Tsipras kleines italienisches Wunder

Europawahlen Die Unterstützung für Alexis Tsipras in Italien wächst, auch die größte Linkspartei hat sich für den Griechen ausgesprochen - aber die Schwierigkeiten beginnen erst.

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  • SEL unterstützt Alexis Tsipras, aber nicht die Partei der Europäischen Linken (EL).
  • In Italien wird es eine "Liste Tsipras" geben, die von Kräften der Zivilgesellschaft getragen wird.
  • Diese soll weder pro- noch anti-europäisch sein, sondern auf eine "neue Ordnung" Europas hinarbeiten.

Bis zum Schluss stand die Frage im Raum: deutscher Sozialdemokrat oder griechischer Sozialist? Erst am letzten Kongresstag sprachen sich die Delegierten der italienischen Linkspartei Sinistra Ecologia Libertá für eine Unterstützung von Alexis Tsipras bei den Europawahlen im Mai aus.

Von beiden Seiten waren Botschaften gekommen.

Martin Schulz erklärte, die EU habe sich zu sehr auf Haushaltsdisziplin und Sparprogramme konzentriert, jetzt brauche es Investitionen und "wirkliche Antworten und Alternativen", die man zusammen angehen müsse. Auch der österreichische Sozialdemokrat Hannes Swoboda gab in einer Videobotschaft seine Empfehlung für Schulz. Auf der anderen Seite sprach sich Alexis Tsipras für einen grundlegenden Wandel und die Einheit linker und zivilgesellschaftlicher Kräfte aus: "Wir müssen alle gemeinsam einen Schritt zurück machen, damit wir viele Schritte vorwärts kommen."

Am Ende sprach sich eine breite Mehrheit für Tsipras aus.

Beziehungsweise für die "Verhandlungen mit allen Kräften, welche die Kandidatur von Tsipras unterstützen", um die Bedingungen für die Europawahlen zu klären. Dennoch bleibt die Haltung der Linkspartei SEL ambivalent: Zwar stellt sie sich hinter den von der Basis gewünschten Tsipras, gleichzeitig will sie es sich aber mit der Demokratischen Partei nicht verscherzen. Deshalb lautet die Parole des Abends auch: "Für Tsipras, aber nicht gegen Schulz." Denn mit der Partei der Europäischen Linken will vor allem die Parteiführung lieber nichts zu tun haben, aus strategischen, aber auch persönlichen Gründen: Deren Gründung war nicht unwesentlich von der Rifondazione Comunista vorangetrieben worden, aus der SEL vor fünf Jahren als Abspaltung hervorgegangen war.

Derweil nimmt die Unterstützung für Tsipras zu.

Der charismatische Grieche kann jetzt auf alle relevanten parteipolitischen Kräfte links von der Demokratischen Partei zählen, vor allem aber Intellektuelle und JournalistInnen haben sich hinter seine Kandidatur gestellt. Und es sind eben nicht nur Personen aus dem Dunstkreis der linker Bewegungen und Parteien, sondern auch solche wie Gustavo Zagrebelsky, Verfassungsrechtler und ehemaliger Präsident des italienischen Verfassungsgerichtes, die sich für ihn aussprechen. "Tsipras hat ein kleines Wunder geschafft, das noch kein italienischer Politiker je erreicht hat.", heißt es auf PolisBlog über die Tatsache, dass er so unterschiedliche Personen an einem Tisch zusammenbringt.

Aber gerade die Breite der Unterstützenden macht die Sache schwierig.

Zumal - und das ist europaweit gewiss einziartig - nicht die Parteien das Sagen haben sollen, sondern ein unabhängiges Komitee der "Zivilgesellschaft" die Sache in die Hand nehmen soll. Bis dahin leitet das PromotorInnenkomitee der "Liste Tsipras" rund um die renommierte italienische Journalistin Barbara Spinelli die Vorbereitungen. Spinelli, Tochter des Kommunisten und EU-"Gründervaters" Alierto Spinelli, strebt dabei die Vereinigung aller "ungehorsamen EuropäerInnen" an, die weder Nein noch bedingungslos Ja zur EU sagen wollen: "Es gibt ein Italien, das in Europa bleiben und es radikal verändern will." Es brauche eine neue Ordnung in Europa, "eine Föderation, in der kein Staat geopfert und mit Ausschluss bedroht wird, wenn er sich nicht dem Fiskalpakt unterwirft".

Jetzt wird es ernst.

Die PromotorInnen wollen etwas bis dato Neues in der (italienischen) Politik schaffen: Ein Bündnis, das auf den Prinzipien der "Parteilosigkeit, Demokratie, Inklusion und des europäischen Föderalismus, der eine radikale Erneuerung der Institutionen der Europäischen Union vorantreiben will", aufbaut. Dabei setzen sie vor allem auf Bewegungen und Kräfte aus der Zivilgesellschaft, nicht nur bei den Vorbereitungen - 150.000 Stimmen müssen gesammelt werden, damit die Liste antreten kann -, sondern auch bei den KandidatInnen: Diese sollen in den letzten 10 Jahren keine Parteifunktionen übernommen haben.

Zunächst aber soll es eine Online-Befragung zur Wahl des Listennamens geben. Spätestens dann sollten die Schwierigkeiten beginnen: Der Spagat zwischen den verschiedenen Interessensgruppen, die selbstverwaltete Organisation, die Einbeziehung der sozialen Bewegungen. Und nicht zuletzt die Wahlen im Mai: Die Chancen auf ein großes Wunder dank Tsipras stehen zumindest nicht schlecht.

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