Ein Kopf für den Minister

Porträt Manfred Schmidt war die vergangenen Jahre der oberste Asylbeamte Deutschlands. Jetzt ist er zurückgetreten
Ausgabe 38/2015
Manfred Schmidt diente sich im Ministerium des Innern hoch, bis ihn Thomas de Maizière an die Spitze des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge setzte
Manfred Schmidt diente sich im Ministerium des Innern hoch, bis ihn Thomas de Maizière an die Spitze des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge setzte

Foto: epd/imago

Jede Krise fordert Opfer. Weil Regierungen und Parteien nur allzu gern bereit sind, der Öffentlichkeit Schuldige für Missstände zu präsentieren, um so einer Debatte über systemisches Versagen auszuweichen. So gesehen hätten Manfred Schmidt schwierige Tage bevorgestanden – wäre er nicht am heutigen Mittwoch zurückgetreten. Als Erklärung gab er an, es handele sich um persönliche Gründe.

Schmidt war seit 2010 Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, abgekürzt BAMF. Die Behörde ist für die Bearbeitung der Asylanträge zuständig, es entscheidet also darüber, wer in Deutschland bleiben darf und wer abgeschoben werden muss. Mit dieser Arbeit aber ist das BAMF derzeit hoffnungslos überlastet: Im August stapelten sich dort rund 250.000 unbearbeitete Anträge, Woche für Woche kommen Zehntausende neue hinzu. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr entschied das Bundesamt knapp 120.000 Asylanträge, noch im Juli lagen 12.000 Anträge aus dem Jahr 2013 unbearbeitet auf den Schreibtischen. Der Grund dafür ist vor allem eine zu dünne Personaldecke. Zwar wurde die Zahl der sogenannten Entscheider im Amt in den letzten Wochen deutlich aufgestockt. Doch von den 9.000 Bearbeitern, die laut Schmidt nötig seien, um die Antragsflut zu bewältigen, ist das BAMF noch weit entfernt.

Dennoch schießen sich Politiker aller Parteien aus Bund und Ländern derzeit gerade auf die Nürnberger Behörde ein. Überforderung warfen sie Schmidt und seinen Leuten vor, das BAMF entpuppe sich als Nadelöhr bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise.

Schmidt, Jahrgang 1959, ist ein erfahrener Verwaltungsbeamter, der viele Jahre im Bundesinnenministerium seinen Dienst tat. Dort schaffte es der studierte und promovierte Jurist vom Referenten in der Abteilung Verwaltungsorganisation bis zum Chef der Zentralabteilung. Zuletzt war er im Ministerium Abteilungsleiter für Krisenmanagement und Bevölkerungsschutz, bevor ihn sein Chef Thomas de Maizière an die BAMF-Spitze setzte.

Schmidt ist also ein erfahrener Krisenmanager. Er weiß, wie man auf die aktuellen Vorwürfe gegen sein Amt reagieren musste – nämlich auf keinen Fall mit Schuldzuweisungen. So etwas würde nur seinen obersten Dienstherrn de Maizière in die Bredouille bringen, der dann aus Selbstschutz den Daumen über Schmidt senken müsste.

Und so wird der BAMF-Chef eben nicht sagen, dass er schon früh auf personelle Aufstockung seines Amts gedrungen hat, sich damit aber beim Innenminister nicht durchsetzen konnte. Er wird auch verschweigen, dass er schon vor zwei Jahren vom Minister zurückgepfiffen wurde, als er eine Gesetz ins Gespräch brachte, das Asyl und Arbeitsmigration zusammenführt. Schmidts Idee war damals, Einwanderungsanträge bereits vor einem Asylverfahren zu klären, indem die Behörden prüfen, ob ein Flüchtling auch als Arbeitsmigrant akzeptiert werden kann. Anders ausgedrückt: ein Einwanderungsgesetz.

Danach war der 56-Jährige längst wieder auf Linie eingeschwenkt und präsentiert sich als Sprecher seines Herrn. Ein Einwanderungsgesetz für Deutschland? Nicht nötig, so Schmidt. Weitere Balkanstaaten als sichere Herkunftsländer einstufen? Unbedingt, meinte der BAMF-Chef, weil nur so die Bearbeitung von Asylanträgen beschleunigt werden kann. Sachleistungen statt Geldzuwendungen für Antragsteller? Überfällig, sagte Schmidt, weil dies Einwohnern aus Balkanstaaten ein wesentliches Motiv für ihre Reise nach Deutschland nehmen würde. Wiedereinreisesperre für abgelehnte Asylbewerber? Der BAMF-Chef forderte auch das.

Dabei betonen Fachpolitiker und Journalisten, die mit Schmidt zu tun hatten, stets, dass der Bundesamtschef kein Hardliner sei und im Gespräch auch nicht ideologisch argumentiere. Als vernünftig und abwägend schildern sie ihn. Tatsächlich hatte Schmidt das Bundesamt in den vergangenen Jahren flexibler und transparenter gemacht, seinen Ruf als Bundesverhinderungsamt hat das BAMF unter ihm verloren. Und er war kein Behördenleiter wie seine Vorgänger, die sich lieber versteckten. Schmidt will und sollte kein unpolitischer Verwalter sein, sondern einer, der sich in aktuelle Debatten einmischt – ohne allerdings der Bundesregierung mit seinen Ideen in die Quere zu kommen. Das tat er aber auch nicht, als er forderte, dass Deutschland besonders in den Balkanländern mehr über legale Zuwanderungsmöglichkeiten informieren solle, um so qualifizierte Arbeitskräfte gezielt anzusprechen. Statt ihr Geld den Schleppern zu zahlen, könnten sie es viel besser in die Arbeitsplatzsuche hierzulande investieren, argumentierte Schmidt. Dass ein solcher „BrainDrain“ von gerade jungen, gut ausgebildeten Fachkräften aber verheerende Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Heimatländer hat und das Flüchtlingsproblem perspektivisch eher verstärken dürfte, verschwieg er – ganz im Sinne seines Dienstherrn.

Dennoch wäre es falsch, ihn als Technokraten abzutun. Schmidt ist Ende der 1950er Jahre in eine westdeutsche Gesellschaft hineingeboren worden, die stark von Flüchtlingen geprägt war. Auch seine Mutter war ein Kriegsflüchtling, aus Polen kam sie erst nach Berlin, dann nach Frankfurt am Main. Über ihre Erlebnisse auf der Flucht und ihre Gefühle beim Einleben in die neue, fremde Heimat habe sie nie wirklich gesprochen, sagte Schmidt einmal. Vielleicht sorgt dieser familiäre Hintergrund dafür, dass Schmidt immer wieder für Verständnis für die Flüchtlinge warb. So hat er etwa wiederholt erklärt, dass es keine flächendeckende Zuwanderung in die Sozialsysteme gebe. Auch forderte er Bürger auf, den Kontakt zu Flüchtlingen zu suchen, weil das helfe, Vorurteile abzubauen. Nun wird das Amt neu besetzt werden. Der Nachfolger von Schmidt wird keine einfache Aufgabe haben. Auch er wird letztlich daran gemessen werden, wie schnell sich das Bundesamt in den kommenden Wochen auf die Bewältigung der Flüchtlingskrise einzustellen vermag.

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