Am Ende kommt Tourismus

Kino Woody Allen dreht zum ersten Mal in Spanien und gleich eine leichthändige romantische Komödie: "Vicky Cristina Barcelona"

Woody Allen ist der Romantik sicher gänzlich unverdächtig. Dennoch überrascht sein neuer Film Vicky Cristina Barcelona mit einigen, zugegeben recht eigenwilligen Bekenntnissen zu dieser Form der Lebensauffassung. Vermutlich war die Wahl des Drehorts daran nicht unschuldig: Woody Allen in Barcelona, das ist schon eine seltsame Vorstellung. Die katalanische Lebensart zeichnet all das aus, woran es einem in die Jahre gekommenen, bitteren New Yorker Intellektuellen zu mangeln scheint. Allen bedient sich solcher kultureller Stereotypen in Vicky Cristina Barcelona reichlich, schöpft daraus aber auch eine Leichtigkeit, die man bei ihm in den letzten Jahren schmerzlich vermisst hat.

Dass er ausgerechnet auf Cassandra´s Dream, dem pessimistischsten und humorlosesten Teil seiner England-Trilogie, nun diesen sonnendurchfluteten Film folgen lässt, unterstreicht Allens Unberechenbarkeit auf seine alten Tage - wenigstens was die Qualität und den Ton seiner Arbeiten angeht. Dieser Umstand macht es inzwischen auch relativ unerheblich, sie überhaupt noch gegeneinander abzuwägen oder sich jedes Mal aufs Neue an der Frage abzuarbeiten, wie lang der letzte vergleichbar gute Film bereits zurückliegt. (Die amerikanische Kritik hat sich im Fall von Vicky Cristina Barcelona einhellig auf Sweet and Lowdown von 1999 geeinigt). Allens Œuvre ist thematisch dermaßen konsistent und hermetisch, dass schon kleine Veränderungen zu tektonischen Verschiebungen in der Rezeption seiner Filme führen. Vielleicht sind so auch die überschwänglichen Reaktionen auf Vicky Cristina Barcelona zu erklären.

Auf dem Terrain von Almodóvar

Verglichen mit der England-Trilogie (Matchpoint, Scoop und eben Cassandra´s Dream) erinnert Allens vierte europäische Produktion an einen Urlaubsfilm. Im Grunde stellt Vicky Cristina Barcelona die eigentliche Zäsur in seinem Spätwerk dar. Das dünkelhafte Selbstverständnis des englischen Geldadels, das seine London-Filme durchzog, unterschied sich habituell nur in Nuancen vom New Yorker Bohème-Snobismus. An der katalanischen Hauptstadt hat ihn dagegen offensichtlich etwas anderes interessiert. Barcelona muss auf einen Kulturmenschen wie Allen, der stets ein symbiotisches Verhältnis zu den Städten pflegte, in denen er gedreht hat, geradezu paradiesisch wirken. Entsprechend schwelgerisch sind seine Impressionen geraten.

Vom ersten Moment an taucht der Film in das Leben der Metropole ein, streckenweise auf Kosten der erzählerischen Ökonomie. So wird das Schweifen in Vicky Cristina Barcelona zunächst zu Allens bevorzugter Erzählbewegung. Als Zuschauer kann man sich diesem fließenden Rhythmus nur schwerlich entziehen. Maßgeblichen Anteil daran hat der spanische Kameramann Javier Aguirresarobe, auch wenn dessen Postkarten-Fotografie ein ums andere Mal in die ästhetischen Fallen alter Traumschiff-Folgen zu tappen droht. Doch Allen fügt sich dankbar in die Rolle des Touristen. Das ist nur konsequent, weil man in Vicky Cristina Barcelona die Stadt durch die Augen zweier Amerikanerinnen erlebt.

Die Freundinnen Vicky (Rebecca Hall) und Cristina (Scarlett Johannson) verbringen die Sommerferien bei einer Bekannten von Vickys Eltern (Patricia Clarkson). Die beiden Frauen könnten kaum unterschiedlicher sein. Vicky ist eine unterkühlte Ostküsten-Intellektuelle, die vor Ort ihre Dissertation über die katalanische Kultur abschließen will. Cristina hat sich angeschlossen, , wie eine neutrale Erzählstimme aus dem Off erklärt, um ihre zerbrochene Beziehung zu verarbeiten. Zuhause hat sie gerade ihren ersten Kurzfilm - über die Unmöglichkeit der Liebe, natürlich - fertiggestellt. Was die Liebe angeht, haben beide reichlich gegensätzliche Auffassungen. Vicky ist kurz davor, ihre College-Liebe zu heiraten, einen langweiligen Yuppie und unerträglichen Besserwisser, während sich die impulsive Cristina nach ungezügelter, alles verzehrender Leidenschaft sehnt. Als sie auf einer Vernissage den Maler Juan Antonio (Javier Bardem) kennenlernen, der sie kurz darauf auf ein romantisches Wochenende inklusive Sex in die katalanische Provinz einlädt, reagiert Vicky zunächst empört. Um ihre Freundin aber vor Dummheiten zu bewahren, begleitet sie die beiden schließlich nach Oviedo. Von hier an begibt sich Allen auf das Terrain von Pedro Almodóvar.

Juan Antonio ist allerdings ein Fantasieprodukt, wie es sich nur Woody Allen ausgedacht haben kann: ein Vollblut-Künstler, der den schönen Dingen des Lebens bedingungslos frönt und in seiner Arbeit aufgeht. Eine durch und durch sinnliche Kreatur. Allens Vorstellungen einer Künstler-Persona mögen aus einem längst vergangenen Jahrhundert stammen, doch Bardem gelingt es, dem Klischee des spanischen Machismo eine sympathische, nicht unironische Note zu verleihen. Der Genussmensch Juan Antonio wird zum idealen Stadtführer für Allen, dessen eigene Figuren immer die Antipoden zu diesem forschen Vernascher dargestellt haben. Selbst die melancholische spanische Gitarre darf nicht fehlen. Die Tränen, die Vicky bei ihrem Klang vergießt, verraten die verkappte romantische Ader des Regisseurs.

Wilde Ehe statt frigider Welt

Oder ist das nur eine Finte? Allens Geschlechterauffassungen offerieren in Vicky Cristina Barcelona zumindest ansatzweise emanzipatorische Qualitäten, da sie über die Gepflogenheiten hetero-normativer Paarbildung hinausgehen. Als Vickys Verlobter Doug (Chris Messina) einen Kurzbesuch in Barcelona ankündigt, verschärft sich die Pärchenkonstellation unter katalanischer Sonne. Vicky ist sich plötzlich nicht mehr sicher, ob ihr das behütete Intellektuellenleben in Manhattan reicht. Eifersüchtig beobachtet sie, wie Cristina und Juan Antonio ihre Gefühle in einem absurden, orgiastisch-kreativen Rausch ausleben; umso mehr, dass schließlich Juans manisch-depressive Ex-Frau Maira Elena (Penélope Cruz) sich dazu gesellt.

Diese wilde Ehe zu dritt ist ein neues Beziehungsmodell in Allens frigider kleiner Welt. Eines, das endlich einmal sowohl künstlerisch und emotional als auch sexuell erfüllt. Und Penélope Cruz fegt kurzzeitig wie ein Wirbelsturm durch Vicky Cristina Barcelona. Sie erfordert im besten Sinne mehr, als einen Mann. Schade nur, dass Allen die Figur auf halbem Weg diskreditiert. Maria Elena stellt sich als hoffnungslos labile Persönlichkeit heraus, dabei zeigt sie in ihren lichtesten Momenten eine Gefasstheit, von der die beiden amerikanischen Mädchen bloß träumen können. Man mag diesen flotten Dreier als männlichen Chauvinismus abtun, aber Woody Allen ist es durchaus ernst mit seinem Libertinismus.

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