Über den Rechnern von Nizza

Jugendfilm Im smarten „For No Eyes Only“ schaut der Voyeur durch Webcams und nicht durchs Fenster zum Hof
Ausgabe 48/2014
Eine Version von Hitchcocks "Das Fenster zum Hof" mit Jugendlichen
Eine Version von Hitchcocks "Das Fenster zum Hof" mit Jugendlichen

Bild: Zorro Film

Der deutsche Film gibt selten Anlass zur Freude, was nicht überraschen muss angesichts einer Branche, die ihren Erfolg an Fördergeldausschüttungen und der Vergabe von unansehnlichen Goldstatuen bemisst. Die spannenden Geschichten im deutschen Kino fanden in den vergangenen Jahren unterhalb der allgemeinen Aufmerksamkeitsschwelle statt, weil sie nach Kriterien funktionieren, die in den Förder- und Preisvergabestatuten eine Nebenrolle spielen. Originalität zum Beispiel. Oder auch mal etwas Mumm.

Diese Woche kommt ein Film in die Kinos, der schon deshalb unter dem Radar der seriösen Filmkritik fliegen wird, weil er so schwer zu positionieren ist. Vielleicht ist es nur fair, For No Eyes Only nicht an den Filmhochschulabschlussarbeiten zu messen, die neben ihm in der Publikumsnische um Aufmerksamkeit buhlen.

For No Eyes Only ist so etwas wie die Graswurzelversion des deutschen Förderkinos und gleichzeitig sein trotziger Gegenentwurf. Regisseur Tali Barde wurde nach dem Abitur von den Filmhochschulen abgelehnt. Da die Idee aber ohnehin schon stand und er noch auf die Strukturen der von ihm gegründeten Film-AG an seiner alten Schule zurückgreifen konnte, drehte er in Do-it-yourself-Manier einfach weiter. Sein Film ist das Äquivalent zur Nachwuchsband, die sich im Proberaum die Finger blutig spielt und danach erst mal eine Ochsentour durch Jugendzentren und besetzte Häuser absolvieren muss. For No Eyes Only lief in den letzten zwei Jahren auf unzähligen Kinder- und Jugendfilmfestivals und während der Schulkinowochen und stieß dabei nicht nur beim jüngeren Publikum auf Begeisterung.

Barde hat eine Version von Hitchcocks Das Fenster zum Hof mit Jugendlichen gedreht, einen Filmklassiker für die Digital-Native-Social-Media-Generation also. Der etwas übergewichtige Nerd Sam (Benedict Sieverding; kürzlich auch in einem Thiel-und-Boerne-Tatort zu sehen) ist nach einem Unfall beim Schulsport gezwungen, seine Tage vor dem Computer zu verbringen. Aus Langeweile hackt er sich in die Rechner seiner Mitschüler und aktiviert deren Webcams. Das ist besser als Facebook. Nur der Neue in der Klasse, Aaron (Tali Barde), verhält sich merkwürdig. Der Vater ist plötzlich verschwunden. Und was hat Aaron mit dem Messer vor? Zusammen mit seiner Freundin Livia, die eine tolle Vorstadt-Grace Kelly abgibt, kommt Sam dem Rätsel auf die Spur.

Sound für die Zielgruppe

Diese Woche startet For No Eyes Only regulär in den Kinos, und dennoch beeilt sich der Verleih zu betonen, dass Bardes Film aufgrund seiner ungewöhnlichen Produktionsgeschichte unter Artenschutz stehen sollte. Die Kurzversion der Geschichte geht so: Ein paar Schüler drehen ohne Geld einen Spielfilm und lassen die Großen mit ihren Kontakten in die Fernsehredaktionen und Fördergremien ganz schön alt aussehen. Was nicht heißen soll, dass For No Eyes Only ohne Schwächen wäre. Die aber fallen angesichts des Spielwitzes und der Tatsache, dass ein paar Schüler einen ziemlich smarten Film für ihre Altersgruppe gedreht haben, kaum ins Gewicht. Man muss sich nur vor Augen führen, was die 13- bis 17-Jährigen hier sonst zur Identifikation angeboten kriegen: Familienkino à la Til Schweiger und konfektionierte Kinderkrimis wie Fünf Freunde 4 (im Januar).

For No Eyes Only ist da schon weiter. Der Film hat etwas mit den Erfahrungen seiner Zielgruppe zu tun, er besitzt ein ästhetisches Konzept, das innerhalb der eigenen Logik aufgeht, und trifft einen Ton, der die eigene Unbeholfenheit immer mitreflektiert. Der beste deutsche Genrefilm 2014 kommt von einem 22-Jährigen.

For No Eyes Only Tali Barde D 2013, 97 Min.

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