Eine saftige Ohrfeige

Geheimdienst Der BND ließ die Computer eigener Mitarbeiter filzen – illegal, wie das Bundesverwaltungsgericht feststellte. Der Befehl dafür kam wohl direkt aus der Chefetage

Dass der Bundesnachrichtendienst lange Jahre relativ freizügig ausländische Computernetzwerke und Privat-PCs hackte, ist seit 2009 aktenkundig. Eine interne Untersuchung des Kanzleramtes förderte damals zutage, dass der Dienst bis dahin weltweit mehr als 2.500 Hackerangriffe – auch gegen deutsche Staatsbürger – gestartet hatte. Die Aufregung war groß.

Jetzt wird bekannt, dass der Dienst auch intern die Vorschriften für Computerrazzien nicht immer eingehalten hat. Es geht um den Fall eines BND-Referatsleiters, dessen Dienstcomputer von der eigenen Behörde heimlich durchsucht wurde. Der Befehl dafür kam wohl direkt aus der Chefetage des Dienstes.

Der Vorgang beschäftigte fast vier Jahre lang Gerichte, Staatsanwaltschaften und Rechtsanwälte. Die Kosten, die aus dem steuerfinanzierten BND-Haushalt beglichen werden, belaufen sich auf Zigtausende Euro. Neben dem finanziellen Verlust sorgt die Affäre aber auch für einen neuerlichen Imageschaden der von Pannen und Skandalen gebeutelten Behörde. Es wird sich zeigen, wie der neue BND-Präsident Gerhard Schindler mit diesem unseligen Erbe seines Amtsvorgängers Ernst Uhrlau umgeht. Und ob er aus der Computer-Affäre die richtigen Schlüsse für den künftigen Umgang seines Hauses mit Daten- und Persönlichkeitsschutz zieht.

Die Geschichte beginnt im Januar 2008. Der BND-Beamte Michael S., Referatsleiter für Terrorismusabwehr und Organisierte Kriminalität (OK), informiert die Behördenleitung, dass er einen Aufsatz über die Rolle von Nachrichtendiensten bei der OK-Bekämpfung in der Zeitschrift für Rechtspolitik veröffentlichen werde. S., ein in deutschen und internationalen Sicherheitskreisen angesehener Fachmann auf seinem Gebiet, ist zuvor von der Dienstspitze wiederholt mit Vorträgen und Aufsätzen etwa über rechtliche Fragen der Kooperation von Polizei und Nachrichtendiensten beauftragt worden.

Diesmal aber, im Januar 2008, führt die Anmeldung des Aufsatzes zu Gesprächen zwischen Dr. R., einem leitenden Mitarbeiter des Personalreferats, und einem Beamten vom Leitungsstab des Dienstes. Angeblich geht es, so heißt es später, um Hinweise, wonach S. widerrechtlich Mitarbeiter mit der Überarbeitung seiner Aufsätze beauftragt und Texte ohne Genehmigung veröffentlicht habe – Vorwürfe, die später fallengelassen werden.

Uhrlau lässt sich informieren

In der Leitungsebene des Dienstes kommt man überein, den Dienstcomputer von S. heimlich durchsuchen zu lassen. Am 18. Februar 2008 erhält das Referat für IT-Sicherheit des Dienstes den Auftrag dazu – von wem genau, ist bis heute ist nicht bekannt. Aktenkundig ist allerdings, dass sich BND-Präsident Uhrlau regelmäßig von seinen Juristen über die Ergebnisse der Ermittlungen gegen S. informieren ließ. Gesucht wird in den Daten mit Hilfe von Stichwörtern, die sich auf einzelne Aufsätze von S. beziehen. Auf die gleiche Art werden auch die Dienstcomputer der übrigen 48 Mitarbeiter des Referats gefilzt. Von der zweitägigen Aktion erfahren die ahnungslosen Betroffenen erst Monate später.

S. erstattet danach bei der Berliner Staatsanwaltschaft Strafanzeige wegen Ausspähung von Daten und Amtsanmaßung. In dem Verfahren wehrt sich das BND-Personalreferat mit dem Argument, dass die „technische Kontrolle“ des PC „aufgrund der bei Einleitung des Disziplinarverfahrens vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte“ erfolgt sei. Das Seltsame daran: Zwar gab es tatsächlich ein Disziplinarverfahren gegen S. – dieses wurde aber erst im Mai 2008, also drei Monate nach der Durchsuchung, eingeleitet. Es bezog sich auch auf ganz andere Vorgänge, etwa eine angebliche Beleidigung des BND-Präsidenten. Die Staatsanwaltschaft gibt sich trotz dieser Ungereimtheiten mit der Erklärung der BND-Juristen zufrieden, weist die Strafanzeige ab und leitet nunmehr Ermittlungen gegen S. ein – wegen des Verdachts der falschen Verdächtigung. Im März 2009 wird dieses Verfahren mangels Tatverdachts eingestellt.

S. ruft nun das Bundesverwaltungsgericht an – mit Erfolg. Zwar erklärt der Dienst in diesem Verfahren plötzlich, der Computer von S. sei damals gar nicht durchsucht, sondern lediglich „im Rahmen einer routinemäßigen Kontrolle der EDV-Anlage auf Einhaltung der Verschlusssachenordnung überprüft“ worden. Doch offenbar ist das nur wieder eine Ausrede. Die Bundesrichter überzeugt es jedenfalls nicht, zumal auch solche Kontrollen laut BND-Vorschriften nur mit Kenntnis und im Beisein des Betroffenen erfolgen dürfen.

Gegen Gesetze verstoßen

Am 31. März 2011 erklärt das Bundesverwaltungsgericht die heimliche Computerrazzia von 2008 für rechtswidrig (BVerwG 2 A 11.08). Das Urteil ist eine saftige Ohrfeige für den BND: Die Durchsuchung sei äußerlich als Amtstätigkeit dargestellt worden, tatsächlich aber ohne gesetzliche Ermächtigungsgrundlage erfolgt, rügen die Richter. Denn weder vor noch während eines Disziplinarverfahrens sind Dienstvorgesetzte zu einer heimlichen Durchsuchung von Arbeitsplatzrechnern befugt. Unzulässig ist auch das Verschleiern einer solchen Aktion mit vorgeblichen IT-Kontrollen.

Der BND hatte also gegen Gesetze verstoßen. Mit dieser Feststellung der obersten Verwaltungsrichter im Rücken erstattet S. im Juli vergangenen Jahres erneut Strafanzeige gegen verantwortliche BND-Mitarbeiter. Der Vorwurf lautet auf Amtsanmaßung, falsche Verdächtigung, Verfolgung Unschuldiger und Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat. Die Berliner Staatsanwaltschaft stellt jedoch auch dieses Verfahren rasch ein. Es sei nicht einmal ansatzweise nachvollziehbar, dass hier vorsätzlich begangene Straftaten vorliegen, lautet die Begründung. Auch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes liefere hierfür keinen tatsächlichen Anhaltspunkt. Besondere Mühe, Ansätze zu finden, geben sich die Ermittler aber offenkundig auch nicht. Weder wurde S. als Opfer der BND-Machenschaften befragt noch Mitarbeiter des Dienstes zu den Vorwürfen gehört. Der Fall wurde einfach zu den Akten gelegt. Es ist nicht das erste Mal, dass die Berliner Staatsanwaltschaft die Auseinandersetzung mit dem BND scheut.

Andreas Förster schrieb im Freitag zuletzt über die Zwickauer Zelle

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