regisseurs und Drehbuchautors illustrieren, warum Heil als Politsatire weit weniger kontrovers ist, als Brüggemann seinen Film selbst wohl gerne sehen würde. Erst wird die Provokation zum Prinzip erklärt (es gibt jede Menge Witze über Neonazis) und dann durch sozialdemokratische Plattitüden in die öffentlich-rechtlichen Gefilde des deutschen Polit-Kabaretts überführt – unter anderem auf Kosten einer vermeintlichen Political Correctness, die in Person von Gender-Expertinnen und Integrationsbeauftragten ins Lächerliche gezogen wird.
Heil versucht, es allen recht zu machen, obwohl Brüggemanns Agenda ganz offensichtlich darin besteht, einen Film zu drehen, wie ihn das deutsche Kino noch nicht gesehen hat: einen Klamauk über Neonazis, angekündigt als große gesellschaftskritischer „Rundumschlag“. Ein Film über Deutschland im Jahr 2015.
Von einer Handlung im herkömmlichen Sinne kann nicht die Rede sein. Im zentralen Strang geht es um einen afrodeutschen Autor (Jerry Hoffmann), der mit einem Bestseller über den Alltagsrassismus zum Medienliebling avanciert, nach einem Schlag auf den Kopf aber ebenso gefeiert als „Integrationskritiker“ durch deutsche Talkshows tingelt. Als Einflüsterer steht ihm ein karrierebewusster Neonazi (Benno Fürmann) zur Seite, der mit seinen unterbelichteten Lakaien in Polen einmarschieren will. In Hamburg plant ein progressiver Deutschnationaler mit einer „Nazi-Hipster“-Kampagne, dem schwarz-roten Mief einen zeitgemäßen Anstrich zu verpassen. Währenddessen versucht der Verfassungsschutz, der längst den Überblick über die Aktivitäten seiner V-Männer verloren hat, ins Internet zu kommen.
Politischer Klamauk ist schon aufgrund des hierzulande zur Verfügung stehenden Personals ein ambitioniertes Projekt. Amerika verfügt wenigstens über eine Stand-up-Comedy-Tradition, aus der Hollywood seit Jahrzehnten seinen Komödien-Nachwuchs rekrutiert. Darauf kann Brüggemann nicht zählen, stattdessen fährt er in Heil ein irres Ensemble von Gästen auf, die im Minutentakt durchs Bild laufen: unter anderem Michael Gwisdek, Andreas Dresen, Hanns Zischler, Alfred Holighaus, Heinz Rudolf Kunze und – besonders schön – Schlingensief-Sidekick Dietrich Kuhlbrodt als Altnazi.
Aber der Film erschöpft sich in diesem Modus der Nummernrevue. Unterm Strich bleibt ein auf Dauerkrawall gebürsteter Auflauf von Nazi-Knallchargen, Mediendeppen und minderbemittelten „Gutmenschen“ (so abschätzig sieht Brüggemann die wenigen vernunftbegabten Figuren seines Films), die mit ungebrochenem Selbstbewusstsein zur Tat schreiten.
Der Spott, den Brüggemann paritätisch über seinen Protagonisten (allesamt Karikaturen, vom Neonazi-Mitläufer bis zum Chef des Verfassungsschutzes) ausschüttet, wirkt wie ein Sedativum, um das Gewissen seines Publikums, des bürgerlichen Mainstreams, zu beruhigen. Da in Heil alle gleichermaßen unfähig sind, den Verblendungszusammenhang von Politik, Medien, Wirtschaft und alteingesessenem Geldadel zu erkennen, lässt es sich umso befreiter ablachen, wenn die Verfassungsschützer ihre V-Leute in einem Fernsehbericht über eine Anti-Nazi-Demo im rechten und linken Lager entdecken, ohne zu erkennen, dass sie damit ihrer eigenen Inszenierung aufgesessen sind.
Atemloser Krawall
Doch um Einsichten geht es Brüggemann ohnehin nicht. Er staunt bloß über die Affekte einer grotesken Medienwirklichkeit: das hohle Spektakel der Talkshows, die tendenziöse Berichterstattung und den Populismus der Politik, den das Fernsehvolk in Straßeninterviews nachplappert. Der Film trägt die Spuren dieses gesellschaftlichen Diskurses („70 Jahre später“, verkündet eine Texttafel nach einer kurzen Montage von Bildern aus Konzentrationslagern übertrieben nonchalant) in einer kultur- und medienhistorischen Fleißarbeit (Comics, Filme, Nachrichtenschlagzeilen, Fernsehbilder, Deutschland-Imagebroschüren) zusammen und reinszeniert die Fundstücke – von Martin-Kippenberger-Zitaten bis zu den Polit-Phrasen aus dem bürgerlichen Parteienspektrum – in dichten, teilweise ungemein pointierten Sprechakten. Die guten Pointen und treffsicheren Beobachtungen gehen dann aber zwangsläufig im atemlosen Krawall von Brüggemanns Inszenierung unter.
Natürlich ist dieses Gießkannen-Prinzip ein Stilmittel der broad comedy, Brüggemann befindet sich da mit Mel Brooks (Frühling für Hitler) und Christoph Schlingensief (100 Jahre Adolf Hitler) in guter Gesellschaft. Brooks und Christoph Schlingensief, im Film ebenfalls mit einer Art Cameo-Auftritt, hatten allerdings etwas, woran es Heil entschieden mangelt: eine Haltung, die über das Lachen, das im Hals stecken bleibt, hinausgeht. Brüggemann begnügt sich mit oberflächlichen Betrachtungen ohne eine politische Linie. Insofern ist Heil wohl die Satire, die Deutschland 2015 verdient.
Info
Heil Dietrich Brüggemann D 2015, 102 Minuten
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