Was Horst Seehofer nicht ignorieren sollte

Hanau Nach den rassistischen Morden machen Linke und Grüne gute Vorschläge für die Neuaufstellung der Sicherheitsbehörden
Horst Seehofer in Hanau
Horst Seehofer in Hanau

Foto: Odd Andersen/AFP via Getty Images

Die politischen Reaktionen auf den rassistischen Mordanschlag von Hanau sind deutlich sachlicher als bei vergleichbaren Ereignissen in der Vergangenheit. Rufe nach Gesetzesverschärfungen oder nach Strukturreformen im Sicherheitsapparat gibt es kaum, ebenso wenig die Forderung nach erweiterten Befugnissen von Verfassungsschutz und Polizei. Eine Personalaufstockung der Behörden hält diesmal sogar Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) für verzichtbar. Stattdessen kündigt er vor allem einen besseren Schutz von Moscheen an – eine längst überfällige Maßnahme, angesichts der von Rechtspopulisten in AfD und CDU-Werteunion geschürten Islamfeindlichkeit.

Konstruktiver weil nachhaltiger aber sind die Vorschläge, die aus der Opposition kommen. Der Linken-Bundestagsabgeordnete Jan Korte etwa fordert die konsequente Entwaffnung von Nazi-Strukturen. Das wäre in der Tat effektiver als eine Sicherheitsüberprüfung von Einzelpersonen vor Erteilen einer Waffenerlaubnis, wie es die Bundesregierung will. Dazu müssten die Behörden aber ihren Fahndungsdruck auf die rechte Szene weiter verstärken.

Für ein bundesweit zu koordinierendes Durchgreifen gegen einen „völlig enthemmten Rechtsextremismus“ sprechen sich auch die Grünen aus. Ein von der Bundestagsfraktion erarbeitetes „Sofortprogramm für eine sichere Gesellschaft“ sieht unter anderem die Bildung eines Krisenstabes, in dem die Bundesregierung „relevante Akteure aus Regierung, Parlament, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammenbringen“ soll, vor. In der Analyse der gegenwärtigen Bedrohungslage durch den Rechtsextremismus sei ein Quantensprung nötig. Das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) müsse „ein Ad-hoc-Konzept zur systematischen Bewertung aller bestehenden Verdachtsfälle im Bereich Rechtsterrorismus“ entwickeln.

Von Köln bis Wächtersbach

Seehofer sollte dieses Konzept nicht ignorieren, auch wenn es vom politischen Gegner kommt. Nach drei rechtsterroristischen Mordanschlägen mit zwölf Toten in nur acht Monaten und der jüngst zerschlagenen terroristischen Vereinigung „Gruppe S.“, die mit Anschlägen auf Moscheen und Muslime einen Bürgerkrieg anzetteln wollte, musste auch der CSU-Politiker einräumen, dass es derzeit „eine sehr hohe Bedrohungslage von rechts“ gebe. Zugleich aber wies er den Vorwurf zurück, dass der Kampf gegen rechts in der Vergangenheit vernachlässigt worden sei.

Doch ist das wirklich so? Tatsächlich scheinen Bundesregierung und Sicherheitsbehörden erst seit dem Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke am 2. Juni 2019 aufgewacht zu sein und erkennen nun endlich auch öffentlich an, dass – wie es Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagt – der Rechtsextremismus „die größte Gefahr für unsere Demokratie ist“.

Dabei gibt es Anzeichen für eine zunehmende rechte Terrorgefahr in Deutschland seit mindestens fünf Jahren – erinnert sei an die Messerattacken auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (2015) und den Bürgermeister der sauerländischen Stadt Altena, Andreas Hollstein (2017), die beide nur durch Notoperationen überlebten; an die drei seit 2015 von den Behörden zerschlagenen Terrorgruppen Oldschool Society, Gruppe Freital und Revolution Chemnitz; an den rassistischen Terroranschlag vom 22. Juli 2016 im Münchner Olympia-Einkaufszentrum, dem neun Migranten zum Opfer fielen; an die Welle von Brandanschlägen auf Asylheime und Gewaltangriffen auf Flüchtlinge 2015 und 2016, bei denen es wie durch ein Wunder keine Toten gab; an die Festnahme des Bundeswehroffiziers Franco A. im April 2017, der sich als syrischer Flüchtling ausgab und plante, mit einem vermeintlich islamistisch motivierten Terroranschlag Unruhen zu provozieren; an Franco A.s Verbindungen zum von Spezialkämpfern, Soldaten und Polizisten gegründeten Verein Uniter, der seine Mitglieder für den Fall eines politischen Umsturzes trainiert; an Morddrohungen gegen die Grünen-Politiker Claudia Roth und Cem Özdemir durch deutsche Anhänger der US-Terrorgruppe Atomwaffen Division 2019; an die von den Behörden 2017 ausgehobene rechte Prepper-Gruppe Nordkreuz, die Waffen und Sprengstoff hortete; an die bereits 2012 reaktivierte Terrororganisation Combat 18, deren deutsche Sektion erst vor wenigen Wochen verboten wurde; an die 2019 bekanntgewordenen rechtsextremen Netzwerke in der hessischen Polizei, die unter anderem der Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız mit Mord drohten; an den Mordanschlag auf den eritreischen Flüchtling Bilal M. im hessischen Wächtersbach im Juli 2019 durch einen Rechten.

Wenn die Grünen regieren

Das sträflich lange Negieren der neonazistischen Terrorgefahr in Deutschland ist auch einem Verfassungsschutz zuzuschreiben, der über Jahre mit Hans-Georg Maaßen einen rechtslastigen Präsidenten hatte. Das sehen die Grünen ebenso, die in ihrem Aktionsplan deshalb nicht nur eine kritische Aufarbeitung der Ära Maaßen fordern, sondern sich für einen Neustart aussprechen: Dem Geheimdienst solle danach ein politisch unabhängiges „Institut zum Schutz der Verfassung“ zur Seite gestellt werden. Dieses solle sicherstellen, dass die Expertise aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft „dauerhaft in die Analysen des Verfassungsschutz einfließen und nutzbar gemacht werden“.

Den Aktionsplan der Grünen kann man als ein Versprechen auf die Zukunft verstehen. Denn die Partei kann nun nicht mehr hinter ihre Forderungen zurück, sollte sich für sie bald die Option auf eine Regierungskoalition mit CDU/CSU oder SPD ergeben. Den Sozialdemokraten und noch mehr der Union sollte daher klar sein, dass ihre Weiter-so-Haltung beim Thema Verfassungsschutz spätestens im Fall einer Regierungsbeteiligung der Grünen unhaltbar wird.

Andreas Förster ist Journalist und Buchautor, zuletzt erschienen Ende der Aufklärung: Die offene Wunde NSU (herausgegeben mit Thomas Moser und Thumilan Selvakumaran) und Zielobjekt Rechts: Wie die Stasi die westdeutsche Neonaziszene unterwanderte

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