Marsch durch die Redaktionen

"Armutsmigration“ Die großen Dinge kommen heimlich in die Welt: Durch die Debatte um „Armutsmigration“ wird normal, was vorher unausprechbar war. Die Medien tun dabei das ihrige

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Marsch durch die Redaktionen

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Da ist es also, zur Welt und in den politischen Diskurs gebracht von jener Partei, die sich christlich nennt und sozial und es sich deshalb leisten kann: „Armutsmigration“. Erst in Anführungszeichen gezwängt, dann „sogenannt“, letztlich statistisch aufbebockt, ist der Begriff nach seinem Marsch durch die Redaktionen im Alltagsverstand angekommen. Die Konsequenz: Ein mit Ressentiments überladeners Konzept wird legitimiert, normalisiert und in den Status sozialer Tatbestände erhoben.

Freuen kann sich die NPD und Konsorten über einen neuen Plakatschlager, der das auf den Punkt bringt, was man mit „Ausländer“ immer schon gemeint hat: Eben nicht die „hochqualifizierten Fachkräfte“ oder „gutbetuchten RentnerInnen“ auf der Suche nach einem neuen Altersdomizil, sondern der überflüssige Rest, gegen den sich auch das gesamteuropäische Gemeinschaftsprojekt der geschlossenen Außengrenzen richtet.

Im Kern der sich zwischen Arbeit, Sozialleistungen und Kriminalität aufspannenden Migrationsdebatte stand immer schon die Armut; im Kern hatte der von den Rechtspopulisten in die Parlamente getragene „Ausländerdiskurs“ schon immer eine Klassenkomponente, die nur als Teil der überparteilichen „Verachtung und Stigmatisierung der Armutsbevölkerung“ zu verstehen ist. Jetzt hat also wer gesagt, was vorher gedacht war, und da dieser wer kein niemand ist, wurde es auch geschrieben.

Ein Wunder, dass der Normalisierungstheoretiker Jürgen Link noch kein Wort darüber verloren hat: Angefangen hatte „Armutsmigration“ als Begriff schon in den 90ern, nur dass damit noch aus globaler Perspektive die weltweiten Disparitäten gemeint waren, die sich eben auch in Bewegung setzen, jedenfalls aber behoben werden müssen und nicht abgeschoben. In die bundesdeutsche Debatte geschlichen hat sich der Begriff dann wieder Anfang des letzen Jahres, und die Richtung war klar und nur das Vorspiel zur heutigen Diskussion: „Armutseinwanderung“ ist ein Problem, gegen das "Deutschland" sich schützen muss.

Jetzt heißt das „Wer betrügt, der fliegt!“, und kein mittelständischer Schwarzgeldbunkerer oder familienfreundlicher Kommunalpolitiker, von denen es in Bayern wahrlich genug gäbe, muss sich fürchten. In Acht nehmen sollen sich jene, die in das Sozialparadies Hartz IV einwandern wollen, und die, die schon dort sind: Es sind grad' keine schöne Zeiten, um arm zu sein, außer man ist Papst.

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