Die Gefahr war bekannt

Staat Nicht erst seit Hanau steht Behörden und Politik das Ausmaß rechten Terrors klar vor Augen
Ausgabe 09/2020

Nach dem rechtsterroristischen Mordanschlag von Hanau gibt es kaum Rufe nach Gesetzesverschärfungen, erweiterten Befugnissen und Personalaufstockung für Polizei und Verfassungsschutz. Innenminister Horst Seehofer (CSU) kündigt stattdessen vor allem einen besseren Schutz von Moscheen an – was längst überfällig ist. Drei rechtsterroristische Mordanschläge mit zwölf Toten in acht Monaten und die Zerschlagung der Gruppe S., die mit Anschlägen auf Moscheen und Muslime einen Bürgerkrieg anzetteln wollte, zwangen Seehofer einräumen, dass es derzeit „eine sehr hohe Bedrohungslage von rechts“ gebe. Zugleich wies er den Vorwurf zurück, der Kampf gegen rechts sei in der Vergangenheit vernachlässigt worden. Tatsächlich aber sind Bundesregierung und Sicherheitsbehörden erst nach dem Mord an CDU-Politiker Walter Lübcke im Juni 2019 aufgewacht.

Dabei gibt es Anzeichen für eine zunehmende rechte Terrorgefahr seit mindestens fünf Jahren: Erinnert sei an die Messerattacken auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (2015) und den Bürgermeister Altenas im Sauerland, Andreas Hollstein (2017), die beide nur durch Notoperationen überlebten; an die drei seit 2015 von den Behörden zerschlagenen Terrorgruppen Oldschool Society, Gruppe Freital und Revolution Chemnitz; an den rassistischen Terror- anschlag im Olympia-Einkaufszentrum Münchens vom 22. Juli 2016, dem neun Migranten zum Opfer fielen; an die Welle von Brandanschlägen auf Asylheime und Gewaltangriffen auf Flüchtlinge 2015 und 2016; an die Festnahme des Bundeswehroffiziers Franco A. im April 2017, der sich als syrischer Flüchtling ausgab und plante, mit einem vermeintlich islamistisch motivierten Terroranschlag Unruhen zu provozieren; an Franco A.s Verbindungen zum von Spezialkämpfern, Soldaten und Polizisten gegründeten Verein Uniter, der seine Mitglieder für den Fall eines politischen Umsturzes trainiert; an die von den Behörden 2017 ausgehobenen rechten Nordkreuz-Prepper, die Waffen und Sprengstoff horteten; an Morddrohungen gegen Claudia Roth und Cem Özdemir durch deutsche Anhänger der US-Gruppe Atomwaffen Division 2019; an die bereits 2012 reaktivierte Terrororganisation Combat 18, deren deutsche Sektion erst jüngst verboten wurde; an die 2019 bekannt gewordenen rechtsextremen Netzwerke in der hessischen Polizei; an den Mordanschlag auf den eritreischen Flüchtling Bilal M. im hessischen Wächtersbach im Juli 2019 durch einen Rechten. Das sträflich lange Negieren neonazistischer Terrorgefahr in Deutschland ist auch einem Verfassungsschutz zuzuschreiben, in dem ein rechtslastiger Präsident wie Hans-Georg Maaßen jahrelang amtieren konnte.

Zurecht fordern die Grünen in ihrem „Sofortprogramm für eine sichere Gesellschaft“ eine kritische Aufarbeitung der Ära Maaßen. Dem Geheimdienst soll außerdem in Zukunft ein politisch unabhängiges „Institut zum Schutz der Verfassung“ zur Seite gestellt werden, um die Expertise aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft „dauerhaft in die Analysen des Verfassungsschutzes einfließen“ zu lassen. Zudem soll die Bundesregierung in einem Krisenstab „relevante Akteure aus Regierung, Parlament, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammenbringen“, um gegen einen „völlig enthemmten Rechtsextremismus“ durchzugreifen. Das ergibt ebenso Sinn wie die Forderung der Linkspartei nach einer konsequenten Entwaffnung von Nazi-Strukturen. Die wäre effektiver als eine Sicherheitsüberprüfung von Einzelpersonen vor Erteilen einer Waffenerlaubnis. Die Behörden müssten dafür aber den Fahndungsdruck auf die rechte Szene weiter verstärken.

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