Von Paten und Partisanen

Fotografie Als einer von nur wenigen Journalisten konnte Andreas Fischer den großen Reportagefotografen Dirk Alvermann auf seinem Bauernhof zum Interview treffen. Ein Protokoll

Als ich jung war, bin ich jeden Tag drei oder vier Stunden mit der Kamera durch die Straßen gelaufen, im dumpfen Düsseldorf, aber auch auf Fürstenhochzeiten oder bei den Bayreuther Festspielen.

Von den dort anwesenden Leuten war ich natürlich nicht so begeistert, es war vorher klar, dass ich diese Gesellschaften ein bisschen komisch finden würde. Ich hatte Glück, dass ich in Bayreuth bei renommierten Leuten wohnen konnte, sonst wäre ich gar nicht rein gekommen ins Festspielhaus, wo der olle Karajan aufgetreten ist, und wo dann auch der Strauß auftauchte. Ich habe ganz auf meine Wahrnehmung vertraut, war neugierig auf das manchmal merkwürdige Leben. Und dass man da jetzt einen sozialkritischen Blick erkennen kann, ist ja nicht meine Schuld – die Welt ist von alleine so, wie sie auf meinen Bildern aussieht. Wenn du 1964 jemanden gesehen hast, der ernsthaft mit dem Monokel im Gesicht herumgelaufen ist, dann musst du das natürlich fotografieren. Ich habe meine Bilder allerdings nie inszeniert. Das habe ich anderen überlassen. Und ich habe nie nach Konzept fotografiert, sondern einfach so.

Von Düsseldorf in die DDR

In den 60er Jahren wurden meine Bücher im Westen nicht gedruckt. Erst war da noch mein Fotoband Keine Experimente beim Frankfurter Verlag Bärmier & Nikel in Planung, die wollten das Buch mit den Bildern zum Grundgesetz eigentlich machen. So eine satirische Sache. Aber die hatten dann ein neues Programm, in das es nicht mehr reinpasste. Damit war das gestorben. Dann hat es der Eulenspiegel-Verlag in der DDR veröffentlicht. Und mein Algerienfilm war schon im WDR angekündigt, dann hat der Rundfunkrat drei Tage vorher mitgeteilt: Der Film wird nicht gebracht. Aus dem Algerienbuch bei Rowohlt ist schließlich auch nichts geworden. So war das eben. Da bin ich dann ganz nach Ostberlin gegangen. Dem Feind in die Arme zu laufen, das war mir damals egal. Ich war etwas Besonderes, lebte im Osten, konnte aber für mehr als 100 Reportagen in den Westen reisen.

Martin Parr hat meinen Algerien-Band entdeckt und fand ihn einfach „marvellous“, wegen des Layouts, der harten Schnitte, der Wiederholungen, und der Montagetechnik – sie habe ihn an den Regisseur Eisenstein erinnert. Das ist ja mein Spaß, wie ihn jeder Filmemacher kennt, der ja auch unheimlich viel Material hat. Du suchst Fotos aus dem Archiv, dann schnippelst du, montierst die Einstellungen und versuchst eben, mit dem Montagerhythmus, aus den Gegenüberstellungen und Assoziationen heraus das auszudrücken, was du sagen möchtest. Es ist bei meinen Büchern im Grunde immer eine assoziative filmische Montage. So entsteht aus dem alten Material immer wieder was Neues.

Mafia, Marx und Gaukler

Und mit meinen bescheidenen Mitteln, sofern man mit Fotografie überhaupt politische Themen angehen kann, habe ich die Fotos aus meinem Archiv als Essay zusammen gestellt. Da sieht man die Mafiabosse aus Neapel an der Börse, daneben gestellt sind Szenen vom Frankfurter Parkett. Es zählt nicht das Einzelbild sondern die Bildfolge. Das Thema DDR ist gegessen. Ich werde mir auf meine alten Tage nicht noch irgendwelche Läuse ins Fell setzen lassen. Was man durchaus offen sagen kann ist, dass die DDR ein gescheiterter Versuch war. Deutschland ist nicht reich an Versuchen. Wir haben zwar auch ein paar Revolutionen gehabt, 1848 und 1918, dann die Münchner Räterepublik. Und da kannst du dann heute hören, was waren die Leute doof, so was Unhaltbares zu erproben – dieses überhebliche Denken ist es, was mich so stört, nachdem hier im Osten alles platt gemacht worden ist.

Wenn man noch vor drei Jahren davon gesprochen hat, man müsste die Großbanken enteignen oder verstaatlichen, da war man ja als Kryptokommunist weg vom Fenster. Es zeichnete sich schon damals ab, dass die Banken in der Finanzkrise nicht anders zu halten sein würden. Jetzt haben wir auch im Westen verstaatlichte Banken, wie damals im Osten.
Was das mit meinen Büchern zu tun hat? Der Arbeitstitel von meinem Band dacapo hieß Abend der Gaukler. Er sollte zeigen, dass die Ideologien der freien Marktwirtschaft sich ad Absurdum führen und nicht etwa der Marxismus oder der olle Marx. Der hatte gar nicht so Unrecht.

Dirk Alvermann wurde 1937 in Düsseldorf geboren. Nach einer abgebrochenen Lehre zum Elektromechaniker brachte er sich selbst das Fotogrfieren bei - und fing an, Menschen oder soziale wie politische Ereignisse festzuhalten. Er reiste nach Algerien und galt als einer der renommiertesten Reportagefotografen der Nachkriegszeit. Mitte der Sechziger siedelte Alvermann in die DDR über.

Im Steidl-Verlag sind mehrere Bände des Fotografen erschienen: streiflichter 1956-65, Algerien sowie Klein-Paris. Zudem zeigt das Düsseldorfer Stadtmuseum noch bis Ende Dezember eine Ausstellung mit Fotoreportagen.

Noch bis 6. Oktober wird in der Galerie argus fotokunst in Berlin die Ausstellung: Dirk Alvermann - Streiflichter 1956-65 gezeigt.

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