Clint Eastwood befindet sich lange im Rentenalter, aber im Kino zieht er Ärger noch immer an wie ein Magnet. Als sei die Zeit seit Dirty Harry stehengeblieben. Als rachsüchtiger Polizist kehrte Eastwood in den siebziger Jahren die Überreste der Flower-Power-Bewegung zusammen; selbst der psychopathische Killer in Don Siegels San-Francisco-Film hatte lange Haare. Eastwoods jüngster Film weckt nun Erinnerungen an seine berühmteste Rolle, denn Walt Kowalski, den er spielt, ist von solchem Kaliber. Seine Worte presst er zwischen den Zähnen hervor, und jeder zweite Satz endet mit einer persönlichen Beleidigung; in Gran Torino sind sie meist rassistischer Natur. Eine Gruppe schwarzer Jugendlicher, die die Tochter seiner vietnamesischstämmigen Nachbarn auf offener Straße belästigen, nennt er spooks, ein Schimpfwort, das genauso antiquiert ist wie Walt selbst. Mit seinen politischen Ansichten ist er gesellschaftlich längst nicht mehr integrierbar, doch solche integrierten Figuren haben Eastwood nie sonderlich interessiert. Wahrscheinlich würde er, der letzte klassische Geschichtenerzähler Hollywoods, sie als nicht „wahr“ bezeichnen. Walt wäre dagegen ein wahrhafter Charakter: bis an die Schmerzgrenze gefangen in seinen Widersprüchen. Er sehnt sich nach der guten alten Zeit, die ihn innerlich kaputt gemacht hat. Wenn er die Jugendlichen mit seiner imaginären Pistole aus Daumen und Zeigefinger bedroht, muss man fast schmunzeln – auch weil in dieser hilflosen Geste die Coolness so vieler Eastwood-Charaktere nachklingt.
Drei Regisseure haben den Schauspieler Clint Eastwood im Kino verewigt. Zwei von ihnen, Sergio Leone und Don Siegel, haben ihn als wortkargen Einzelgänger erfunden. Der dritte Regisseur, Eastwood selbst, ist seit Anfang der neunziger Jahre mit der stückweisen Korrektur dieses Images beschäftigt. Eastwoods Karriere doppelt sich in der Entwicklung seiner Leinwandpersona vom großen Schweiger mit Schwarz-Weiß-Weltsicht zur moralischen Autorität. Ob er in Erbarmungslos (1992) beim Versuch, sein Pferd zu besteigen, in den Dreck fällt oder in Million Dollar Baby (2004) die verschwitzten Handtücher in seiner heruntergekommenen Boxhalle wegräumt – in Eastwoods Kampf wird permanent eine Vergangenheit gegenwärtig, die neuralgische Punkte im amerikanischen Selbstverständnis berührt.
Am Rande der Gesellschaft
Den Western, diese von nationalen Gründermythen durchfurchte Großerzählung, hat Eastwood gleich zweimal zu Grabe getragen. Erst in der europäischen Variante unter Leone, später in eigener Regie mit Erbarmungslos: in der Rolle eines alternden Kopfgeldjägers, der dem Kreislauf der Gewalt nicht mehr entkommen kann. Vielleicht ist Eastwood gerade deswegen eine amerikanische Ikone, weil in ihm die Negation seines Mythos bereits verinnerlicht ist. Die Ambivalenz ist ein Merkmal seiner Charaktere.
Walt Kowalski stellt nun die Quintessenz des späten Eastwood dar: ein Kriegsveteran (Korea diesmal), rassistischer Misanthrop und unverbesserlicher Dickschädel. Nach dem Tod seiner Frau ist ihm nichts geblieben als sein 1972er Ford Gran Torino und der Hund Daisy. Einer seiner Söhne verkauft japanische Autos, was für Walt, der sein Leben bei General Motors am Fließband gestanden hat, einem Verrat gleichkommt. Tagsüber sitzt er Bier trinkend auf seiner Veranda und sieht der Nachbarschaft beim Verfallen zu. Der Strukturwandel der amerikanischen Innenstädte liefert in Gran Torino die Folie für Eastwoods Kulturpessimismus. Kaum eine amerikanische Stadt hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten wirtschaftlich so gelitten wie Detroit. Wer nach dem Niedergang der Automobil-Industrie zurückgeblieben ist, hat entweder kein Geld, um wegzugehen, oder ist wie Walt aus der Zeit gefallen. Der verkörpert in dem Film die last frontier, ein Bollwerk gegen den gesellschaftlichen Wandel: ein Immigrantenkind, das den nachfolgenden Generationen von Immigranten die Solidarität aufgekündigt hat. Es gehört zum Markenzeichen Eastwoods, dass sich in sein Spiel immer wieder Spuren ironischer Distanzierung mischen. In Gran Torino bedient er sich einer schlechten Angewohnheit seines Josey Wales aus Der Texaner (1976) wenn er, wo immer er steht, Kautabak ausspuckt – und in dieser Disziplin in einer alten Vietnamesin, die ihn pausenlos in einer ihm fremden Sprache beschimpft, seine Meisterin findet.
Dass er die historische Kontinuität seiner Figuren nie aus dem Blick verliert, macht Eastwood zu einem außergewöhnlichen Geschichtenerzähler. Der Texaner besitzt für Gran Torino eine Schlüsselfunktion. In dem Film kämpft er nach Ende des Bürgerkriegs als letzter Widerständler gegen die siegreichen Yankees; seinen Frieden findet er erst in einer Ersatzfamilie aus gleichermaßen Verstoßenen. Wie dieser Josey Wales wird auch Walt Kowalski letztlich nicht von der Gesellschaft, also seiner Familie oder dem impertinenten jungen Priester der Gemeinde, wieder integriert, sondern von Menschen, die ebenfalls am Rande des gesellschaftlichen Leben stehen. Der Nachbarssohn Thao und dessen vorlaute Schwester Sue finden Zugang zu dem knurrigen Alten auf seiner Veranda (zunächst über die traditionelle Küche der Hmong), und sie führen die Brüchigkeit seiner Fassade aus rassistischen Ressentiments vor.
Jedes Trauma, für sich allein
In seinen Filmen versteht Eastwood die amerikanische Geschichte als eine Geschichte der Gewalt. Wenn er sich selbst inszeniert (ein Privileg, das er seit einigen Jahren keinem anderen Regisseur mehr zugesteht), nimmt dieses Verhältnis zunehmend prekäre Züge an, weil die Gewalt, mit der sich seine Figuren konfrontiert sehen, gewissermaßen als letzte verlässliche historische Instanz, ihre strukturierende Funktion verloren hat. Ähnlich den jüngeren Figuren von Tommy Lee Jones (Im Tal von Elah, No Country for Old Men), dem anderen vernünftigen Konservativen Hollywoods, drückt sich bei Eastwood die Krise des Gesellschaftlichen in der Irrationalität der Gewalt aus, die eben diese Gesellschaft hervorbringt. Eastwoods Veteranen sind zwar nicht mehr Teil der Dynamik, suchen darin aber ständig nach einem Bezug, um sich in der Zeit, in der sie leben, zurechtfinden zu können.
Diese Position ist nicht unproblematisch. Mitunter fällt es schwer, Walts Rassismus als Ausdruck eines Generationenkonflikts abzutun, weil Eastwood wie häufig in seinen letzten Filmen außer versöhnlichen Gesten auch einen Sündenbock parat hat. In Gran Torino sind es die Straßengangs, die Thao und die Nachbarschaft terrorisieren. Weil der Junge alten Damen die Einkaufstaschen ins Haus trägt, bleiben Walts altgediente Wertvorstellungen – trotz Migrationshintergrund sozusagen – intakt. Hier greifen Eastwoods Filme manches Mal zu kurz: Sie beschreiben komplexe Konstellationen, bieten aber nicht mehr als blauäugige Lösungen. Der soziale Kontrakt, den Walt und Thao schließen, könnte aus dem Kino der Eisenhower-Ara stammen: Walt zeigt Thao, was es bedeutet, ein (amerikanischer) Mann zu sein; der Junge bringt ihm im Gegenzug Milde und Respekt bei.
Eastwoods skeptischer Blick auf Amerika ist zwangsläufig eingeschränkt, aber in der Beschreibung gesellschaftlicher Verhältnisse mitunter eben auch genau. So schafft er in seinen Filmen immer wieder überraschende Allianzen. Thaos Familie ist wie Walt zwischen Tradition und Moderne gefangen. Ihre Geschichten sind gleichermaßen von Gewalt gezeichnet: Walt hat in Korea „Schlitzaugen“ getötet; die Hmong haben im Vietnamkrieg auf Seiten der Amerikaner gekämpft – und sind dafür vertrieben worden. Jeder ist auf seine Weise traumatisiert. „Was einen Mann am meisten verfolgt,“ erzählt Walt in Erinnerung an „seinen“ Krieg, „sind die Dinge, die ihm von niemandem befohlen wurden.“
Dass Eastwood sich in seinen letzten Rollen nie ganz ernst nehmen kann, ist eine beachtliche Leistung für einen, der einst mit der großkalibrigen Waffe eine neue Rechtsordnung durchsetzen wollte. In dieser Hinsicht stellt Gran Torino nach fast 30 Jahre Arbeit am Dirty-Harry-Image eine Art Schlusspunkt dar; dem Vernehmen nach soll es sein letzter Film vor der Kamera bleiben. Das macht Gran Torino als Film über den Schauspieler Clint Eastwood auch wesentlich interessanter als im Kontext seiner Regie-Arbeiten. Niemand soll das letzte Wort zu Eastwood haben außer ihm selbst. Mit einem Lied auf den Lippen (er klingt wie ein gut abgehangener Lee Marvin), tritt er als Cowboy ab, den Finger am Abzug – seines Feuerzeugs.
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