Schon kurz nachdem die Medien am 2. Juni den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke gemeldet hatten, reagierten Rechte im Netz. „Anscheinend geht es schön langsam los. Richtig so“, postete einer von ihnen auf Facebook. Andere schrieben: „Und wieder einer weg“, „Mal ne gute Tat vollbracht“, oder: „Du bekommst das serviert, was du verdienst.“ Auch der AfD-Kreisverband Dithmarschen meldete sich zu Wort: „Mord??? Er wollte nicht mit dem Fallschirm springen“, höhnte die Partei auf Facebook unter Anspielung auf den Suizid des FDP-Politikers Jürgen Möllemann aus dem Jahr 2003.
Die zynischen Kommentare im Netz verdeutlichen ein Phänomen, das zuletzt im Zusammenhang mit der NSU-Affäre diskutiert wurde. Auch die drei Neonazis von der Zwickauer Terrorzelle verzichteten auf Bekennerschreiben und umfängliche ideologische Rechtfertigungsartikel, wie man es von Linksterroristen gewohnt ist – ihre Botschaft wurde ohnehin verstanden. „Taten statt Worte“ ist seit jeher die Devise des rechten Terrors – angefangen bei der Deutschen Aktionsgruppe von Manfred Roeder über das Oktoberfestattentat bis hin zu den Brandanschlägen der 1990er Jahre.
Es spricht einiges dafür, dass der Mord an Walter Lübcke den Beginn einer neuen rechtsterroristischen Anschlagserie markieren soll, die sich erstmals gegen Politiker der Bundesrepublik richtet. Für die Behörden dürfte eine solche neue Qualität des rechten Terrors kaum überraschend kommen. Schon Anfang dieses Jahres hatte das Bundeskriminalamt davor gewarnt, dass rechtsextreme Einzeltäter oder Kleinstgruppen schwerste Gewalttaten begehen könnten. Zur Zielauswahl würden laut BKA auch „Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland“ gehören.
Darauf, dass es entsprechende Planungen in der Szene schon seit Jahren gibt, weisen die sogenannten Todeslisten hin, die man bei der Zwickauer NSU-Zelle ebenso fand wie kürzlich bei den rechtsmilitanten Preppern. Das bundesweite Netzwerk paramilitärischer Untergrundmilizen, dem Polizisten, Elitesoldaten und Zivilisten angehören, bereitet sich auf einen Tag X vor, an dem politisch Andersdenkende festgenommen und liquidiert werden sollen.
Die Todeslisten, die in der Szene kursieren, werden stets aktualisiert. Auf dem Exemplar, das die Fahnder im November 2011 im Brandschutt des NSU-Unterschlupfes in der Zwickauer Frühlingsstraße sicherstellten, soll auch Lübckes Name gestanden haben, der 2009 zum Kasseler Regierungspräsidenten berufen worden war.
Über den Tatablauf in der Nacht, als der CDU-Politiker erschossen wurde, ist wenig bekannt. Der Tatverdächtige Stephan E. schwieg lange. Den Ermittlern zufolge muss der Schuss auf Lübcke zwischen 23 Uhr und 0.30 Uhr abgegeben worden sein. Es gibt die Aussage eines Zeugen, der in dieser Nacht erst einen Schuss gehört und zwanzig Minuten später zwei Autos bemerkt haben will, die in „aggressiver Manier“ durch den Ort gefahren seien. Bei einem der Autos, so sagte es der Zeuge aus, habe es sich um einen VW Caddy gehandelt – ein Auto dieses Typs fährt auch Stephan E. Tatsächlich legte er Mitte der Woche ein Geständnis ab und bekannte sich zur Tat.
Für die These der Bundesanwaltschaft, dass mit dem Mord an Walter Lübcke ein politisches Zeichen für die rechte Szene gesetzt werden sollte, spricht die Auswahl des Opfers. Bereits seit einigen Jahren war der Kasseler Regierungspräsident Hetze und Hass ausgesetzt. Anlass war eine Bürgerversammlung im hessischen Lohfelden im Oktober 2015, bei der es um eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge ging.
Als die Zwischenrufer immer lauter wurden, hatte Lübcke den Störern entgegnet, dass er stolz sei auf das Vertreten christlicher Werte in der Flüchtlingshilfe: „Wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen“, hatte er gesagt.
Das Video mit Lübckes Satz wurde noch am selben Tag auf Youtube hochgeladen und mit Hasstiraden auf den Politiker und Todeswünschen kommentiert. Im vergangenen Frühjahr war die Hetze gegen den Politiker wieder aufgeflammt, nachdem die AfD-nahe Ex-CDU-Politikerin Erika Steinbach ihn bei Twitter und Facebook wegen des Auftritts in Lohfelden anfeindet hatte.
Twitter als Inspirationsquelle
Die Ermittler wollen nicht ausschließen, dass sich der Tatverdächtige Stephan E. von dem Steinbach-Tweet zu seiner Tat inspirieren ließ. Möglich ist aber auch, dass E. nicht allein die Tat plante und ausführte. Denn gegen die – von den Ermittlern bislang vertretene – These des „einsamen Wolfs“ spricht die jahrzehntelange feste Verwurzelung des Verdächtigen in der als besonders gewaltbereit geltenden Neonaziszene in Kassel. Auf Hinweis des Geständigen Stephan E. nahm die Polizei jetzt zwei weitere Personen fest. Dabei handelt es sich nach Informationen des Spiegel um einen mutmaßlichen Waffenhändler aus Nordrhein-Westfalen und den mutmaßlichen Vermittler des Geschäfts zwischen Stephan E. und dem Händler. Gegen beide Personen wird nun wegen Beihilfe zum Mord ermittelt, sie wurden bereits einem Haftrichter vorgeführt.
Zudem wurde ein Waffenversteck entdeckt, auf das die Ermittler ebenfalls durch einen Hinweis von Stephan E. gestoßen sind. Seit seiner Jugend hatte sich der heute 45-jährige, im hessischen Wiesbaden geborene E. an rassistischen und gewalttätigen Aktionen beteiligt. In den Polizeiakten wird er als „äußerst gewaltbereit“, „bewaffnet“ und „politisch motivierter Straftäter“ beschrieben. Mehrmals wurde er verurteilt, saß im Gefängnis. So zum Beispiel nach einem Rohrbombenanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft im hessischen Hohenstein-Steckenroth. E. erhielt dafür eine sechsjährige Jugendhaftstrafe.
Nach der Haftentlassung schloss er sich den Kasseler Neonazis an. Er war zeitweise Mitglied der NPD, demonstrierte 2003 mit Gesinnungsfreunden gegen die Wehrmachtsausstellung und attackierte mit 400 Neonazis am 1. Mai 2009 eine Gewerkschaftsdemonstration des DGB in Dortmund. Letzteres brachte ihm eine Bewährungsstrafe wegen Landfriedensbruchs ein.
Es war angeblich die letzte Aktion, mit der der Kasseler Neonazi den Sicherheitsbehörden auffiel. Über seine Aktivitäten in der rechten Szene nach 2009, so stellt es der Verfassungsschutz dar, sei nichts bekannt. Dagegen spricht allerdings, dass sich sein Name auf einer vertraulichen Liste des hessischen Verfassungsschutzes mit den Namen besonders gefährlicher und gewalttätiger Rechtsextremisten des Bundeslandes findet. Die Liste war Thema im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtages, wo eine als Zeugin befragte LfV-Mitarbeiterin angeblich jedoch nichts Konkretes mit dem Namen anfangen konnte.
Inzwischen scheinen sich Hinweise auf eine Nähe oder gar Mitgliedschaft E.s in der rechtsterroristischen Bewegung Combat 18 (C18) zu verdichten, auch wenn es über seine vermeintliche Teilnahme an einem C18-Treffen im vergangenen März im sächsischen Mücka widersprüchliche Aussagen gibt. Die international vernetzte neonazistische Untergrundorganisation, die sich am Konzept des führerlosen Widerstands orientiert, war 1992 in Großbritannien als bewaffneter Arm der extrem rechten Organisation Blood&Honour (B&H) entstanden. Deutsche B&H- und C18-Mitglieder waren auch die wichtigsten Helfer der Zwickauer Terrorzelle.
Hat sich also eine neue NSU-Generation aufgemacht in den Krieg gegen den Staat? Der Modus Operandi des Mordanschlags auf Walter Lübcke legt das nahe: ein nicht durch Drohschreiben angekündigtes Verbrechen; ein als Feindobjekt der Szene ausgewähltes Opfer; ein Täter ohne persönlichen Bezug zu Lübcke; die Hinrichtung mit einem Kopfschuss; der Verzicht auf ein Bekennerschreiben. Nur, dass dem Täter, sollte sich der Verdacht gegen Stephan E. erhärten, ein folgenschwerer Fehler unterlaufen ist: Anders als die Mörder des NSU hinterließ er eine DNA-Spur auf der Kleidung seines Opfers, anhand derer er identifiziert werden konnte.
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