Das Kino bildet seine eigenen historischen Narrative. Steven Spielberg etwa beschwört gerade mit Lincoln den Geist des alten „Abe“ für Obamas zweite Amtszeit herauf. Nation gespalten, Patt im Parlament, Korruption an der Tagesordnung – aber Spielberg entlässt sein Publikum mit dem Trost, dass Charisma und Pragmatismus das Land wieder auf den rechten Weg führen werden. Erbauungskino für die lädierte Seele.
Der ehrlichere Obama-Film ist Kathryn Bigelows Zero Dark Thirty, in dem der Präsident sogar einen Gastauftritt absolviert (in einem Fernsehinterview). Bigelow exerziert einen politischen Pragmatismus in Reinkultur, ohne das Dilemma der moralischen Verstrickungen noch auflösen zu wollen. Obamas Aussage „Amerika foltert nicht“ – nachdem man im Film etwa 50 Minuten lang das Gegenteil gesehen hat – beschreibt einen Paradigmenwechsel, dessen Schlusspunkt Bigelows Film selbst markiert.
Zero Dark Thirty erinnert noch einmal daran, dass der Krieg gegen den Terror (War on Terror) in die vierte Legislaturperiode geht. Dem US-amerikanischen Kino kommt bei der medialen Geschichtsschreibung dieses Krieges eine zentrale Rolle zu, jedoch unter veränderten Bedingungen. Traditionell genoss die Filmindustrie das Vorrecht, die Bilder von den Schlachtfeldern als Propaganda aufzubereiten. Mit 9/11 wendete sich das Blatt. Plötzlich bedienten sich Hollywood-Filme beim Bildrepertoire, das der militärisch-industrielle Komplex der Unterhaltungsindustrie zur Verfügung stellte. Der „Military Entertainment Liaison Officer“, der seither selbst in den Stabangaben von Filmen wie Transformers auftauchte, ist heute ein unliebsames Vermächtnis dieser unheiligen Allianz.
In seiner Videoarbeit Ernste Spiele (2010) erklärt der Filmemacher Harun Farocki am Beispiel der Trainingssimulationen des US-Militärs, dass Erinnerung billiger als Ausbildung sei: In den Spielen zur Behandlung traumatisierter Soldaten sind die Animationen einfach gehalten, die Programmierer sparen selbst an Schatten.
Von Langley, Virginia aus
In Hollywood dagegen hat der Krieg gegen den Terror lange Schatten geworfen. Er wurde an gleich zwei Fronten geführt. Filme wie Robert Redfords Von Löwen und Lämmern (2007), Home of the Brave von Irwin Winkler oder World Trade Center von Oliver Stone (beide 2006) verrichteten zu Hause aufopferungsvolle Trauerarbeit, während Operation: Kingdom von Peter Berg (2007), Ridley Scotts Der Mann, der niemals lebte (Body of Lies) und Bigelows Oscar-Gewinner Tödliches Kommando (The Hurt Locker; beide 2008) die neuen Schlachtfelder des asymetrischen Krieges sondierten. Das Kino antwortete auf den subjektiven Blick des eingebetteten Soldaten mit der Zentralperspektive der militärischen Aufklärung: Satellitenaufnahmen, die aus großer Höhe einen Sinn in die globale Ordnung zu bringen versuchten. Das musste schiefgehen. Während sich allmählich abzeichnete, dass der reale Krieg gegen den Terror keinen Sieger hervorbringen würde, konnte man sich in Hollywood wenigstens damit brüsten, Stellvertreterkämpfe gegen terroristische Zellen in Jordanien und Saudi-Arabien zu gewinnen.
In Zero Dark Thirty findet diese Geschichte zu einem wenig befreienden Happy-End. Mit der symbolischen Erschießung Bin Ladens verliert das Narrativ Krieg gegen den Terror seine Wirkmacht. Welche neuen Bilder lassen sich jetzt noch für diesen Krieg produzieren?
Obamas Drohnen-Programm, das mit der Ernennung des Realos John Brennan zum CIA-Direktor richtungsweisend für zukünftige Interventionen sein dürfte, bietet sich jedenfalls nicht zur Verklärung US-amerikanischer Außenpolitik an. Amerikanische Helden werden aus Testosteron und Muskelkraft geboren – eine antike Vorstellung, die Bigelow in Tödliches Kommando konterkarierte. Insofern war schon der Actionfilm Acts of Valor im vergangenen Jahr ein seltsamer Anachronismus: Hier spielten echte Navy seals in einer fiktiven Geschichte ihre Einsätze gegen islamistische Terroristen nach. Aber heroisches Kriegspathos stiftet im Kino keinen Gemeinsinn mehr.
Momentan scheint nur das Fernsehen eine Ahnung zu haben, wie sich der Krieg gegen den Terror noch zeitgemäß erzählen lässt. Zwar spielt die preisgekrönte Serie Homeland mit einem Bedrohungsszenario aus dem Kalten Krieg, dem indoktrinierten Schläfer, aber die Vorstellung eines korangläubigen Elitesoldaten liefert ein genaues Bild des gegenwärtigen Unbehagens – die Unübersichtlichkeit der neuen Schlachten findet ihre Entsprechung in der Paranoia daheim. In solchem gesellschaftlichen Klima ist es nur konsequent, dass eine hysterische, manisch-depressive (und natürlich brillante) CIA-Analystin als einzige den Plan der Terroristen durchschaut. Maya, die obsessive Jägerin in Zero Dark Thirty, ist eine Wiedergängerin der Homeland-Figur Carrie Mathison.
Das Kino muss sich vorerst mit weniger epischen Entwürfen begnügen. Bislang hat der asymetrische Krieg ohnehin nur gebrochene Helden hervorgebracht. Auch sie werfen keine Schatten. Ridley Scott hatte in Der Mann, der niemals lebte schon einige weitsichtige Szenarien für künftige Hightech-Kriege umgesetzt. Der Krieg gegen den Terror wird längst von Langley, Virgina, dem Sitz der CIA, und unscheinbaren Kommandozentralen in Arizona aus geführt. Der Soldat, der Held sein müsste, fungiert nur noch als verlängerter Arm.
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