„Die Luft ist raus“, sagt ein Nebenkläger-Anwalt über den Münchner NSU-Prozess. Die ständigen Befangenheitsanträge der Angeklagten-Anwälte gegen das Gericht, die sich wiederholenden Entpflichtungsgesuche gegen Beate Zschäpes Altverteidiger-Trio, die zunehmend gereizter werdenden Wortgefechte im Gerichtssaal – „Das sind alles Rückzugsgefechte“, sagte der Anwalt. „Da kommt nix mehr.“ Nach fast drei Jahren Verhandlungsdauer klingt er dabei ganz erleichtert.
Tatsächlich scheint der Münchner NSU-Prozess auf der Zielgeraden zu sein. Daran wird auch der jüngste Todesfall aus dem – in den letzten Jahren immer größer gewordenen – NSU-Umfeld vermutlich nichts ändern: Am 8. Februar war der 31-jährige Sascha W. aus Kraichtal in Baden-Württemberg tot aufgefunden worden. Die Polizei geht von einem Selbstmord aus. Sein Tod geriet in die Schlagzeilen, weil W. der Verlobte von Melissa M. war, die ihrerseits im April 2015, vier Wochen nach ihrer Befragung durch den Stuttgarter NSU-Untersuchungsausschuss, an einer plötzlichen Lungenembolie verstarb. Melissa M. wiederum hatte vor dem Ausschuss erscheinen müssen, weil ihr Ex-Freund der Neonazi-Aussteiger Florian Heilig war, der am 16. September 2013 in seinem Auto auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart verbrannte – kurz bevor er vom Landeskriminalamt zum Thema NSU vernommen werden sollte. Heilig soll einmal behauptet haben, er kenne die Mörder der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter, und diese seien nicht die mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.
Junge Zeugen sterben
Drei junge Menschen, die eine Verbindung miteinander haben und innerhalb von zweieinhalb Jahren sterben – kann das Zufall sein? Ja, denn die Wahrscheinlichkeit, dass die drei Todesfälle Florian Heilig, Melissa M. und Sascha W. mit den Verbrechen des NSU zu tun haben, ist bei sachlicher Betrachtung eher gering. Dennoch passen sie in den sogenannten NSU-Komplex, der längst zur Metapher eines Zwielichts aus Gerüchten, Halbwahrheiten und Fakten geworden ist. Ein Zwielicht, das auch die Vertuscher von BKA bis Verfassungsschutz zu verantworten haben.
In dieses Zwielicht passt auch die späte Aussage der Hauptangeklagten im Münchner NSU-Prozess, Beate Zschäpe. Vier Jahre hatte sie eisern geschwiegen, bevor sie im November mit zwei neuen Verteidigern eine, wie es hieß, „umfassende Aussage“ ankündigte. Herausgekommen ist ein genau kalkuliertes Geständnis, in dem die Hauptangeklagte des Münchner Prozesses der Bundesanwaltschaft auffällig zum Munde redet, um die Ankläger im Hinblick auf eine mögliche Sicherungsverwahrung vielleicht doch noch milde zu stimmen.
Nur zu gern bestätigt Zschäpe insbesondere die nach wie vor umstrittene These der Anklagebehörde von der Alleintäterschaft der beiden Uwes an den NSU-Morden. Überraschend ist dabei vor allem ihr kühler Bruch mit Mundlos und Böhnhardt. Als sich Zschäpe im November 2011 der Polizei stellte, hatte sie noch gesagt, die beiden toten Uwes seien ihre Familie gewesen. Vier Jahre später geriert sie sich als finanziell und emotional abhängiges Opfer der beiden dominanten Männer, denen sie die alleinige Schuld an den Morden gibt.
Insbesondere Böhnhardt, den sie nach eigenen Worten geliebt hat, wird von Zschäpe belastet. Aus ihrer Darstellung und ihren Antworten auf die Nachfragen des Gerichts ergibt sich der Eindruck, dass er der Anführer des Trios war. „Er hat sich während unserer gesamten Zeit niemals einer anderen Person untergeordnet, auch nicht Uwe Mundlos und erst recht nicht mir“, schreibt Zschäpe. Gewalttätig sei er gewesen und ein Waffennarr, sagt sie, ein politischer Aktivist mit einer deutlich ausgeprägteren nationalistischen Einstellung als Mundlos. Böhnhardt sei sehr reizbar gewesen und auch ihr, Zschäpe, gegenüber handgreiflich geworden. Deutlich habe er ihr auch gesagt, dass er ihr nicht hundertprozentig vertraue. Mundlos hingegen beschreibt sie als „nicht so schnell gewaltbereit“, aber „verbal beleidigend und zynisch“. Die „brutalen und gefühlskalten Mordtaten“ der beiden Freunde, von denen sie immer erst im Nachhinein erfahren haben will, verurteile sie. Mit den Raubüberfällen hingegen sei sie einverstanden gewesen, weil diese der Geldbeschaffung gedient hätten.
Hier scheint ganz deutlich Zschäpes Kalkül durch: Bei den 15 Überfällen auf Geldhäuser und Einkaufsmärkte, von denen sie meist auch vorab wusste, sei sie als Mittäterin beteiligt gewesen; bei den Morden und den Bombenanschlägen in Köln jedoch hätten die beiden Männer sie weder in Planung noch in Vorbereitung oder Durchführung einbezogen. Viel Wert legt Zschäpe auch darauf, dass die beiden Uwes ihr gegenüber keine Angaben über die Mordmotive machten. „Bis zum heutigen Tag weiß ich die wahren Motive der beiden nicht“, erklärte sie im Dezember. Nach ihrem gemeinsamen Untertauchen hätten sie kaum noch politische Diskussionen geführt und auch keine Nazirockmusik mehr gehört. Das Trio hatte sich also, wenn man Zschäpe glauben will, mit dem Gang in den Untergrund entpolitisiert.
Folgt das Gericht dieser Darstellung, dann könnte das Anklagekonstrukt der terroristischen Vereinigung kippen. Für eine solche sind mindestens drei Mitglieder vonnöten – wenn Zschäpe aber (wie sie behauptet) an den Taten nicht beteiligt war und auch deren politische Motive nicht kannte, dann fehlt das dritte NSU-Mitglied. Zschäpe müsste dann damit rechnen, als Mitglied einer kriminellen Vereinigung verurteilt zu werden. Eine lebenslängliche Freiheitsstrafe wäre auch hier möglich.
Das Gericht milde stimmen
Möglicherweise glauben Zschäpe und ihre Anwälte, das Gericht milde zu stimmen, indem die Angeklagte vor allem die wackligen Punkte der Anklage als zutreffend bestätigt. Zschäpe erklärte im Dezember, dass ihre Freunde den Überfall in Heilbronn verübt hätten, um an die Polizeiwaffen zu kommen. Später relativiert sie zumindest die angebliche Motivlage: „Ich glaube, dass die beiden mich angelogen haben, was ihre wahren Motive gewesen sind“, schreibt sie.
Oder die ungeklärte Frage, woher sie am 4. November 2011 die Nachricht vom Tod der beiden Uwes in Eisenach erhielt. Zschäpe gibt an, im Radio eine Meldung über zwei Leichen in einem ausgebrannten Wohnmobil gehört zu haben und sofort sicher gewesen zu sein, dass es sich nur um Mundlos und Böhnhardt handeln könne. Sie habe dann umgehend damit begonnen, „den letzten Willen“ der beiden zu exekutieren – die Wohnung in Brand zu setzen und die Umschläge in die Post zu geben.
Aber soll eine vage Radiomeldung allein, deren Existenz bis heute trotz aufwendiger Ermittlungen nicht feststeht, tatsächlich Zschäpe vom Tod ihrer Freunde überzeugt haben? Die Bundesanwaltschaft wird das in ihrem Schlussvortrag sicher gern aufgreifen, um die leidige Frage nach einem weiteren Mitwisser zu umgehen.
Und auch das wird der Bundesanwaltschaft nicht gefallen haben: In ihren Antworten gibt Zschäpe an, sie sei in den vier Tagen ihrer Flucht bis zum 8. November mit der Bahn ziellos durch Nord- und Mitteldeutschland gefahren. Von einem Abstecher nach Nürnberg, sagte sie hingegen nichts. Dort aber wurde ein unfrankierter Umschlag mit dem Bekennervideo in den Briefkasten einer Redaktion gesteckt – was für weitere NSU-Mitwisser spricht.
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