Eine Lanze für Lanz

Lanz Wir sollten ihm dankbar sein: Markus Lanz zeigt uns mit seiner gutgläubigen Ahnungslosigkeit unmissverständlich, mit welcher Verlogenheit die Europa-Debatte geführt wird

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Die Last der Welt auf seinen Schultern
Die Last der Welt auf seinen Schultern

Foto: ZDF/Sascha Baumann via Getty Images

Keine Frage, dem Protest gegen die untergriffige Befragung Wagenknechts durch ZDF-Star Markus Lanz könnte man durchaus etwas abgewinnen: Etwa, dass es ein wichtiges Zeichen gegen die allgemeine Fernbedienungsmentalität ist, die von manchen als höchster Akt der Freiheit ins Feld geführt wird: Hunger in Afrika? Zapp. Jugendarbeitslosigkeit? Zapp. Klimawandel? Zapp. Lanz? Zapp. Oder aber nicht: Gewiss, eine Petition ist ein kleiner Schritt und der Unrat türmt sich, der Zustand der meistkonsumierten Medien in Deutschland gehört leider nicht erst seit Reich-Ranickis Verriss eindeutig dazu.

Ich glaube aber, wir müssen Markus Lanz dankbar sein.

Die enorme Resonanz der Petition zeigt doch, wie offensichtlich hier gepfuscht wurde. Das meinen Sie doch nicht ernst, Herr Lanz! Mit seinem Auftreten hat er uns vielmehr ein beispielhaftes Lehrstück geliefert, mit welchen ideologischen Verrenkungen die deutsche Europa-Debatte geführt wird.

Dies fängt mit dem "Bekenntnis zu Europa" an.

Und der Vehemenz, mit der Lanz der Linken-Politikerin dies abringen wollte - fast lag er schon auf den Knien! Denn hinter dieser Frage steht nicht nur der Gegensatz von Pauschalisierung und Differenzierung, sondern es ist vielmehr eine diskursive Operation zur Herstellung eines postpolitischen Konsenses, durch den sich partikulare Partei- und Klasseninteressen deutscher Eliten zur allgemeinen Idee „Europas“ emporschwingen. Anders gesagt: Schnell wird klar, dass hinter dem von Lanz eingeforderten „Bekenntnis zu Europa“ die bedingungslose Zustimmung zu einem ein paar Jahre alten Währungssystem und der neoliberalen Wirtschaftspolitik der Großen Koalition auf europäischer Ebene steht. Aber Europa ist weit mehr als die EU oder als das Grüppchen, das dort gerade das Sagen hat.

Klammer auf.

Während bisher noch niemand auf die Idee gekommen ist, mit einem „Bekenntnis zu Deutschland“ das Kabinett Merkel abzusegnen, scheinen derartige Manöver in der Europa-Debatte Gang und Gäbe: Denn wer genau sind zum Beispiel die „pro-europäischen“ und „pro-westlichen“ DemonstrantInnen in der Ukraine? Sind sie so europäisch wie Victor Orbans Vorstellung von Meinungsfreiheit, so westlich wie Silvio Berlusconis Frauenbild oder doch so westeuropäisch wie Horst Seehofers Flugpläne? Wann fordert die EVP ein solches Bekenntnis von ihren eigenen Mitgliedern? Klammer zu.

Dann die Frage nach dem Verdienst.

Ein ganz tolles Beispiel: Einerseits die EU zum goldenen Kalb auf heiliger Euro-Wiese verklären, andererseits zur Diskreditierung einer politischen Gegnerin die billigsten Vorurteile über die ParlamentarierInnen in „Brüssel“ auffahren, die in Geld schwimmen, von denen man aber sonst „nicht viel hört“, denn: „Was haben sie dort überhaupt gemacht?“ Eine beliebte Strategie in der Europa-Debatte. Hier wird zudem die doppelzüngige Praxis des europäischen Recyclingsystems schonungslos offengelegt: Nationale Regierungen exportieren unliebsame Entscheidungen nach Brüssel, um sie dann als „Diktat der EU“ zu reimportieren und die Hände in Unschuld zu waschen. Die Bedienung von Ressentiments ist dabei das Vehikel, durch das jede wirkliche Auseinandersetzung über die EU-Politik verhindert wird.

Letztes Beispiel: Arbeitslosigkeit.

Von „Reichen“, europaweiten Ungleichheiten und den „19 Millionen Arbeitslosen in der EU“ nichts hören wollen , aber (jetzt der grandiose Jörges) jedes ernsthafte institutionelle Reformvorhaben als ein Anschlag auf die „deutschen Interessen“ abkanzeln: „Was glauben Sie, wie viele Menschen dann in Deutschland arbeitslos wären?!“ Letztlich hat uns Lanz unmissverständlich gezeigt, wie deutsch die deutsche Europa-Debatte in Wirklichkeit ist: Europa? Das sind wir.

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