Die Versammlungsfreiheit „konkretisieren“

Demonstrationsrecht Nach G20 und dem Nazifestival in Themar wollen Politiker unsere Grundrechte einschränken. Warum sollten wir von wenigen Extremisten die Demokratie kaputtmachen lassen?
Ausgabe 29/2017

Zum üblichen Politiker-Reflex auf Ereignisse, die aus dem Ruder laufen oder zumindest der öffentlichen Meinung missfallen, gehört der Ruf nach schärferen Gesetzen und Vorschriften. Sehr gern zielen diese Reflexe auf Grundrechte. Immer wieder geht es dabei auch um die Versammlungsfreiheit, die Politiker „konkretisieren“ wollen, sprich: einschränken. Gerade erst, nach den G20-Protesten in Hamburg, war die linke Szene im Visier; nach dem bundesweit größten Nazi-Rockkonzert im thüringischen Themar will man nun den Rechtsextremisten ans Grundrecht. Das klingt massenwirksam – ist aber nicht durchsetzbar. Zum Glück: Warum sollen wir uns wegen einer kleinen Gruppe Extremisten die Demokratie kaputtmachen lassen?

Das Bundesverfassungsgericht hat den Versammlungsbegriff im Artikel 8 der Verfassung so definiert: „eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung“. Laut Karlruhe gilt das auch für Musik und Tanz – sofern damit die kommunikativen Zwecke der Veranstaltung durchgesetzt werden.

Nichts anderes, das muss man – leider! – so anerkennen, hat das Nazifestival in Themar getan. „Rock gegen Überfremdung“ lautete das politische Motto der Veranstaltung. „Thüringen bleibt deutsch“ und andere fremdenfeindliche Slogans hingen an den Zäunen des Festivalgeländes; zwischen den Auftritten hämmerte ein halbes Dutzend Redner den 6.000 Zuschauern rassistische Ideologie in die Hirne. Die Nazi-Bands taten es ihnen mit Songtexten gleich. Das mag alles schwer hinzunehmen sein, aber es ist zulässig und einer Versammlung angemessen – jedenfalls solange es Bands und Redner verstehen, die vom Gesetz gezogene Grenze der Meinungsfreiheit einzuhalten. Im rechten Lager – so erkannte es zum Beispiel der Mannheimer Verwal-tungsgerichtshof an – wird nicht nur mit Reden, sondern auch mit Songtexten das Politprogramm der Szene vermittelt.

Was kann man also tun, wenn man Nazis Versammlungen wie das Rockfestival in Themar nicht versagen kann? Und wenn man nicht gleich das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit im Allgemeinen einschränken will? Dann kann man Nazis wenigstens ihre Aufzüge vermiesen. Dazu bedarf es keiner neuen Gesetze, sondern bloß strenger Auflagen. Etwa, dass das Öffentlichkeitsgebot gewährleistet sein muss. Das bedeutet, dass der Veranstalter Journalisten, Parlamentariern und interessierten Bürgern einen Zugang gewährleisten muss – ungehindert. Das war in Themar wegen der aggressiven Stimmung der Rechten nicht möglich, wie die Polizei zugeben musste. Aber warum hat man dann nicht den Veranstalter in die Pflicht genommen? Der hätte es hinnehmen müssen, wenn nach den ersten Straftaten wie dem Zeigen des Hitlergrußes die Beamten damit begonnen hätten, die gesamte Veranstaltung zu filmen. Grundsätzlich ist das unzulässig, aber wenn es Straftaten gibt oder damit zu rechnen ist, dann darf die Polizei das. In Hamburg hat sie es getan. Warum nicht in Themar?

Es fällt auf, dass die Polizei, wenn es um die Ahndung von Straftaten und die Abwehr von Gefahrenlagen geht, bei den Hamburger G20-Protesten weniger Zurückhaltung an den Tag legte als bei dem Nazifestival in Thüringen. Über die Gründe dafür sollten Politiker und Öffentlichkeit debattieren. Das ist wichtiger, als schärfere Gesetze und Grundrechtseinschränkungen zu erwägen.

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