Für Nick Naylor gehört es zum Tagesgeschäft, sich um Kopf und Kragen zu reden. Mit seinem pomadigen Lächeln, das ihm wie ein maßgeschneiderter Anzug sitzt, kann er seinen Zuhörern einfach alles verkaufen. "Michael Jordan spielt Basketball", beschreibt er in Jason Reitmans Thank you for Smoking seine Talente, "Charles Manson tötet Menschen und ich - rede". Nick Naylor (Aaron Eckhart) ist das Gesicht von "Big Tobacco", Sprecher und geschäftigster Lobbyist der amerikanischen Tabakindustrie. Millionen von Menschen sterben jährlich an den Folgen des Rauchens; Nicks Aufgabe besteht darin, die Leichen im Keller zu beseitigen, bevor sie anfangen zu riechen, Zigaretten der Öffentlichkeit als "cool" zu verkaufen und Geschenke zu verteilen. Nicht dass er ein Menschenfreund wäre, aber: "Es liegt in unserem ureigenen Interesse, dass Robin am Leben bleibt und weiter raucht", kommentiert er in einer Talkshow freundlich lächelnd den Fall eines krebskranken Teenagers. "Die Anti-Raucher-Lobby würde ihn am Liebsten tot sehen."
Thank you for Smoking, Hollywoods jüngster Beitrag zur moralischen Nabelschau Amerikas, ist voll von solch bekenntnishaften Bonmots. Dem professionellen Zynismus der Film- und Tabakindustrie ist nur noch mit den eigenen Waffen beizukommen. Ihre gemeinsame Geschichte reicht weit zurück, bis in die Goldene Ära Hollywoods, als sich in der Art zu rauchen noch ein Lebensgefühl ausdrückte. Das Quid pro Quo, das Prinzip "Geben und Nehmen", haben Hollywood und Big Tobacco seither kultiviert: Irgendwann begann sich die Grenze zwischen Werbung und product placement langsam aufzulösen. In Thank you for Smoking wird diese imaginäre Grenze nun sogar in den Weltraum verlagert, der final frontier der Marketing-Phantasten. Hollywood-Agent Jeff Megall (Rob Lowe) stellt sich das ungefähr so vor: "Indiana Jones meets Jerry Maguire. Im Weltall. Ein echter Gewinner."
Auch Thank you for Smoking ist im Grunde natürlich nichts anderes als das Produkt des bewährten Prinzips vom Geben und Nehmen. Hollywoods Fähigkeit zur Selbstkritik ist bereits systemimmanent und kann unverbindlich im Gewand der Satire daherkommen. Kleinere Dämpfer absorbiert das System, ohne dass die Produktion zum Erliegen kommt. Zynismus funktioniert in Hollywood zunehmend als eingebauter Schutzmechanismus, der etwa dort zu lokalisieren ist, wo man beim moralischen Menschen das Schamgefühl vermuten würde. Nur verhalten sich Zynismus und Scham im aktuellen Hollywood-Film längst nicht mehr proportional. Scham ist ein Luxus, den die Studios sich - im Gegensatz zum Zynismus - immer weniger leisten können. So passiert es schon mal, dass Universal 150 Millionen Dollar für Miami Vice hinblättert, während die Miami Police jährlich mit gerade 100 Millionen haushalten muss, oder ein erbärmliches Dritte Welt-Drama wie Jenseits aller Grenzen - mit den besten Absichten selbstverständlich - mal eben 30 Millionen Dollar in den Sand setzt. Dieser Mangel an Verhältnismäßigkeit ist heute die eigentliche Zumutung. Verzagtes Schamgefühl wird äußerlich bloß noch als Obszönität registriert.
Thank you for Smoking überspielt dieses Dilemma mit einem amüsierten Bekennerton. Den beherrscht vor allem Aaron Eckhart, der Nicks Versandhauskatalog-Charme mit schier übermenschlichem Selbstvertrauen zu Markte trägt. Nick ist ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen, ein professioneller Motivationsjunkie von permeabler Moralität. Heute Hollywood, morgen Texas, wo er dem vom Krebs dahingerafften Marlboro-Mann (Sam Elliott) ein Schweigegeldköfferchen in die Hand drückt, und übermorgen das Bett einer (sensations)lüsternen Reporterin (Katie Holmes). "Meine anderen Interviewpartner", knallte sie ihm vorher noch an den Kopf, "beschrieben Sie als Massenmörder, Blutsauger, Zuhälter, Profiteur und, mein persönlicher Favorit, Yuppie-Mephisto." Nicks drängendstes Problem dagegen ist eher privater Natur. Wie kann er all dies aus professioneller Überzeugung verkörpern, und gleichzeitig für seinen 12-jährigen Sohn Joey (Cameron Bright) ein akzeptables Rollenmodell sein?
Debütant Reitman zeigt vor nichts und niemandem Respekt. Liberale Politiker (William H. Macy als "Käse-Gouverneur" von Vermont) kriegen in Thank you for Smoking ebenso ihr Fett weg wie die Hollywood-Exekutive, für die ein sichtlich gut aufgelegter Rob Lowe die Rampensau gibt. Nicht nur Nick, alle scheinen bei Reitman wie umnebelt von der eigenen Großmannsucht. "Wir verkaufen keine Tic Tacs", erklärt Nicks Vorgesetzter (J.K. Simmons) beim Briefing, "wir verkaufen Zigaretten. Und die sind cool, verfügbar und machen abhängig. Der Job erledigt sich eigentlich wie von selbst." Im Grunde ist der ganze Film ein solches sich selbst erhaltenes System. Wie Adrenalinstöße putschen die andauernden Pointen die Stimmung hoch, bis niemand mehr zu wissen scheint, was die ganze Aufregung überhaupt soll - und wo in diesem Krieg eigentlich die Fronten verlaufen. Bald hangelt sich Thank you for Smoking von einem denkwürdigen Dialog zum nächsten, ohne sich noch darum kümmern zu müssen, die einzelnen Episoden zu einem sinnvollen Ganzen zu verbinden.
So ist Thank you for Smoking nicht ganz der große satirische Wurf geworden, als der er sich mit jeder gepfefferten Dialogszene geriert - dafür spielt Reitman zu sehr nach den Regeln des tolerierten Normübertritts, den Hollywood sich besser als jede andere Branche verinnerlicht hat. Seine politisch-unkorrekte Kaltschnäuzigkeit bleibt genauso Pose wie der bissige Tonfall. Anders lässt sich nicht erklären, warum in Thank you for Smoking nicht eine einzige Zigarette angezündet wird - sei es so aus Genuss, oder einfach nur, weil´s gut aussieht. So weit scheint Reitman seiner Prämisse doch wieder nicht über den Weg zu trauen. Selbst Nick, der spin doctor, hat dem Rauchen öffentlich entsagt. Und ganz ehrlich: Von so einem würde man eine Kippe doch nicht mal geschenkt haben wollen.
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