Pornografie kann aktuell als Leitmedium von filmischer Erzählung fungieren. Der Körper wird zum Humankapital, Träume und Sehnsüchte zu Risikoinvestitionen und bezahlter Sex vor der Kamera zu einer ganz normalen Anstellung oder der Option auf Selbstverwirklichung. Der Blick auf die Sexarbeitsbranche fällt entsprechend nüchtern aus, die Frage nach der Moral stellt sich nicht. Prekär ist die Beschäftigung der Pornodarsteller und Hostessen nur wie jede andere auch – weil die meisten als Freelancer arbeiten.
In dem Film Starlet, der diese Woche in die deutschen Kinos kommt, muss Melissa erfahren, wie flexibel die Arbeitsverhältnisse im San Fernando Valley von Los Angeles, dem Hollywood der amerikanischen Pornoindustrie, sein können: Sie wird von Studio-Boss Arash wegen Unzuverlässigkeit für einen Monat gesperrt mit der Auflage, auch nicht für andere Produzenten arbeiten zu dürfen.
In einer fast parodistisch anmutenden, aber ernst gemeinten Szene beweist Regisseur Sean Baker seine narrative Beiläufigkeit. Melissa kommt nach Hause zu ihrem dysfunktionalen Freund Mikey, der sich als Manager und Porno-Entrepreneur versucht. Sie hat einen Dreh abgebrochen, was zu diesem Zeitpunkt nur wegen des Honorars zu vermuten ist (1200 Dollar), das ihr nun fehlt. Mikey trauert der Gage hinterher, Melissa will, dass das Drama ihres kaputten Fingernagels gewürdigt wird. Mit solch präzise inszenierten Details skizziert Baker sein lakonisches Bild von der Arbeitswelt Pornografie.
Trockene Montage
Protagonistin in Starlet ist Jane, die mit Melissa und Mikey zusammenwohnt und mit besseren Karriereaussichten im gleichen Studio unter Vertrag ist. Jane ist eine Slackerin, die noch nach ihrer Bestimmung sucht. Einer alten Frau namens Sadie kauft sie auf einem yard sale eine Thermoskanne ab, in der sie später lauter Dollarbündel findet. Das Geld bahnt eine nicht unkomplizierte Beziehung zwischen Jane und Sadie an, die der Film erst zum Schluss und nebenher erklärt.
Geld spielt hier eine tragende Rolle, bleibt durch die unaufgeregte, antiklimaktische Erzählweise aber im Hintergrund. Bakers Film illustriert mit lapidaren Einstellungen und einer trockenen, bisweilen elliptischen Montage das Primat des Ökonomischen: Intime Beziehungen wie Freundschaft oder Sex gibt es nur des Geldes wegen. Da ist es konsequent, dass der Cast von Starlet widerstrebende Grade an Professionalität vereint. In Bakers Inszenierung ist kein Unterschied auszumachen zwischen Hollywood-Gesichtern wie Dree Hemingway (Jane), Stella Maeve (Melissa) und James Ransone (Mikey), Pornodarstellern wie Asa Akira und Manuel Ferrara und Laien wie der kürzlich verstorbenen Besedka Johnson, die als Tochter eines Stummfilmdarstellers in der Rolle der Sadie ihr Leinwanddebüt mit 86 feierte.
In Cherry gelingt die Verschmelzung der beiden Filmwelten weniger überzeugend, obwohl das Debüt des Schriftstellers Stephen Elliott von der Normalität des in den USA sogenannten adult film zu berichten versucht. Für das praktische Problem, dass ein gewöhnlicher Spielfilm über die Arbeit in der Pornoindustrie keine expliziten Szenen zeigen kann, findet Cherry keine ästhetische Lösung. Während Starlet Sexszenen in die Unschärfe seiner nebensächlichen Erzählart delegiert, kann Cherry immer nur Standbilder mit Bekleideten zeigen und dann abblenden.
Der konventionelle Film nach einem Drehbuch von Elliott und der Pornodarstellerin Lorelei Lee, die selbst mitwirkt, erweist sich als späte Coming-of-Age-Geschichte. Cherry (Ashley Hinshaw), die eigentlich Angelina heißt, kommt aus schwierigen Verhältnissen und zieht 18-jährig mit einem treuen Freund und stillen Verehrer (Dev Patel) nach San Francisco. Diese Bewegung imitiert nicht zufällig den Aufbruch in den Summer of Love von 1967 – mit dem Unterschied, dass die Entdeckung der eigenen Sexualität sich in Cherry an den Darstellungsvarianten im Pornostudio orientiert. Der Reifeprozess führt von der Selbstbefriedigung in Schuluniform bis zur ersten Mann-Frau-Szene. Ähnlich wie in Starlet ergibt sich die Karriere als Pornodarstellerin aus einer finanziellen Logik.
Aseptische Welt
Um ökonomische Hintergründe geht es Steven Soderbergh in seinem Film The Girl-friend Experience von 2009, der seinerzeit keinen deutschen Kinostart hatte: ein digitales Experiment, das vignettenartig fünf Tage aus dem Leben eines Edel-Callgirls schildert, verkörpert von der ehemaligen Pornodarstellerin Sasha Grey. The Girlfriend Experience spielt in den Transiträumen des Kapitals: in teuren Restaurants, Luxus-Boutiquen, Lofts. Die unemphatischen Gespräche, meist vor oder direkt nach dem Sex, drehen sich ums Geld und wie man es gewinnbringend investiert.
Bei Soderbergh ist die Sexarbeit das Spielfeld des Spätkapitalismus, auf dem die Regeln des Marktes ihre Dynamik entfalten können. Hier wird das Prinzip von Selbstausbeutung und Selbstoptimierung am eigenen Leib praktiziert, und auch wenn die Tauschwerte materiell sind, handelt die Branche letztlich mit Illusionen und Wunschvorstellungen. Chelsea, die Protagonistin in The Girlfriend Experience, verkörpert die Begehren ihrer anspruchsvollen oder gelangweilten Klienten und versucht mithilfe von Astrologie-Ratgebern, ihr eigenes Leben zu finden. Ihre Tagebucheinträge bestehen aus Aufzählungen von Dienstleistungen und Modeaccessoires.
Der Film spielt in dem knappen Zeitfenster zwischen Lehman-Pleite und US-Präsidentschaftswahl, als sich in Amerika tiefe Verunsicherung breitmachte. Chelsea bewegt sich durch eine aseptische Welt, der die kommende Erschütterung nicht gleich anzusehen ist. Sie überträgt sich aber durch die Nervosität ihrer Bemühungen, sich zu behaupten im Geschäft. „It’s better to stay cash“, der Ratschlag eines Kunden, in der Situation besser auf Bargeld zu setzen, klingt wie ein Befehl zum Selbsterhalt.
Starlet vom Sean Baker, USA 2012, ab 9. Mai im Kino. Cherry von Stephen Elliott, USA 2012, ab 10. Mai auf DVD. The Girlfriend Experience von Steven Soderbergh, USA 2009, auf DVD
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