Brüder im Geiste

Rechtsterrorismus Dem neuen Rechtsterrorismus ist so schwer beizukommen, weil er sich ohne Zentrale und ohne Hierarchien anonym im Netz formiert
Ausgabe 12/2019

Sein Angriff sei eine „Partisanenaktion gegen eine Besatzungsmacht“, er tue es für die „weiße Rasse“, die durch Zuwanderung „ausgetauscht“ werden solle, schrieb der Attentäter in seinem Manifest. Dann schnappte er sich ein Sturmgewehr, stieg in sein Auto und fuhr in zwei Moscheen in Christchurch, um dort Kinder, Frauen und Männer zu töten. Live ins Internet übertragen von seiner Bodycam. Unter dem Jubel seiner Brüder im Geiste im Onlineforum 8chan. „Vergiss nie, dass wir uns für immer an dich erinnern werden. Du bist eine Inspiration für uns alle“, schrieb ein Nutzer. Und ein anderer blickte schon voraus: „Als Nächstes brauchen wir einen Franzosen, der sein Volk erlöst.“

Der 28-jährige Australier ist ein Einzeltäter. Darauf deuten bislang alle Ermittlungen hin. Gleichzeitig ist er Teil eines globalen rechtsextremen Netzwerks, das keiner Hierarchien und Befehlsgewalten bedarf. Weil sich dieses Netzwerk im Internet austauscht, aufhetzt, radikalisiert. In rassistischen Foren wie 8chan wird jede Gewalttat gegen ethnische Minderheiten, gegen Linke und Homosexuelle gefeiert. In diesen Foren geht es darum, Verschwörungstheorien auszutauschen, eine gemeinsame Ideologie zu propagieren, einen gemeinsamen Willen herauszubilden. Alles mit dem Ziel, Vollstrecker zu inspirieren. Seien es lone wolves wie Tarrant, Anders Breivik oder David Sonboly, der im Münchner Olympia-Einkaufszentrum aus rassistischen Gründen neun Menschen erschoss. Oder Terrorzellen wie „Revolution Chemnitz“ und „Gruppe Freital“, die sich mit ihrem Kampf gegen „Überfremdung“ einem vermeintlichen Volkswillen verpflichtet sehen.

Dieses Netzwerk ist der eigentliche „NSU 2.0“, weil es sich in der Anonymität des virtuellen Raums dem staatlichen Verfolgungsdruck weitgehend entziehen kann. Gleichwohl braucht es die sichtbar agierenden Neonazi-Strukturen, aus denen es Kraft und Inspiration saugt. Auch der Attentäter von Christchurch dürfte die Aktionen von Australiens rechtsextremer Szene aufmerksam verfolgen und sich ihr verbunden fühlen. Obwohl es bisher keine Informationen darüber gibt, dass Tarrant Mitglied einer konkreten Gruppierung ist oder mit Gesinnungsfreunden im Ausland engeren Umgang pflegte.

Seit Jahrzehnten existiert in Australien eine stetig wachsende rechtsextreme Szene, die enge Verbindungen vor allem in die USA, nach Großbritannien und Skandinavien, aber auch nach Deutschland unterhält. Im Zentrum steht dabei der australische Ableger der Hammerskins, die 1987 in den USA gegründet wurden. Sie haben in rund einem Dutzend Länder eigenständig operierende Niederlassungen, auch in Deutschland. Sie bekennen sich zum bewaffneten Kampf gegen den Staat, ihr Vorbild ist die SS, und sie haben viel Erfahrung beim Aufbau von Untergrundnetzen sowie bei der Beschaffung von Waffen und Sprengstoff. In den letzten Jahren waren australische Hammerskins mehrmals in Deutschland zu Besuch.

Daneben hat sich 2016 in Melbourne eine weitere radikale Neonazi-Gruppe gegründet. Sie nennt sich „Antipodean Resistance“ und posiert im Internet mit Hakenkreuzfahne, Hitlergruß und dem SS-Symbol der Schwarzen Sonne. Die anonym agierende Gruppe propagiert die Überlegenheit der „weißen Rasse“ und ruft zur Ermordung und Vertreibung von Juden, Homosexuellen und Einwanderern auf. Der aus geschätzt 300 Mitgliedern bestehenden bewaffneten Gruppe wurden bisher jedoch keine gewalttätigen Aktionen zugeordnet.

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