Nach dem revisionistischen Rundumschlag in Skyfall ist das Bond-Franchise mit Spectre unternehmenskulturell und weltordnungsmäßig wieder in den 60er Jahren angekommen.Dame Judy hat abgedankt, die „Mutter“ wurde von einem Kämpen aus dem nordirischen Bürgerkrieg ersetzt, der Aston Martin DB5 aus Goldfinger erlebte ein kurzes Comeback, und Miss Moneypenny, das fürsorgliche Büroinventar aus einer vorvergangenen Epoche, die man mittlerweile zuerst mit Mad Men verbindet, hat wieder hinter dem Schreibtisch Platz genommen, obwohl die großartige Naomie Harris allemal das Zeug für eine Doppel-Null-Agentinnen-Laufbahn hätte.
Auch der Titel des 24. Bond-Films macht keinen Hehl daraus, dass es sich bei Spectre (ausgesprochen „Spekter“) um einen Nostalgietrip handelt. Das bewährte Autorenteam um Neal Purvis, Robert Wade und John Logan hat mit der Verbrecherorganisation SPECTRE ein Relikt aus der klassischen Sean-Connery-Ära reaktiviert und verfolgt damit konsequent die Linie der Bond-Filme seit dem Daniel-Craig-Make-over: zurück zu den Romanen von Ian Fleming, aber lean and mean, mit der alerten Rücksichtslosigkeit eines Jack Bauer, die heute scheinbar unvermeidlich ist, um im Kino den Krieg gegen den Terror klandestiner Subjekte und Geheimlogen zu gewinnen (Das T im Akronym SPECTRE stand, wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, für „Terror“).
So hat der Satz „Die Toten werden wiederkehren“, der noch vor dem ersten Bild auf der schwarzen Leinwand prangt, für Spectre eine in mehrfacher Hinsicht programmatische Bedeutung. Zunächst muss aber die Fallhöhe bestimmt werden, passenderweise bei einem Einsatz am Día de los Muertos, dem mexikanischen Totenfest. Spectre beginnt mit einer angeberischen Plansequenz, die auf der Höhe der Zeit sein will und doch hoffnungslos gestrig ist, weil sie letztlich das blödeste aller Bond-Klischees bedient: Stephanie Sigman sinkt willig aufs Hotelbett, während Craig im scharf geschnittenen Tom-Ford-Anzug schon wieder auf Häuserdächern herumspringt. Überhaupt geht Spectre so nachlässig wie kein anderer Bond-Film seit dem Roger-Moore-Missverständnis mit seinen Darstellerinnen um: Sigman ist wie Harris und Monica Bellucci – angekündigt mit dem denkbar fragwürdigsten Kompliment des „ältesten Bond-Girls“ – sträflich unterfordert.
Mama, Papa, Bond
Allein Léa Seydoux verströmt einen seltenen Glanz in der undankbarsten weiblichen Rolle des gegenwärtigen Actionkinos. (Referenzgröße sind hier immer noch die Fast & Furious-Filme). Der Einsatz in Mexiko – der beste Bond-Vorspann seit langem, ganz im Gegensatz zur Tentakeltitelsequenz unterlegt mit Sam Smiths komatösem Writing’s On The Wall (Legasthenie oder Straßenslang?) – kommt für Bonds Vorgesetzten M (Ralph Fiennes) zu einem politisch ungünstigen Zeitpunkt. Nach dem Desaster in Skyfall steht der MI6 vor der Demontage: Die altehrwürdige Institution mit dem anachronistischen Agenten-Programm soll im internationalen Sicherheitsrat aufgehen, dessen Überwachungsarchitektur dem slicken Karrierebürokraten Max Denbigh untersteht.
Drohnen oder Bond – auf diesen Konflikt lässt sich Spectre herunterbrechen. Die Männer der alten Ordnung („Ein Agent hat auch die Wahl, nicht zu töten“) gegen das Phantasma der globalen Überwachung unter der Schirmherrschaft eines privatwirtschaftlichen Verbrechersyndikats – mit einem indignierten Christoph Waltz, der mal wieder Christopher Waltz spielen darf, an der Spitze. Die Geschichte kommt einem aus dem letzten Avengers-Film seltsam vertraut vor – ein weiteres Indiz, dass dem Franchise unter der Direktive des Dramatikers Sam Mendes schon nach vier Filmen die Ideen ausgegangen sind. Konsequenterweise hat sich Mendes von Marvel gleich noch einen schillernden Nebendarsteller ausgeliehen: Wrestling-Star Dave Bautista, zuletzt als debiler Muskelberg Drax in Guardians of the Galaxy zu sehen, spielt in Spectre den stoischsten Bond-Gegenspieler seit Harold Sakatas unzerstörbarem Oddjob (ebenfalls Goldfinger).
Mit Spectre findet der Daniel-Craig-Zyklus zu einem verdienten Ende. Im Showdown rekapituliert der Film seine Vorgänger noch einmal in einem aufwendigen Bilderrätsel, bevor die Vorgeschichte spektakulär in die Luft gejagt wird. Mehr Retro wäre kaum auszuhalten gewesen. Selbst die Freud’schen Erkundungen in Bonds Vergangenheit haben nach zwei Filmen stark an Reiz verloren. Nachdem sich Skyfall der Mutter entledigte, wird nun die Vaterfigur ein zweites Mal symbolisch getötet – pikanterweise von einem Gegenspieler in verwandtschaftlichen Verhältnissen.
Mendes hat die Bond-Reihe mit Spectre zu einer tragischen Familiensaga heruntergewirtschaftet – wohl auch, weil der Vorwurf im Raum stand, Craigs Bond 2.0 mangele es an Charme und Humor. Den Turing-Test gegen die Drohnen hat Craig jedenfalls bestanden. Sein Bond wird als Agent mit der Lizenz zum Nicht-Töten in Erinnerung bleiben.
Info
James Bond 007: Spectre Sam Mendes GB/USA, 148 Minuten
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