Denn den Dunklen sieht man nicht

KINO Christopher Nolans zweiter "Batman"-Film "The Dark Knight" ist vom Unbehagen nach 9/11 gezeichnet und schafft den Superhelden als Retter ab

Am Ende gehen die Lichter aus. Der große Scheinwerfer, der das Logo Batmans in den Himmel über Gotham City gezeichnet hat, erlischt und mit der Projektion, Warnung und Hilferuf zugleich, verschwindet der Held in der Dunkelheit. Für die Kinofigur Batman war es ein langer Weg bis hierher. 18 Jahre nach der ersten Verfilmung von Tim Burton ist Batman im Kino dort angekommen, wohin sein Alter Ego im Comic schon gestrebt ist. Die Geschichte Batmans, des von Bob Kane und Bill Finger erfundenen Comic-Charakters wie auch der über die Jahre in immer neuen Starkörpern (unter anderem dem von George Clooney) inkarnierten Filmfigur, steckt voller Brüche. Der Ambivalenteste unter den Superhelden leidet unter keiner ominösen Gabe, noch ist sein Schicksal durch den Einfluss übernatürlicher oder physikalischer Kräfte fremdbestimmt.

Batman beziehungsweise sein Alias Bruce Wayne war stets ein Held von eigenen Gnaden, und damit stand er zwangsläufig außerhalb der bürgerlichen Rechtsordnung. Das ist der Kernwiderspruch, der seine Autoren in den vergangenen Jahren beschäftigt hat. Ist er amerikanischer Held oder bloß ein stinkreicher Industrieller, der sich über das Gesetz stellt? Wenn am Ende von Christopher Nolans zweiter Batman-Verfilmung also jener Scheinwerfer ausgeschaltet wird, der den einzigen Kontakt des Fledermausmannes zu den Einwohnern von Gotham City darstellt, hat das Kino diese Frage beantwortet. In einer heroischen Geste nimmt Batman seine neue Identität an. Es wird das einzige Mal sein, dass der Titel von Nolans Film als dramatische Punktierung auf der Leinwand prangt: The Dark Knight.

1986 veröffentlichte der amerikanische Autor Frank Miller (Sin City, 300) unter diesem Titel seine erste Batman-Geschichte - ein Glücksfall für die Pop-Ikone und das Genre Comic. Millers düsterer Realismus bedeutete den Ritterschlag für die bis dato um Respekt ringende, von vielen als minder literarisch betrachtete Form. Nicht zuletzt Miller verdankte sich der Terminus der graphic novel als erwachsener Gegenentwurf zum Comicstrip, wie er seit Ende der dreißiger Jahre reüssierte. Miller hatte die gebrochene Persönlichkeit Batmans stärker akzentuiert: ein schwarzer Rächer, dessen Methoden sich kaum von denen seiner Gegner unterscheiden. Mit dem onomatopoetischen "Kawumm" des klassischen Comics hatten seine Geschichten nicht viel gemein. Tim Burtons Batman-Adaptionen aus den frühen neunziger Jahren basierten bereits auf der neuen Lesart. Doch die Bildgewalt Burtons war zu äußerlich und er selbst zu eingenommen von der eigenen gestalterischen Kraft, als dass er zum Kern von Millers verbitterter Moralität hätte vordringen können. Dazu bedurfte es eines visionären Pragmatikers wie Nolan.

Chronologisch knüpft The Dark Knight nahtlos an seinen Vorgänger Batman Begins von 2005 an. Batmans Sieg über seinen ehemaligen Lehrmeister Ra´s Al Ghul und dessen freimaurerhafte Schattenliga hat Gotham City in eine bessere Zeit geführt. Die Straßen sind wieder sicher, das Verbrechen ist in die Bürotürme und politischen Institutionen abgewandert. Die Korruption blüht. Staatsanwalt Harvey Dent (Aaron Eckhart) hat sich als einsamer Widerstreiter gegen den Sumpf etabliert. An Popularität übertrifft er selbst den mysteriösen Batman - auch in privater Hinsicht. Bruce Waynes Jugendliebe Rachel (Maggie Gyllenhaal an Stelle von Katie Holmes in Batman Begins) ist mit Gothams erstem Verbrechensbekämpfer liiert, ein Verlust, den Wayne nur schwer verkraftet. Trotzdem erkennt er in Dent einen ebenbürtigen Partner, der sich der Ambivalenz der Superhelden-Existenz bewusst ist: "Entweder du stirbst als Held oder du lebst lange genug, um selbst als Verbrecher zu enden."

Der Satz nimmt auf prophetische Weise das Schicksal Dents vorweg, der sich nach einem Anschlag des Jokers in den Rächer Two-Face verwandelt. Mit seiner verbrannten linken Gesichtshälfte, einer grotesken Totenmaske, trägt er die Ambiguität des gebrochenen Helden als Stigma mit sich. Held und Verbrecher - zwei Seiten derselben Medaille. Und auch Bruce Wayne muss realisieren, dass er diesen Drahtseilakt längst vollführt.

Der Kulturtheoretiker William Uricchio bemerkte einmal, dass der Batman-Mythos über keinen "Urtext" verfüge, der ihn etwa an eine historische Periode anbindet. Eine Vielzahl von Autoren hat im Laufe der vergangenen 70 Jahre an seiner Fortschreibung gearbeitet. Dabei entstand eine multiple Historie, die ähnlich einer Legende sukzessive ein Eigenleben entwickelt hat. Jeder Batman war demnach ein Kind seiner Zeit. Burtons Filme steckten mit ihrem regressiven Gothic-Noir-Touch noch stark in den achtziger Jahren, der Mythos diente lediglich als Benutzeroberfläche für Burtons eigene Vorstellungen von Märchenhaftigkeit mit ihrer ewigen Polarität von Gut und Böse. Mit dieser Übersichtlichkeit haben Nolans Verfilmungen aufgeräumt.

The Dark Knight steht, mehr noch als sein Vorgänger, unter dem Eindruck von 9/11. Auch wenn das inszwischen eine Platitüde ist, trifft sie bei keinem Blockbuster der zurückliegenden Jahre so stark zu wie bei Nolans Film. The Dark Knight bildet eine vorsichtig formulierte gesellschaftliche Utopie im post-traumatischen Stadium ab. Mit dem Joker als selbsternanntem Agenten des Chaos bricht das Prinzip Anarchie in dieses fragile Gefüge ein, und es ist nicht zuletzt der pointierten Darstellung des im Januar unter mysteriösen Umständen verstorbenen Heath Ledger, die den Film davor bewahrt, ins Lächerliche zu kippen. Der Joker will nur spielen, er zieht dabei alle Register gesellschaftlicher Unordnung. Für den Showdown hat er sich etwas besonders Perfides ausgedacht: Er gibt den Besatzungen eines Gefangenentransporters und eines Linienschiffs den Zünder eines sich jeweils an Bord des anderen Schiffes befindlichen Sprengsatzes in die Hand - und damit ihr Schicksal.

Bei Nolan verfügt der Joker nicht über einen Masterplan, er stellt bloß die dünne Decke unserer Zivilisiertheit permanent auf die Probe. "Niemand", erklärt er, "gerät in Panik, wenn alles nach Plan verläuft - egal wie grausam dieser Plan ist." Batman trägt derweil seinen Teil dazu bei, grundlegende freiheitliche Prinzipien zu untergraben. Mit einer gigantischen Überwachungsaktion hört er in seiner unterirdischen Zentrale das Mobilfunknetz Gotham Citys ab. "Das ist zuviel Macht für einen Menschen", muss selbst Waynes Chef-Entwickler Lucius Fox (Morgan Freeman) erkennen - und räumt freiwillig seinen Stuhl. Batman kämpft, lange bevor er es selbst realisiert, auf verlorenem Posten.

Nolan bedient sich der kollektiven Erfahrung des 11. September in kleinen Dosen; nur einmal lässt er einen ganzen Krankenhauskomplex spektakulär in sich zusammensinken. Es ist vor allem die drückende Atmosphäre von Unbehagen und unterschwelliger Panik, die The Dark Knight seine nervöse Energie verleiht. Doch die interessanteste Wendung des Film besteht vielleicht darin, dass Nolan, der zusammen mit seinem Bruder Jonathan das Drehbuch verfasst hat, die Überwindung der Krise der Bevölkerung Gothams selbst anvertraut. The Dark Knight überdenkt das Verhältnis von Superheld und Gemeinwesen von Grund auf; der neue Hoffnungsträger wird direkt aus der Mitte der Gesellschaft kommen, Batman bleibt nur der Rückzug in die Illegalität. Dieses Opfer verleiht Bruce Wayne eine stille Größe. Das alte Superhelden-Modell macht sich selbst überflüssig.

Darin besteht letztlich die Tragik des dunklen Ritters: Während seine Kollegen im Licht der Öffentlichkeit Helden sind, kann der neue Batman es erst dadurch werden, dass er den Nimbus des Superhelden abstreift. Und in der Nacht untertaucht.

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