Unbekannte schießen am 17. August mit einer Leuchtsignalpistole auf das Asylbewerberheim im mecklenburgischen Torgelow. Am 31. Oktober werden mit einer Gasdruckpistole 18 Scheiben einer Asylunterkunft im sächsischen Döbeln zerschossen. Zwei Wochen später feuern im nordrhein-westfälischen Vlotho Unbekannte aus einem Auto heraus auf ein Asylheim und davorstehende Personen. Und drei Tage vor Silvester bedrohen zwei Männer mit Maschinenpistolen im baden-württembergischen Waghäusel Bewohner eines Flüchtlingsheims.
Das sind nur vier von insgesamt 30 bewaffneten Angriffen, die im vergangenen Jahr auf Asylunterkünfte verübt wurden. Zwar gab es bei diesen Angriffen keine Verletzten, sondern nur Sachschäden. Aber in den Sicherheitsbehörden ist man alarmiert: Die Bereitschaft unter gewalttätigen Neonazis scheint zu wachsen, mit Waffen und Sprengstoff loszuschlagen. Und die Behörden haben Schwierigkeiten, den privaten Waffenbesitz zu kontrollieren.
Tatsächlich belegt die Statistik einen dramatischen Anstieg: Von 2010 bis 2014 ist die Zahl rechtsextremer Straftaten, bei denen Waffen zum Einsatz kamen oder zur Bedrohung verwendet wurden, von 143 auf 536 gewachsen und hat sich damit fast vervierfacht. Nicht zuletzt angesichts dieser Zahlen spricht das Bundeskriminalamt (BKA) mittlerweile von einer neuen „Dynamik der rechtsextremen Straftaten“.
Aber sind die deutschen Sicherheitsbehörden darauf vorbereitet? Ein Problem, das Fachleute immer wieder beklagen, sind die Informationsverluste bei der präventiven Beobachtung von länderübergreifend agierenden Nazis. Nicht nur beim Verfassungsschutz, auch bei der Polizei behindert die föderale Struktur einen auf Effizienz ausgerichteten Informationsaustausch.
Seit 2003 etwa wertet das BKA jährlich aus, welche Rolle Waffen und Sprengstoff im Bereich der „politisch motivierten Kriminalität rechts“ spielen. Basis hierfür ist die Datenbank LAPOS. In ihr werden die Meldungen über Ermittlungsvorgänge der Bundesländer erfasst. Eine Berichtspflicht der Länderpolizeien besteht allerdings nur für Straftaten, in denen die Täter bewaffnet waren. Zufallsfunde von Waffen und Sprengstoff bei Hausdurchsuchungen müssen ebenso wenig angegeben werden wie die Herkunft von Waffen und Sprengstoff. Die Übermittlung von Informationen über Schießübungen deutscher Neonazis ist ebenfalls freiwillig.
Der Überblick fehlt
Nicht registriert sind beim BKA auch die gewerblichen Anmeldungen von Rechtsextremen als Waffen- und Militariahändler, selbst wenn sie wegen einschlägiger Straftaten vorbestraft sind. Die Bundesregierung verweist in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken auf den Datenschutz und regionale Zuständigkeit: Waffenrechtliche Prüfungen von Gewerbeanmeldern auf Zuverlässigkeit und Geeignetheit seien ausschließlich Sache der Ordnungsbehörden auf Landesebene.
Dem BKA fehlt nach offizieller Darstellung auch ein Überblick darüber, wie viele Rechtsextreme in Deutschland einen legalen Waffenschein besitzen. Das hat vor allem datenschutzrechtliche Gründe: Das Nationale Waffenregister registriert – aus gutem Grund – weder die politische Gesinnung oder Parteizugehörigkeit noch die Religion von Waffenbesitzern. Es bietet den Sicherheitsbehörden allerdings die Möglichkeit, durch Anfragen schneller als früher herauszufinden, ob eine verdächtige Person einen Waffenschein besitzt.
Die Ermittler sind auf eigene Recherchen angewiesen. Und so hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz bereits 2013 bei den Landesämtern deren Erkenntnisse über Rechtsextreme mit Waffenbesitzscheinen abgefragt. Die Umfrage ergab, dass insgesamt rund 400 Neonazis über eine waffenrechtliche Erlaubnis verfügen.
Aber was kann der Geheimdienst mit einer solchen Information anfangen? Faktisch nichts: „Die Verfassungsschutzbehörden der Länder entscheiden in eigener Zuständigkeit über die Übermittlung von Informationen an die zuständige Waffenbehörde, damit diese zum Beispiel waffenentziehende Maßnahmen einleiten kann“, teilt die Bundesregierung mit. Neben den Landesämtern kann auch das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum des Bundes entsprechende Anregungen geben.
Doch führen solche Anregungen zum Erfolg? Nur in Ausnahmefällen, wie eine Umfrage ergab, die der SWR kürzlich in den Bundesländern durchführte. Zwar können Landesbehörden einen Waffenschein einziehen, wenn der Besitzer regelmäßig als waffenrechtlich unzuverlässig gilt. Das ist nach dem Waffengesetz bereits der Fall, wenn der Betreffende in den letzten fünf Jahren rechtsextreme Bestrebungen aktiv unterstützt hat. Dennoch sind laut SWR-Umfrage nur wenige Einzelfälle bekannt, in denen die Waffenbehörden Neonazis aufgrund von Hinweisen aus den Landesämtern für Verfassungsschutz eine Berechtigung zum Besitz von Schusswaffen entzogen oder verweigerten. In Sachsen etwa prüften die Behörden im vergangenen Jahr auf Antrag des Geheimdienstes in 25 Fällen die waffenrechtliche Zuverlässigkeit von Rechtsextremen. Nur in drei Fällen wurden die Waffenscheine widerrufen.
Dass die Bewaffnung in der rechten Szene kein Selbstzweck ist, zeigen verschiedene Beispiele der letzten Monate. Im sächsischen Freital etwa hatten Rechtsextreme eine „Bürgerwehr“ gegründet. Einige von deren Mitgliedern stehen im Verdacht, einen Sprengstoffanschlag auf eine geplante Asylunterkunft verübt zu haben. Bereits im Mai 2015 nahm die Polizei vier mutmaßliche Rädelsführer der Gruppe Oldschool Society fest, die Bombenanschläge vorbereitet haben sollen.
Als auffällig bezeichnen es Sicherheitsbehörden auch, dass unter Rechtsextremen in der jüngsten Vergangenheit das Kampfsport- und Waffentraining deutlich zugenommen hat. Im Internet kursieren Aufnahmen von Wehrsportübungen, auf denen Duisburger NPD-Funktionäre und Mitglieder des Organisationsstabes von Dügida, dem Düsseldorfer Pegida-Ableger, zu erkennen sind. Die Protagonisten üben zum Beispiel, wie man im Nahkampf dem Gegner ein Messer in den Hals rammt.
Waffentraining im Ausland
Von 2010 bis 2015 registrierte das BKA insgesamt 39 Fälle von Schießübungen deutscher Rechtsextremer. Gut ein Drittel der Übungen fand in Deutschland statt. In den restlichen Fällen trainierten die Neonazis auf meist kommerziell betriebenen und öffentlich zugänglichen Schießanlagen in Tschechien, Frankreich, der Schweiz, den Niederlanden und den USA. Dabei wurde das ganze Arsenal an Schusswaffen verwendet: Luftgewehre, Pistolen, Revolver, Schrotflinten, Pumpguns, vollautomatische Gewehre. In einzelnen Fällen trainierten die deutschen Rechtsextremen gemeinsam mit ausländischen Gesinnungsfreunden. Auch für diese Angaben gilt, dass sie wegen der beschränkten Berichtspflicht der Länder nicht den vollständigen Umfang des Waffentrainings militanter Neonazigruppen abbilden dürften.
Die Linken-Politikerin Martina Renner nennt es dann auch schockierend, dass die Sicherheitsbehörden keinen systematischen Überblick über Waffenfunde bei Rechtsextremen und die Aktivitäten bewaffneter Neonazis in den Ländern haben. „Unter diesen Voraussetzungen sind bundesweite rechtsterroristische Umtriebe schwer zu erkennen und zu bekämpfen.“
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