Wissen, was sie tun

Nostalgie Damien Chazelle schwelgt mit Emma Stone und Ryan Gosling im alten Hollywood. Über den Film „La La Land“, der mit seinem Hang zur Nostalgie sieben Golden Globes gewann
Ausgabe 02/2017

Das Musical ist in der Schule des klassischen Hollywoodkinos so was wie der Klassenstreber. Immer muss alles spielerisch und leichtfüßig aussehen, dabei stecken harte Arbeit und eiserne Disziplin hinter der virtuosen Musikalität und den schwerelosen Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer. Doch das Musical ist auch ein doppelbödiges Genre, das mit seiner Künstlichkeit kokettiert und sie in den besten Momenten unverhohlen ausstellt. In der Studio-Ära Hollywoods markierte es den Einzug der Postmoderne in die Traumfabrik. Den Bruch mit den Eskapismusstrategien der Filmindustrie durch Freilegung der Strukturen: Kulissen, Musik, Kostüme, kunsthistorische Zitate.

Umso auffälliger ist der Hang zur Nostalgie, wenn sich wieder mal ein Regisseur am inzwischen selbst historisch gewordenen Genre vergreift. Damien Chazelles La La Land trägt seine Agenda schon im Titel, die im Englischen leicht abfällige Bezeichnung für den Sehnsuchtsort Hollywood. Als Projektion eines besseren Amerikas, in dem es auch eine kleine Kellnerin aus einem fly-over state zwischen den Küstenmetropolen zum Filmstar bringen kann.

Hinreißend kieksend

Diese Kellnerin, Mia, wird in La La Land von Emma Stone gespielt, die inzwischen selbst ein Hollywood-Star ist – allerdings einer von denen, die noch Kontrolle über ihre Karriere haben. Sie taucht seit Greg Mottolas Brachial-Collegekomödie Superbad (2007) meist in den richtigen Zusammenhängen auf. Mit den leicht auseinanderstehenden Augen und dem schiefen Mund gibt sie eine gute leading lady für die nerdigen Jungs (Jonah Hill, Spider-Man) und die strammen Mackertypen (Bradley Cooper, Edward Norton) ab. Ryan Gosling steht irgendwo dazwischen. Er beherrscht den feuchten Dackelblick, der ihn für romantische Rollen qualifiziert.

In Chazelles Los-Angeles-Fantasie tritt sein Sebastian für die altmodischen Werte ein, womit er dem Film gewissermaßen als Projektionsfläche dient. Für Goslings Figur verkörpert der Jazz die Tradition. Die alte Schule wohlgemerkt, die schon in Chazelles letztem Film Whiplash eine zentrale Rolle spielte, nicht der seichte Fahrstuhljazz aus dem 90er-Jahre-Formatradio, den Mia meint. Bis zum Happy End müssen also noch einige Missverständnisse ausgeräumt werden. Nicht jedoch ein paar unvermeidliche Mythen über Hollywood. Die feiert La La Land enthemmt ab.

Im Prinzip bringt Chazelle ideale Voraussetzungen für das Musical mit. Rückblickend wirkt Whiplash fast wie eine Fingerübung in puncto Stil und Disziplin. Der Film handelte von einem Musikschüler, der von seinem sadistischen Lehrer (J. K. Simmons hat auch in La La Land einen Auftritt) in einer Bootcamp-artigen Ausbildung an die körperlichen Grenzen getrieben wird, inklusive Schweiß, Tränen und Blut. Chazelle outete sich als Kontrollfreak und Poser, der seine Virtuosität gerne raushängen lässt. Die martialischen Stakkato-Montagen bewiesen Sinn für Rhythmik und die Präzision von Schnittfolgen, doch bei aller technischen Perfektion fehlte Whiplash die Leichtigkeit des Jazz, die Lust an der Improvisation. Dieses Manko teilt La La Land, der sich die Standards des Hollywood-Musicals so stil- und geschmackssicher aneignet, dass er Gosling und Stone stellenweise zu Erfüllungsgehilfen degradiert.

Gleiches gilt für den Jazz, der hier für das Manufactum-Gefühl des Guten und Reinen in der Musik steht, aber (entsprechend Chazelles Hollywood-Bild) vollkommen ahistorisch eingeordnet wird. „Ein paar Männer trafen sich in einem Kellerloch in New Orleans, und weil jeder von ihnen eine andere Sprache sprach, kommunizierten sie mit Musik”, erklärt Sebastian Mia die Urszene des afroamerikanischen Jazz frappierend unterkomplex. Musikgeschichte minus Emanzipationsdynamik. „Du spielst revolutionäre Musik, redest aber wie ein Traditionalist“, hält ihm ein Musikerkollege sinngemäß vor. Das trifft letztlich auch auf La La Land zu. Was am klassischen Filmmusical aufregend und postmodern war, wirkt bei Chazelle wie ein einstudiertes Zitat.

Die Bezugspunkte bleiben allerdings bis zum Finale, dem einzigen Bekenntnis zum uneigentlichen postmodernen Erzählen, unklar. Die großen MGM-Musicals von Busby Berkeley oder das Werk von Vincente Minnelli sind es jedenfalls nicht – auch wenn sich die Schluss-Sequenz von La La Land als Hommage an Ein Amerikaner in Paris zu erkennen gibt. Dafür tanzt Gosling nicht gut genug, und Stone trifft zu selten die richtigen Töne. In ihrer schönsten Einlage schiebt sie am Schluss noch ein hinreißend kieksendes „again“ hinterher wie ein aus dem Nest gefallenes Küken.

Chazelle interessiert also nicht der durchchoreografierte Budenzauber. Nur ein Mal, in der schwungvollen Eröffnungsplanungssequenz auf einem dieser verstopften kalifornischen Freeways, macht er das ganz große Fass auf. Ansonsten ensteht in La La Land die Musical-Dynamik eher aus beiläufigen Alltagsbewegungen. Es zählt der physische Ausdruck des vermeintlich Unperfekten. Selbst Goslings ironischer Ausfallschritt nach dem verzagten Versuch eines Balztanzes unter dem falschen Sternenhimmel des Griffith-Observatoriums – dank James Deans … denn sie wissen nicht, was sie tun Teil der Hollywood-Ikonografie – sucht noch heimlich die Komplizenschaft des Publikums. Diese Nonchalance erinnert an die revisionistischen Musicals Jacques Demys, der sich nie um (Körper-)Haltung und Eleganz geschert hat. Im Vergleich zu einem verkappten Romantiker wie Demy ist Chazelles Bild von Hollywood allerdings eine Spur zu zynisch.

Info

La La Land Damien Chazelle USA 2016, 127 Minuten

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