Die Spionin

Porträt Astrid O. engagierte sich in der Anarcho-Szene der Roten Flora – im Auftrag der Hamburger Polizei
Ausgabe 21/2016

Astrid O. ist 34 Jahre alt, aber sie hat schon zwei Leben gelebt. Ihr erstes – das richtige Leben – begann im November 1981 im schleswig-holsteinischen Garding. Nach Grundschule und Gymnasium begann sie an der Fachhochschule für Verwaltung eine Ausbildung für den gehobenen Polizeidienst. Dann arbeitete sie für das Landeskriminalamt in Hamburg.

Das zweite, das geheime Leben der Astrid O. begann Ende 2006 im linken Szenecafé Flop in Hamburg-Bergedorf. Dort stellte sie sich unter dem Namen „Astrid Schütt“ vor. Sie machte sich drei Jahre jünger, ließ sich in einem Afroshop Dreadlocks drehen und besuchte die Zusammenkünfte im „Antifa-Café“. In Diskussionen kündigte sie an, sich in die Antifa-Arbeit einbringen zu wollen. Was sie nicht sagte – dass sie das Hamburger LKA geschickt hatte, um als Verdeckte Ermittlerin die linke Szene der Hansestadt zu unterwandern. Sie spionierte insbesondere das Umfeld der Roten Flora aus, das Zentrum der Hamburger Subkultur- und Anarchoszene.

Vergangene Woche ist das Doppelleben der Astrid O. aufgeflogen. In einem im Internet veröffentlichen Recherchebericht aus dem Flora-Umfeld wurde enthüllt, dass „Astrid Schütt“ von Ende 2006 bis April 2013 für das LKA Antifa-Gruppen ausspähte. Sie suchte die Nähe der Ultra-Szene des FC St. Pauli, engagierte sich bei der Vorbereitung von Demonstrationen, Protestaktionen und einer Hausbesetzung. Die Undercover-Beamtin sei „zum festen Bestandteil des Projektalltags“ geworden, heißt es in dem Bericht. Sie habe „sich ihre Glaubwürdigkeit langfristig über Jahre erarbeitet und (ist) tief in unsere Strukturen eingetaucht“.

Die anonymen Rechercheure sind sich sicher, dass „Astrid Schütt“ als Nachfolgerin von „Iris Schneider“ im Einsatz war, die von 2001 bis 2006 für die Hamburger Polizei die Flora-Szene unterwandert hatte. Deren Fall war im November 2014 bekannt geworden. Eine andere Polizeibeamtin operierte zwischen 2008 und 2012 unter dem Decknamen „Maria Block“. „Schütt“ und „Block“ hätten ähnliche Politikfelder beackert und gemeinsam an Aktionen teilgenommen, heißt es in dem Bericht.

Vergleicht man die drei Fälle, tauchen durchaus Parallelen in den erdachten Lebensläufen der drei Spioninnen auf. Wie die anderen beiden lebte auch „Astrid Schütt“ allein. Mit ihrem Rauhaardackel Spike bewohnte sie ein Ein-Zimmer-Apartment in einem anonymen Wohnhaus in Altona. Über ihre Familie erzählte sie – auch dies ist eine Parallele zu „Schneider“ und „Block“ – ihren neuen Freunden, dass sie keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern habe. Nach ihrer Arbeit befragt, habe sie angegeben, in einer Werbeagentur angestellt zu sein, und zwar als Location-Scout, der von Zeit zu Zeit in Deutschland herumreisen müsse. Eine Legende, die der Beamtin Abwesenheiten unterschiedlicher Dauer erlaubte – schließlich musste sie ihren behördlichen Jahresurlaub in Anspruch nehmen, damit ihre Vorgesetzten die deutsche Verwaltungsvorschrift einhalten.

So ganz reibungslos aber lief der Undercover-Einsatz bei „Astrid Schütt“– wie auch schon bei „Iris Schneider“ – zunächst nicht. Bereits 2007 gab es ein erstes Misstrauen in der Szene: „Schütt“ stelle auffallend viele Fragen, merkten einige ihrer neuen Bekannten an, und sie sei in den Antifa-Gruppen rund um das Altonaer Jugendcafé Mafalda mit Abstand die Älteste. Außerdem hatten einige Besucher in ihrer Wohnung einen Tonfa gesehen, einen Nahkampfstock, wie ihn die Einsatzpolizei benutzt. Der Verdacht zerstreute sich.

2009 verstärkte „Astrid Schütt“ ihre Aktivitäten. Sie beteiligte sich an den Protesten gegen den Klimagipfel in Kopenhagen und bereitete die Besetzung des „Jesus Center“ während des Schanzenfestes mit vor. In Plena und Vernetzungsveranstaltungen wie dem Flora-Plenum und der Autonomen Vollversammlung Hamburg diskutierte sie engagiert mit. Auffallend bereitwillig übernahm sie dabei das Protokollieren, wofür sie sich – angeblich wegen ihres schlechten Gedächtnisses – viele Notizen in der Diskussion machte. Sie verwahrte Schlüssel für Szenetreffs wie die Rote Flora oder Schwarze Katze und kannte die Zugangsdaten für interne Blogs.

Ende 2009 gehörte sie zu den Gründern der Politgruppe Nella Faccia. Den aus dem Italienischen stammenden Name der Gruppe, zu deutsch: „Ins Gesicht“, hatte sie als erklärte Italien-Liebhaberin selbst ausgewählt. Die heute nicht mehr bestehende Gruppe war vor allem in der Antifa- und Antirepressionsarbeit aktiv. Ab Ende 2010 beteiligte sich „Astrid Schütt“ auch engagiert an Militanzdebatten in der Szene – auf Seiten der Befürworter eines militanten Vorgehens gegen den Staat.

Als 2012 erneut Verdächtigungen gegen ihre Person laut wurden, begann sich „Astrid Schütt“ mehr und mehr aus der politischen Arbeit zurückzuziehen. Sie gab schließlich an, zu ihrem Freund nach Italien ziehen zu wollen. Im Frühjahr 2013 brach sie ihre Zelte in Hamburg ab und verschwand – übrigens tatsächlich nach Italien, wo sie zwei Freunde später besuchten.

Erst ein halbes Jahr später kehrte sie klammheimlich nach Hamburg zurück. Nun war sie wieder Astrid O. und ganz offiziell Polizeibeamtin im LKA.

Aber auch dieses, ihr richtiges Leben, ist nun zu Ende. Nachdem vergangene Woche im Internet ihr Foto mit Klarnamen und die aktuelle Wohnanschrift veröffentlicht worden sind, muss sich die Hamburger Polizeibehörde nun um ein Schutzprogramm für ihre Beamtin bemühen. Neue Adresse und womöglich auch ein anderer Name mit neuem Lebenslauf inklusive. Das dritte Leben der Astrid O. hat bereits begonnen.

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