Eine Premiere wird es an diesem Donnerstag im Bundestag geben, wenn auch keine auf öffentlicher Bühne: Erstmals wird mit Michael Doleisch von Dolsperg ein ausgewiesener Neonazi und V-Mann des Verfassungsschutzes in einem Untersuchungsausschuss des Parlaments als Zeuge befragt werden. Der aus Thüringen stammende Dolsperg, der unter dem Decknamen „Tarif“ zwischen 1995 und 2001 für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die militant-rechte Szene unterwanderte und mitsteuerte, lebt mittlerweile in Schweden. Nach seinen Worten will er schon vor Jahren sowohl mit seiner einstigen rechten Gesinnung als auch mit dem Geheimdienst gebrochen haben. Das kann man glauben, muss man aber nicht. Die – durchaus berechtigten – Restzweifel genügen der Ausschussmehrheit als offizielle Begründung dafür, Dolspergs Anhörung in eine nicht öffentliche Sitzung zu verlegen. Schließlich möchte man einem Neonazi, auch wenn er nun ein Ex-Nazi sein will, keine Bühne für mögliche rassistische Ausfälle bieten, heißt es.
Dolsperg, der damals noch Michael See hieß, war in den 1990er Jahren einer der führenden Neonazis in Thüringen. Anfangs leitete er die Neonazi-Kameradschaft Leinefelde und deren Wehrsportgruppe. Außerdem unterhielt er vielfältige Kontakte zu rechtsterroristischen Gruppierungen wie „Combat 18“. Nach seiner Heirat änderte er den Namen und lebte als Michael Doleisch von Dolsperg in Niedersachsen. 2001 kandidierte er für die NPD bei den niedersächsischen Kommunalwahlen. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits mehrfach vorbestraft. So wurde er nach einer Prügelattacke im November 1991 wegen Körperverletzung zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Das Opfer leidet noch heute unter den Folgen der Gewalt, der Mann ist körperbehindert und berufsunfähig. Dolsperg selbst wollte nach eigenen Angaben 1994/95 aus der rechten Szene aussteigen und bat das BfV um Hilfe. Der Verfassungsschutz habe ihn jedoch gedrängt, als V-Mann über die Neonaziszene aufzuklären, so Dolsperg.
Tatsächlich wurde er in den anschließenden Jahren einer der wichtigsten V-Leute des BfV. Laut einer internen BfV-Liste kassierte Dolsperg als V-Mann „Tarif“ zwischen 1995 und 2001 insgesamt mindestens 66.000 D-Mark. In dieser Zeit publizierte er auch die rassistische Nazi-Postille „Sonnenbanner“. Ein Exemplar wurde in der 1998 in Jena ausgehobenen Bombenwerkstatt des Trios Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gefunden. In Artikeln des „Sonnenbanner“ wird unter anderem das Konzept autonomer Kämpferzellen propagiert, die im Untergrund das demokratische System bekämpfen. Damit habe er eine theoretische Blaupause des NSU-Modells geliefert, wie selbst das BfV 2012 in einer Analyse für das Bundeskriminalamt feststellte.
In den letzten Jahren hat Dolsperg wiederholt öffentlich behauptet, sein Verbindungsführer vom BfV habe regelmäßig die „Sonnenbanner“-Artikel vor Drucklegung redigiert. Außerdem habe er das Heft mit Geld finanziert, das unter anderem vom BfV stammte. Das Kölner Bundesamt hat dies stets dementiert. Dolsperg behauptete in einer Vernehmung durch das BKA 2014 zudem, im Jahre 1998, kurz nach dem Abtauchen des Trios, einen wichtigen Hinweis an das BfV weitergegeben zu haben, ohne dass dieser weiterverfolgt wurde. Ein befreundeter Jenaer Neonazi habe ihn um Hilfe bei der Suche nach einem Unterschlupf für die untergetauchten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gebeten. Dolsperg will damals sofort seinen Verbindungsführer „Alex“ vom BfV angerufen und über die Anfrage informiert haben. Der habe ihn aber nach Rücksprache mit seinen Vorgesetzten zurückgepfiffen und gesagt, um diesen Vorgang würden sich „schon andere kümmern“.
Auch diese Aussage Dolspergs bestreitet das Bundesamt und verweist auf die Aktenlage. Die ist allerdings im Fall von „Tarif“ undurchsichtig. So gehört die Akte des V-Manns zu den Spitzelunterlagen aus der Thüringer Naziszene, die wenige Tage nach dem Auffliegen des NSU im November 2011 im BfV vernichtet wurden. Angeblich aus Datenschutzgründen, und weil sie keine inhaltliche Verbindung zum NSU aufwiesen. Drei Jahre später jedoch tauchten die V-Mann-Berichte von „Tarif“ plötzlich wieder auf im BfV-Archiv. In diesen Akten jedoch sollen sich weder Hinweise auf die verlegerische Assistenz des Verfassungsschutzes beim „Sonnenbanner“ noch auf den angeblichen Hinweis Dolspergs auf das Trio von 1998 befinden. So behauptet es jedenfalls das BfV. Und auch der NSU-Untersuchungsausschuss, dem inzwischen die auf so wundersame Weise wiedergefundenen Akten vorliegen, konnte dies nicht widerlegen. Wobei nicht auszuschließen ist, dass die „Tarif“-Akte vom BfV manipuliert wurde – so sind die darin befindlichen Dokumente nicht paginiert, das heißt, ob Berichte entfernt wurden oder nicht, lässt sich im Nachhinein nicht mehr feststellen.
Am Donnerstag wird also Aussage gegen Aussage stehen. Denn nach der Befragung Dolspergs im Untersuchungsausschuss werden sich BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen und sein über die NSU-Affäre gestürzter Amtsvorgänger Heinz Fromm vor dem Gremium rechtfertigen müssen. Sie sollen erneut erklären, warum ihr Dienst die vielen Hinweise auf die Existenz des NSU erst angeblich übersehen und dann, als die Mörderbande aufgeflogen war, die eigene Mitwisserschaft vertuscht und verheimlicht hat. Der Fall Dolsperg alias „Tarif“ wird bei der Befragung der beiden Geheimdienstchefs eine zentrale Rolle spielen. Schon jetzt ist klar, dass am Ende die Frage unbeantwortet im Raum stehen wird: Wem kann man in der Affäre mehr glauben – dem ehemaligen Nazi und Ex-V-Mann oder den Chefs des Verfassungsschutzes?
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