Ende der Schonfrist

Rechtsextremismus Frankreich macht es vor: Ein Verbot der „Grauen Wölfe“ ist auch hierzulande längst überfällig
Ausgabe 47/2020

Nach dem Verbot der „Grauen Wölfe“ in Frankreich hat sich in Deutschland eine ungewöhnliche Allianz aus Politikern von der CSU bis zur Linken zusammengefunden, die auch hierzulande ein konsequenteres Vorgehen gegen die rechtsextreme türkische Organisation fordern.

Die Grünen-Politiker Irene Mihalic, Konstantin von Notz und Cem Özdemir etwa werben bei den Regierungsparteien Union und SPD für eine interfraktionelle Initiative zum Verbot der „Grauen Wölfe“ in Deutschland. Unterstützung erhalten sie von Stefan Müller, dem Parlamentarischen Geschäftsführer der CSU-Fraktion im Bundestag, der die Organisation „Erdoğans verlängerten Arm nach Europa“ nennt. „Von türkischen Faschistengruppen wie den Grauen Wölfen geht eine große Bedrohung aus“, sagt auch die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linken, Ulla Jelpke.

In Frankreich war die Auflösung der Organisation Anfang November damit begründet worden, dass ihre Anhänger Diskriminierung und Hass schürten und an Gewaltaktionen beteiligt seien. Auch in Österreich hatte es zuletzt gewalttätige Attacken von „Grauen Wölfen“ auf kurdische Demonstranten und Journalisten gegeben. In der Bundesrepublik beobachten die Sicherheitsbehörden seit einigen Jahren eine wieder zunehmende Aktivität der „Wölfe“. Zwar würden sich die Anhänger der Bewegung, von denen viele in Vereinen organisiert seien, nach außen gesetzeskonform und unauffällig geben, heißt es in einer Einschätzung des Verfassungsschutzes. Das täusche jedoch nicht darüber hinweg, dass die „Grauen Wölfe“ einerseits nach politischem Einfluss in den demokratischen Parteien der Bundesrepublik streben, andererseits ihre ultranationalistische Ideologie, deren Menschenbild stark von rassistischem Gedankengut beeinflusst sei, unter hier lebenden Landsleuten verbreiten. Darüber hinaus würden Anhänger der Gruppierung Konflikte mit politischen Rivalen, etwa über das Vorgehen des türkischen Militärs gegen die PKK in der Türkei, im Irak und in Nordsyrien, hierzulande teils gewalttätig austragen, warnt der Geheimdienst.

Bleibt die Frage: Wie lange noch will die Bundesregierung eine rassistische, antisemitische und verfassungsfeindliche Vereinigung dulden, die mit einer geschätzten Mitgliederzahl von 18.000 bis 20.000 Personen die größte rechtsextreme Organisation in Deutschland sein dürfte?

Turan, vom Balkan bis Japan

Die „Grauen Wölfe“ nennen sich selbst „Ülkücüler“, was auf Deutsch so viel wie „Idealisten“ bedeutet. Gegründet wurde die „Ülkücü“-Bewegung Mitte des vorigen Jahrhunderts. Ihr Symbol ist der „Graue Wolf“ (türkisch: Bozkurt). Die Tierfigur entstammt einem alttürkischen Mythos und soll Stärke und Aggressivität der Bewegung symbolisieren. Als Erkennungszeichen verwenden die „Ülkücüler“ den sogenannten Wolfsgruß, bei dem Daumen und Finger des rechten ausgestreckten Arms den Kopf eines Wolfs formen. Bei ihren Wahlkämpfen haben zuletzt auch der türkische Präsident Erdoğan und Mitglieder seiner moslemisch-konservativen Partei AKP auf Kundgebungen den Wolfsgruß gezeigt, um sich der Gefolgschaft der radikalen Rechten zu versichern. Schließlich gilt die rechtsextremistische Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), die in einer „Volksallianz“ mit der AKP im Parlament Erdoğans Regierungsmacht absichert, als politischer Arm der „Ülkücü“-Bewegung.

Als ihr Ziel definiert die Bewegung den Schutz des Türkentums sowie die Errichtung von „Turan“, einem an das großgermanische Weltreich der Nationalsozialisten erinnernden fiktiven, ethnisch homogenen Staat unter Führung der Türken. Dieses „Turan“ soll die Siedlungsgebiete der Turkvölker umfassen und – je nach ideologischer Lesart – vom Balkan bis nach Westchina oder sogar Japan reichen und große Teile der Russischen Föderation sowie Zentralasien einschließen. Erklärte Feinde der rechtsextremistischen „Grauen Wölfe“ sind neben türkischen Liberalen auch Araber, Juden, Griechen, Kurden und Armenier. Neben rassistischen Positionen vertreten sie Sexismus, Homophobie, Antisemitismus und andere Ungleichwertigkeitsvorstellungen sowie Autoritarismus, Führerkult und Gewaltakzeptanz.

In der Bundesrepublik ist der größte Teil der „Grauen Wölfe“ in der „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V.“ (ADÜTDF) organisiert. Der Verein, der zugleich Auslandsvertretung der rechtsextremen MHP ist, vereint als Dachverband in 13 „Gebieten“ rund 170 lokale Vereine, denen um die 7.000 „Graue Wölfe“ angehören. Diese „Föderation“ ist weniger aktionistisch ausgerichtet, sondern konzentriert sich stattdessen auf die ideologische Indoktrination ihrer Anhänger und auf die Rekrutierung neuer Gefolgsleute unter den in Deutschland lebenden Türken.

Auch die „Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e. V.“ (Atib) wird der „Ülkücü“-Bewegung zugerechnet. Die Atib hatte sich vor einigen Jahren von der weniger streng religiös ausgerichteten ADÜTDF-Föderation abgespalten. Ihr gehören heute rund 1.200 Mitglieder an, die in 20 Ortsvereinen organisiert sind. Von besonderer Brisanz ist der Umstand, dass die Atib Gründungsmitglied im Zentralrat der Muslime in Deutschland und dessen bis heute mitgliederstärkste Organisation ist. Wohl auch deshalb hatte die Bundesregierung lange Zeit stillschweigend über die Nähe des Vereins zur „Ülkücü“-Bewegung hinweggesehen. Erst im aktuellen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2019, der im vergangenen Juli vorgestellt wurde, war die Atib erstmals den „Grauen Wölfen“ zugerechnet worden.

Jung, Mann, gewaltorientiert

Zu den gut 8.000 in Vereinen organisierten Aktivisten kommen Tausende unorganisierte „Graue Wölfe“-Anhänger hinzu, bei denen es sich überwiegend um jüngere und gewaltorientierte Männer handelt. Diese subkulturell geprägten, über soziale Medien gut vernetzten und spontan agierenden „Ülkücüler“ tauchen häufig als Straßenkampftruppe bei Demonstrationen und Kundgebungen auf.

Einige „Wölfe“-Anhänger in der Türkei, aber auch in Deutschland unterhalten zudem Verbindungen zur organisierten Kriminalität und zu Mafiagruppen. So hatten deutsche Behörden bis vor wenigen Jahren beobachtet, dass sich türkische Rechtsextremisten in rockerähnlichen Gruppierungen wie Turan e. V. und Turkos MC zusammenfanden. Die meisten dieser Gruppen haben sich jedoch inzwischen aufgelöst, nachdem im Jahr 2018 die AKP-nahe Rockergruppe „Osmanen Germania“ durch das Bundesinnenministerium verboten worden war.

Aufmerksam registrieren die Sicherheitsbehörden hierzulande, wie die türkische Regierung die „Grauen Wölfe“ dazu benutzt, bei ihren Landsleuten in Deutschland Propaganda zu machen. Nach dem gescheiterten Putsch vom Juli 2016 in der Türkei etwa mobilisierte Erdoğan zu einer regelrechten Hetzjagd auf Anhänger der sogenannten Gülen-Bewegung und auf Regierungskritiker. Diese Mobilisierung und innertürkische Polarisierung führte auch zu einem massiven Auftreten der „Grauen Wölfe“ bei Demonstrationen und Kundgebungen in Deutschland. In mehreren Städten gab es zudem gewalttätige Angriffe türkischer Ultranationalisten auf kurdische Einrichtungen und Gülen-nahe Bildungsvereine.

Auch nach dem Wiederaufflammen des militärischen Konflikts um die von Armenien und Aserbaidschan beanspruchte Kaukasus-Region Bergkarabach benutzt die Erdoğan-Regierung die „Grauen Wölfe“ für eine Propaganda-Offensive in Deutschland. So ließ der Atib-Vorsitzende Durmuş Yıldırım eine Pressemitteilung verbreiten, in der er Armenien eine „aggressive und rechtswidrige Haltung“ vorwirft und sich auf die Seite des von der Türkei unterstützten Aserbaidschan stellt.

Die stillschweigende Duldung der verfassungsfeindlichen und rechtsextremistischen „Grauen Wölfe“ durch die Bundesregierung fällt umso mehr auf, weil die deutschen Strafverfolgungsbehörden deutlich weniger Zurückhaltung zeigen, wenn es um die Verfolgung hierzulande im Exil lebender türkischer und vor allem kurdischer Oppositioneller geht. Da lassen sich die deutschen Behörden gern auch mit Ermittlungserkenntnissen aus der Türkei versorgen, deren Zustandekommen rechtsstaatlichen Grundsätzen häufig nicht entspricht. So wie im Münchner Prozess gegen zehn türkische Kommunisten, die Ende Juli in München nach vierjähriger Verhandlungsdauer zu langen Haftstrafen verurteilt worden sind: Den Angeklagten war Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zur Last gelegt worden, weil ihre Partei TKP/ML in der Türkei als Terrororganisation gilt. Auch in Deutschland lebende Anhänger und Funktionäre der kurdischen Arbeiterpartei PKK stehen hierzulande regelmäßig vor Gericht.

Gegen die „Grauen Wölfe“ hingegen geht Deutschland bislang kaum vor. Zwar wird die Organisation vom Verfassungsschutz beobachtet. Aber erst das längst überfällige Verbot der rechtsextremistischen Vereinigung würde den Eindruck einer deutschen Appeasement-Politik gegenüber dem Erdoğan-Regime widerlegen, die sogar das rassistische und antisemitische Agieren der „Grauen Wölfe“ tatenlos in Kauf nimmt.

Radikalisiert

Türkischer Nationalismus In den 1930er und 1940er Jahren entwickelte sich eine rechtsextreme Variante des türkischen Nationalismus, die in Deutschland mit der „Graue Wölfe“-Bewegung bekannt geworden ist. Die Unterschiede zwischen dem kemalistischen, staatstragenden Nationalismus und der rechtsextremen Variante lassen sich auf zwei Punkte reduzieren: die Frage nach dem legitimen politischen Akteur und die Haltung gegenüber dem Turanismus, dem ethnisch homogenen Großreich. Während für die Kemalisten der Staat der einzig legitime Akteur ist, der die Ziele des türkischen Nationalismus durchsetzen kann, war für die rechtsextremen Herausforderer die staatliche Politik oft nicht radikal und konsequent genug. Deswegen formierten sie eine eigene politische Bewegung, die auch auf der Straße unmittelbar gegen politische GegnerInnen vorging. Ismail Küpeli

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