Tricksen und täuschen

Überwachung Die Bilanz des NSA-Untersuchungsausschusses ist für die Bundesregierung beschämend
Ausgabe 08/2017
Angela Merkel will von den Machenschaften des BND nichts gewusst haben
Angela Merkel will von den Machenschaften des BND nichts gewusst haben

Foto: Ipon/Imago

Als die Bundeskanzlerin vorige Woche vor dem NSA-Ausschuss des Bundestags zur Befragung erschien, stellte sie sich mit ihrem Mädchennamen Angela Dorothea Kasner vor. Ein Lapsus, räumte sie lächelnd ein. Es blieb der einzige an diesem Tag: Stur hielt Merkel in der siebenstündigen Befragung daran fest, bis 2015 nichts von den zum Teil gesetzwidrigen Machenschaften ihres Bundesnachrichtendienstes gewusst zu haben.

Ob das glaubwürdig ist, bleibt zweifelhaft. Zu viele Widersprüche und Täuschungsmanöver von BND und Regierung beförderte der Ausschuss an 131 Sitzungstagen in fast drei Jahren zutage. Die Quintessenz der Ermittlungen ist niederschmetternd: Der US-Abhördienst NSA hatflächendeckend die elektronische Kommunikation deutscher Staatsbürger überwacht, und der vom Kanzleramt kontrollierte Bundesnachrichtendienst hat bei seiner Abhörpraxis gegen geltendes Recht verstoßen. Die Bundesregierung hat dies nicht nur geduldet, sondern auch gedeckt. Für die Bundesrepublik, die so stolz ist auf ihre demokratische Wiedergeburt nach den Diktaturen der Vergangenheit, ist das eine beschämende Bilanz.

Ausgangspunkt des im März 2014 eingesetzten Untersuchungsausschusses waren die Enthüllungen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden. Er hatte ein Jahr zuvor Journalisten geheime Unterlagen übergeben, die die Überwachung der weltweiten elektronischen Kommunikation durch den US-Geheimdienst belegen. Im Herbst 2013 kam heraus, dass die NSA auch das Handy der Kanzlerin abhörte. Merkel reagierte darauf mit dem Satz: „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.“ Eine verhängnisvolle Äußerung, wie man heute weiß. Als BND-Chef Gerhard Schindler wenige Tage nach Merkels Statement bei seinem Vorgesetzten, Kanzleramtschef Ronald Pofalla, vorsprach, erinnerte er ihn daran, dass der BND bei seiner Abhörpraxis ja auch nicht so streng zwischen Freund und Feind unterscheiden würde. Pofalla reagierte, er wies Schindler an, die elektronische Überwachung von Politikern und Behörden aus EU- und NATO-Staaten einzustellen. Die Weisung trat am 29. Oktober 2013 in Kraft. Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages wurde nicht informiert. Und auch die Kanzlerin soll nichts davon erfahren haben – so behaupten es zumindest Merkel und Pofalla.

Phantom-Abkommen

Der Untersuchungsausschuss erfuhr schließlich doch davon, aber erst im September 2015. Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR berichteten über die BND-Abhörpraxis, fortan waren dem Ausschuss die Verfehlungen des deutschen Dienstes wichtiger als die der NSA. Das Gremium setzte durch, die mehr als 1.000 Seiten umfassende „Selektorenliste“ mit den Abhörzielen der BND-Einheit für Technische Aufklärung einzusehen. Ein einziger Computer stand dafür zur Verfügung, in einem streng gesicherten Raum im BND-Neubau in Berlin. Notizen, die sich die Abgeordneten machten, wurden weggeschlossen; in der Öffentlichkeit durften die Ausschussmitglieder nicht darüber sprechen, wessen Telefonnummern und E-Mail-Adressen sie auf der Zielliste entdeckt hatten.

Es kam dennoch einiges heraus: Der BND hatte etwa Frankreichs langjährigen Außenminister Laurent Fabius und das Büro des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu „unter Wind“, wie es im Agentenjargon heißt. Nahezu jede europäische Regierung stand mit Nummern und Mailadressen auf der Zielliste, ebenso Anschlüsse im Vatikan, beim EU-Rat, in der Knesset, in Rüstungsunternehmen, Banken, beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, dem Roten Kreuz oder der OSZE. Glück hatte der SZ zufolge lediglich US-Außenminister John Kerry. Bei ihm soll ein BND-Beamter eine falsche Handyvorwahl in den Computer eingegeben haben.

Die Medienberichte und Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses desavouierten nicht nur die ob des Lauschangriffs auf ihr Handy empörte Kanzlerin. Sie verstärkten auch den Eindruck, dass die Regierung gezielt ein falsches Bild der Affäre zu zeichnen versuchte, um von der eigenen Mitverantwortung abzulenken. Schon 2014 war bekannt geworden, dass der BND ein Telefonat zwischen der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton und UN-Generalsekretär Kofi Annan mitgeschnitten hatte. Das Protokoll dieses Gesprächs hatte ein von den Amerikanern als Agent angeworbener BND-Mitarbeiter an die CIA übergeben. Die Bundesregierung tat die Sache als bedauerlichen Einzelfall ab. Zu diesem Zeitpunkt aber wusste man im Kanzleramt dank des BND-Chefs schon lange, dass ein Ausspähen von Freunden wie Clinton und Annan auch hierzulande sehr wohl geht.

Es war nicht das einzige Mal, dass der Ausschuss die Regierung beim Lügen erwischte. Im Sommer 2013 kam heraus, dass die NSA am weltweit größten Internetknoten in Frankfurt am Main Daten abzapft. Die Bundesregierung gab sich empört und schickte zur Klärung eine Delegationen nach Washington. Danach wurde die Öffentlichkeit beruhigt: Nur der BND überwache in Frankfurt den Internetverkehr, und zwar ganz legal. Später fand der Ausschuss heraus, dass der BND seit Jahren und mit Wissen Berlins die Daten der NSA zur Verfügung stellte. Verwirrung stiftete die Bundesregierung auch mit einem angeblichen No-Spy-Abkommen, das man den Amerikanern im Sommer 2013 abgerungen haben wollte. Ein Wahlkampftrick? Das Abkommen kam nie zustande. Dafür tauchte die Mail einer außenpolitischen Beraterin des US-Präsidenten auf, die Anfang 2014 an Merkels Berater Christoph Heusgen geschickt worden war. Darin stand, es werde kein No-Spy-Abkommen geben, auf amerikanischer Seite habe daran auch niemand jemals einen Zweifel gelassen.

Der NSA-Ausschuss war ein Erfolg, weil er die Praktiken eines auf Eigennutz und Irreführung gerichteten Handelns in Regierung und Geheimdienst offenlegte. Er scheiterte aber, wenn es um die Konsequenzen daraus ging: Abgesehen vom „Bauernopfer“ Schindler, der erst im Juli 2016 den Chefposten im BND räumen musste, wurde keiner der Falschspieler in BND und Kanzleramt zur Verantwortung gezogen. Stattdessen wurde das BND-Gesetz so reformiert, dass es umstrittene Praktiken des Geheimdienstes legalisiert.

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