Blick in den Abgrund

Zwickauer Zelle Immer wieder erweitern BKA und Verfassungsschutz die Liste der möglichen Unterstützer der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“. Wie groß war das Netzwerk?
Ausgabe 13/2013

Medien und Öffentlichkeit erschauern ein ums andere Mal angesichts der Dimension dieses rechten Netzwerkes, in das sich die mutmaßlichen Nazi-Mörder der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund"eingesponnen haben.

Erschauern lassen sollte uns aber viel mehr, dass sich die Sicherheitsbehörden dieses Landes offenbar nur sehr zögernd der Realität stellen wollen, wonach die Mordserie der Zwickauer Zelle nicht das alleinige Produkt von zwei oder drei durchgeknallten Neonazis ist. Vielmehr existiert in der rechtsextremen Szene hierzulande ein weitreichendes, über Jahrzehnte gewachsenes soziales und politisches Beziehungsgeflecht. Nur aus einem solchen konnten diese Verbrechen begangen werden. Wir haben es tatsächlich mit einem nationalsozialistischen Untergrund zu tun– und der wird gewiss auch aus mehr als nur den 129 Leuten bestehen.

Seitenlange Namenslisten

Deshalb ist die jetzt aufgetauchte Liste nur ein weiterer Beleg für das Unvermögen der Sicherheitsbehörden. Der Verfassungsschutz etwa hat in den zurückliegenden Jahren akribisch zusammengetragen, wer in der linken und in der islamistischen Szene mit wem zusammen Kaffee oder Tee trinkt. Wenn sich mal wieder ein Rucksack mit ein paar Drähten auf einem Bahnhof findet oder ein anarchistisches Bündnis zum Protest gegen ein Politikertreffen aufruft, dann spucken die Computer in wenigen Minuten seitenlange Namenslisten aus.

Bei einer Nazibande aber, die ein Jahrzehnt raubend und mordend durch das Land zog, fing man erst nach den Toten von Eisenach an, die Szene grundlegend zu analysieren. Die neuen Zahlen lassen vermuten, dass sich den Verfassungsschützern eine Welt geöffnet hat, deren Dimension sie offenbar völlig unterschätzt hatten.

Nur lokale Einblicke

Natürlich gab es auch in den zurückliegenden Jahren hier und da mal Strukturermittlungsverfahren, mit denen Landes- und Bundesbehörden das rechte Geflecht zu entwirren versuchten. Aber eben nur hier und da, was auch nur lokale oder regionale Einblicke erlaubte. Anders als die Behörden jedoch hat die rechte Szene keine föderale Struktur. Nötig wäre es daher gewesen, bundesweit und gemeinsam die rechten Strukturen aufzuklären. Und hierzu auch die Informationen der V-Leute miteinander zu teilen, die im Auftrag von Bundes- und Landesämtern in der Szene spitzelten und Strukturen aufbauten. Dann wäre man gleich in der Lage gewesen, ein vermutlich noch weit umfangreicheres Netzwerk namentlich zu machen, das der Zwickauer Zelle das Morden und Rauben ermöglichte.

Das aber ist nicht geschehen, und zwar nicht nur aus Inkompetenz. Es hat in der Vergangenheit vor allem am grundlegenden politischen Willen gemangelt, den Kampf gegen Rechts konsequent zu führen. Warum das unter Schwarz-Gelb und Rot-Grün so war – trotz des mörderischen rechten Terrors der achtziger Jahre. Warum man sich stattdessen und bis heute an der NPD abarbeitet und den nationalsozialistischen Untergrund in diesem Land weitgehend ignorierte – das ist die zentrale Frage, die sich aus den neuen Erkenntnissen ergibt. Und die Antwort darauf beschreibt die Mitschuld des deutschen Staates an den Morden des NSU.

Andreas Förster ist freier Journalist und Experte für Rechtsextremismus

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